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Ver.di fordert Tarifvertrag – LichtBlick weigert sich

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Volker Mester
Ver.di und der Betriebsrat des Ökostromanbieters LichtBlick fordern einen Tarifvertrag. Von links nach rechts: Björn Krings von Ver.di, Jeannine Sennewald und Sven Peters.

Ver.di und der Betriebsrat des Ökostromanbieters LichtBlick fordern einen Tarifvertrag. Von links nach rechts: Björn Krings von Ver.di, Jeannine Sennewald und Sven Peters.

Foto: Michael Rauhe / FUNKE Foto Services

LichtBlick ist einer der größten Stromversorger in Deutschland und hat trotzdem keinen Tarifvertrag. Auch Betriebsrat ist dafür.

Hamburg. „Andere gehen morgens arbeiten. LichtBlickende gehen das Klima retten“ – so wirbt der Hamburger Ökostromanbieter LichtBlick um neue Mitarbeiter. Auf den eigenen Internetseiten verbreitet das Unternehmen das Image eines Start-ups, das seinen Beschäftigten neben Yoga und Massagen unter anderem Fahrradleasing und gratis Biokaffee sowie -obst bietet.

Doch LichtBlick besteht inzwischen seit 23 Jahren, hat rund 400 Mitarbeiter – und bis heute keinen Tarifvertrag. Das wollen die Gewerkschaft Ver.di und der Betriebsrat jetzt ändern. Sie haben die Geschäftsführung zur Aufnahme von Tarifverhandlungen aufgefordert.

Stromanbieter LichtBlick: Ver.di will Tarifvertrag aushandeln

„Es ist Zeit für einen Tarifvertrag,“ sagt Björn Krings, zuständiger Gewerkschaftssekretär von Ver.di Hamburg. „Obwohl LichtBlick kein schlechter Arbeitgeber ist, fehlen den 400 Kolleginnen und Kollegen nach wie vor die tariflichen Standards der deutschen Energiebranche.“ Die Firma sei eben kein Start-up mehr, sondern mit einem Umsatz, der im Jahr 2020 die Marke von einer Milliarde Euro überschritten hat, hinter Konzernen wie E.on und Vattenfall einer der größten Energieversorger in Deutschland.

Ver.di geht davon aus, dass bei LichtBlick gerade im niedrigeren Vergütungsbereich, zum Beispiel im Kundenservice, „zum Teil deutlich unterhalb dessen gezahlt wird, was für ein Unternehmen dieser Größe in der deutschen Energiewirtschaft üblich ist“. Sven Peters, Betriebsratsvorsitzender von LichtBlick, stellt klar: „Wir arbeiten gern bei LichtBlick und wollen dies auch weiterhin tun. Eine Bezahlung unter branchenüblichem Tarif ist vielen Beschäftigten aber nicht mehr zu vermitteln.“

LichtBlick-Geschäftsführung hat bis Ende November Zeit

Zudem gebe es kein Weihnachtsgeld, und die Wochenarbeitszeit liege bei 40 Stunden, sagt Jeannine Sennewald, die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende: „Diese Arbeitszeit ist vielen Kolleginnen und Kollegen zu lang, darum haben sie von sich aus auf 32 oder 36 Stunden reduziert – aber das muss man sich leisten können.“ Außerdem fehlen der Arbeitnehmerseite eine Gehaltsaufstockung beim Krankengeld und regelmäßig mit der Gewerkschaft ausgehandelte Tariferhöhungen.

In einer Umfrage vor zwei Jahren, an der 170 LichtBlick-Beschäftigte teilnahmen, hätten sich knapp 80 Prozent der Befragten für einen Tarifvertrag ausgesprochen, so Sennewald. Krings ist nach eigener Einschätzung „optimistisch“, dass es zu einer Einigung darauf kommt, zumal beim niederländischen LichtBlick-Eigentümer Eneco ein Tarifvertrag gelte. Bis zum 30. November hat die LichtBlick-Geschäftsführung nun Zeit, auf die Forderung zu reagieren.

LichtBlick: Erster Ansprechpartner sei der Betriebsrat

Eine Stellungnahme des Unternehmens auf Abendblatt-Anfrage klingt allerdings nicht so, als stoße man mit dieser Forderung auf große Offenheit. Anders als starre Tarifverträge passten „betriebliche Lösungen besser zu uns als innovativem und agilem Mittelstandsunternehmen“, heißt es von LichtBlick. Erster Ansprechpartner bei solchen Lösungen sei der Betriebsrat als Interessenvertretung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer: „Wir sehen vor diesem Hintergrund keine Veranlassung, mit Dritten in Verhandlungen zu treten.“ Gemeint ist offensichtlich Ver.di.

LichtBlick sieht sich „als fairer und sozial verantwortlicher Arbeitgeber gut aufgestellt“. So habe man im vorigen Jahr „mitten in der Pandemie großzügige Sondervergütungen getätigt, die weit über den tariflichen Regelungen lagen“. Darüber hinaus arbeite man bereits an einer „Weiterentwicklung des Gehaltssystems, um die besten Talente für uns zu gewinnen“ – aber eben auf Basis von „betrieblichen Lösungen“.

Tariflose Betriebe zahlen im Schnitt zehn Prozent weniger

Sven Peters hat dazu eine andere Auffassung: „Ein Unternehmen wird durch einen Tarifvertrag doch eher attraktiver, wenn es darum geht, weiteres Personal zu gewinnen.“ Außerdem sei die Arbeitnehmerseite durchaus bereit, einen auf LichtBlick zugeschnittenen „modernen Haustarifvertrag“ mit auszuhandeln.

In den zurückliegenden Jahrzehnten hat die Tarifbindung auch in der Hamburger Wirtschaft jedoch deutlich abgenommen. Einer Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zufolge ist der Anteil der Betriebe mit Tarifbindung hier zwischen 2000 und 2019 von 44 Prozent auf 26 Prozent zurückgegangen. Während im Jahr 2000 noch 69 Prozent der Beschäftigten in tarifgebundenen Firmen angestellt waren, sind es nach den jüngsten Hamburger Daten nur noch 51 Prozent.

Nach WSI-Erkenntnissen arbeiten Vollzeitbeschäftigte hier in tariflosen Betrieben im Mittel wöchentlich 47 Minuten länger und verdienen zehn Prozent weniger als Beschäftigte in Betrieben mit Tarifbindung, die sich hinsichtlich der Betriebsgröße, des Wirtschaftszweigs und der Qualifikation der Beschäftigten nicht voneinander unterscheiden.

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