Berlin. Bayern erhält vom Bund ein Viertel des Milliardenbudgets für neue Autobahnen und Bundesstraßen – ist das gerecht?

222 Millionen Euro für den sechsstreifigen Ausbau der Autobahn 3 bei Regensburg, 193 Millionen Euro für einen Tunnel, um den Erholungsort Starnberg vom Durchgangsverkehr zu entlasten, 45 Millionen Euro für den vierstreifigen Ausbau einer Bundesstraße im fränkischen Schweinfurt – das sind nur einige Baustellen in Bayern, für die der Bund in den vergangenen vier Jahren Geld gegeben hat. Die Projektliste ist länger als bei allen anderen Bundesländern. Das lässt bei den Grünen einen Verdacht aufkommen.

Die Oppositionspartei will in den Verkehrsinvestitionen des Bundes und des seit Jahren von CSU-Politikern geführten Bundesverkehrsministeriums ein System erkannt haben. Dieses laute „Straße vor Schiene“ – und „Bayern first“. Das sagt Matthias Gastel, Sprecher für Bahnpolitik der Grünen im Bundestag.

Bundesverkehrsministerium: In diese Projekte ist Geld geflossen

Der Experte für Verkehrsin­frastruktur wollte in einer Parlamentsanfrage wissen, für welche Straßenprojekte der Bund seit der Verabschiedung des Bundesverkehrswegeplans 2030 – dem Leitfaden für große Verkehrsprojekte – Geld gegeben hat. Der Bundestag hat den Plan für Investitionen bis zum Ende dieses Jahrzehnts im Dezember 2016 verabschiedet.

Die Antwort aus dem Bundesverkehrsministerium, die unserer Redaktion vorliegt, zeigt: Das meiste Geld (1,97 Milliarden Euro) floss in dieser Zeit zwar in Straßenprojekte in Nordrhein-Westfalen. NRW ist das bevölkerungsreichste Bundesland. Doch Bayern mit einem Viertel weniger Einwohner kam in der gleichen Zeit auf Baufreigaben im Wert von 1,8 Milliarden Euro.

Sieben Milliarden Euro für den Straßenbau

Insgesamt 59 Straßenbauprojekte hat der Bund in den Jahren 2017 bis 2020 freigegeben. Das lässt sich der Staat rund sieben Milliarden Euro aus dem Etat von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) kosten. Bis März 2018 führte sein Parteifreund Alexander Dobrindt das Ministerium.

Grünen-Politiker Gastel wirft den CSU-Verkehrsministern beim Straßenbau „eine Selbstbedienungsmentalität“ vor. Mit rund 1,8 Milliarden Euro entfalle mehr als ein Viertel der Investitionen für neue Vorhaben im Bundesfernstraßennetz auf Bayern. „Im Vergleich zu anderen Ländern und in Relation zum Bevölkerungsanteil ist dieser Anteil deutlich überproportional“, sagt Gastel unserer Redaktion.

In diesem Jahr will die Bundesregierung rund drei Milliarden Euro für den Aus- und Neubau der Fernstraßen in Deutschland investieren. Für die Verwaltung dieser Summe ist seit Jahresbeginn die bundeseigene Autobahn GmbH zuständig. Das Unternehmen steuert alle Projekte zentral aus einer Hand – doch wegen Organisationsproblemen werden sich erhoffte millionenschwere Synergieeffekte etwa bei der IT-Infrastruktur wohl erst in einigen Jahren einstellen.

Grüne kritisieren „aus der Zeit gefallene Betonpolitik“

Dagegen ist für Bahnprojekte etwa die Hälfte dieser Summe vorgesehen. Grünen-Politiker Gastel kritisiert, dass die große Koalition „ihre aus der Zeit gefallene Betonpolitik zulasten des Klimas und der Umwelt“ unverdrossen fortsetze. Weiterlesen:Deutsche Firmen legen wenig Wert auf Bahn-Anschluss

Während die Mittel für den Straßenbau in diesem Jahr einen neuen Höchststand erreichten, dümpele der Ausbau des Schienennetzes „seit Jahren“ mit nahezu unveränderten Beträgen vor sich hin. „In keinem anderen Politikfeld ist eine grundsätzliche Kursänderung dringender als bei der Verkehrsinfrastruktur“, betont Gastel. „Eine Verkehrswende braucht an vorderster Stelle neue Prioritäten beim Ausbau der Infrastruktur.“

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Scheuers Ministerium verweist bei der Verteilung der Investitionsmittel auf Nachfrage auf klare Kriterien und Mechanismen sowie Absprachen mit den Ländern. „Dabei stehen die baureifen Projekte des Straßenbauplans und der Erhaltungsbedarfsprognose im Fokus“, betont ein Sprecher.

Zudem werde ab 2022 erstmals mehr Geld in die Schiene als für Straßenprojekte investiert: „Minister Scheuer hat für die Schiene das größte Investitions-, Wachstums und Modernisierungsprogramm aufgelegt, dass es jemals gab.“ Auch der Radverkehr sei in dieser Legislaturperiode „massiv gestärkt“ worden. Helmpflicht für Radfahrer: Was dafür und was dagegen spricht

Scheuers Vorgänger standen ebenfalls in der Kritik

Der Vorwurf, ein Großteil der Investitionen fließe nach Bayern, ist nicht neu. Seit 2009 ist das Ministerium fest in der Hand von CSU-Politikern: Auch Scheuers Vorgänger Alexander Dobrindt und Peter Ramsauer standen immer wieder in der Kritik.

Dobrindt etwa hatte die Vorwürfe einst als „vollkommen aus der Luft gegriffen“ zurückgewiesen. Dass Länder wie Nordrhein-Westfalen bei der Mittelvergabe benachteiligt worden seien, liege ausschließlich an einem Organisationsversagen des Landes, hieß es 2019.

Im vergangenen Jahr wurde ein Papier bekannt, nachdem Bayern auch bei Investitionen in Bahnstrecken in den Jahren 2009 bis 2018 mit fast drei Milliarden Euro das meiste Geld aus dem Bundeshaushalt erhalten haben soll – während für Projekte in NRW nur 519 Millionen Euro flossen.