Peking/Berlin. Internetpionier und Alibaba-Gründer Jack Ma ist in China ein Superstar. Dann kritisierte er das Regime. Seitdem ist er verschwunden.

Es war ein Bilderbuchaufstieg. Einst reichte es bei Jack Ma nicht einmal zum Tellerwäscher, als die Geflügel-Fast-Food-Kette Kentucky Fried Chicken (KFC) ihn als einzigen unter 24 Bewerbern ablehnte. Dreimal fiel der aus einfachen Verhältnissen stammende Jack Ma durch die Aufnahmeprüfung seiner Universität rasselte, ehe er sein erstes Einkommen als Englischlehrer verdiente.

1999 kam ihm dann die Idee, die sein Leben veränderte und ihn zum reichsten Chinesen der Welt machte: Jack Ma gründete Alibaba, eine Art chinesisches Amazon für Geschäftskunden, das heute rund 65 Milliarden Euro Umsatz im Jahr erwirtschaftet und als eine der wichtigsten Internetplattformen der Welt gilt.

Jack Ma wurde in China zum Unternehmerstar, das „Forbes“-Magazin schätzt sein Vermögen aktuell auf 57,9 Milliarden US-Dollar, umgerechnet rund 47 Milliarden Euro, womit er auf der Liste der reichsten Menschen der Welt Platz 20 belegt. Doch mit dem märchenhaften Aufstieg ist es vorerst vorbei.

Lesen Sie hier:So drängt Chinas Internetgigant Alibaba auf Europas Märkte

Jack Ma ist verschwunden – und die Wirtschaftswelt rätselt

Es ist ruhig geworden um den exzentrischen Gründer. Zu ruhig, sagen manche. Jack Ma ist verschwunden. Und die Wirtschaftswelt rätselt, was mit ihm passiert ist.

Denn eigentlich ist der 56-Jährige nicht für seine zurückhaltende Art bekannt. Im Gegenteil. Der Sohn zweier Musiker und traditioneller Geschichtenerzähler aus der chinesischen Millionenmetropole Hangzhou versteht es, sich in Szene zu setzen, seine teils bizarren Auftritte reichten in den vergangenen Jahren von Karaoke-Konzerten in schrillen Kostümen über „Michael Jackson“-artige Tanzeinlagen bis hin zur Hauptrolle in einem Kampfkunst-Kurzfilm im Jahr 2018, in dem er an der Seite von Schauspielstar Jet Li eine Reihe von Polizisten vermöbelte.

Alibaba-Gründer kritisierte chinesische Finanzaufsichtsbehörden

Ende Oktober vermöbelte Jack Ma auf dem Bund Summit, einem dreitägigen Treffen der globalen Finanzindustrie in Shanghai, zwar keine Sicherheitskräfte. Aber Ma, der 2019 den Vorstandsvorsitz der Alibaba Group abgab, um sich seiner Stiftung zu widmen, teilte verbal mit einer Brandrede aus.

Dabei sprach der Chinese, der nach wie vor der größte Anteilseigner von Alibaba ist, von der „Pfandleihmentalität“ der traditionellen Großbanken des Landes und griff die Finanzaufsichtsbehörden ganz direkt an. „Wir können die Zukunft nicht mit den Mitteln von gestern regulieren“, sagte Ma – während die Vorstände ebenjener Finanzaufsichtsbehörden in der ersten Reihe des Publikums saßen. Jener Affront sollte nicht ohne Folgen bleiben.

Mehr zum Thema:Rücktritt oder nicht? Verwirrung um Alibaba-Chef Jack Ma

Größter Börsengang aller Zeiten wurde abgesagt

Seither ermittelt die chinesische Regierung gegen Alibaba, es geht unter anderem um die Monopolstellung, die das Internetunternehmen aufgrund seiner riesigen Sammlung an Konsumentendaten verfügt.

Und auch der mächtige Finanzarm von Alibaba, die Ant Group, bekommt mächtig Gegenwind. Noch im Herbst wollte Ma mit dem Mikrobezahldienst Ant den größten Börsengang aller Zeiten hinlegen, 34,5 Milliarden Dollar sollte der Gang ans Börsenparkett einbringen.

Daraus wurde nichts. Die Börsenbetreiber in Shanghai und Hongkong sagten überraschend ab. Und China zieht die Zügel an. Anstatt wie bisher als Fintech soll Ant künftig als traditionelle Bank reguliert werden, auch die gesammelten Kundendaten sollen freigegeben werden, berichtet das „Wall Street Journal“.

Seit Ende Oktober fehlt von Ma jede Spur

Und Jack Ma? Der Multimilliardär ist seit seiner Rede auf dem Bund Summit auf keiner angekündigten Pflichtveranstaltung mehr zu sehen – weder bei der Jahreskonferenz der Handelskammer von Zhejiang, noch beim Finale seiner höchstpersönlich ins Leben gerufenen Talentshow „Africa´s Business Heroes“.

Dabei hatte der 56-Jährige noch auf Twitter hinausposaunt, wie sehr er sich auf den Fernsehdreh freuen würde. Apropos Twitter: Mas letzter Post liegt dort bereits knapp drei Monate zurück. Viele Medien spekulieren seither über den Verbleib Jack Mas.

EU-Parlaments-Vize Beer nennt Verschwinden „Anlass zur Sorge“

Das spektakulärste Narrativ lautet, er sei von der kommunistischen Staatsführung „aus dem Verkehr“ gezogen worden. Und auch die Politik schaut mit Argwohn auf die plötzliche Funkstille.

„Das Verschwinden des Alibaba-Gründers Jack Ma muss für uns alle Anlass ernster Sorge sein“, sagte die Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments und stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP, Nicola Beer, unserer Redaktion.

Zwar könne über die Umstände des Verschwindens nur gemutmaßt werden. „Es wäre jedoch nicht das erste Mal, dass Peking dem eigenen Land und der Weltöffentlichkeit zeigt, wer am längeren Hebel sitzt, wenn jemand die oberste Ebene der chinesischen Entscheidungsträger kritisiert“, sagte die FDP-Politikerin.

Jack Ma befindet sich unter strenger Beobachtung

Doch was wirklich mit Jack Ma passiert ist, ist völlig unklar. Fakt ist: Jack Ma befindet sich derzeit unter strenger Beobachtung der Regierung. Und doch wird der Fall fast ausschließlich durch das Prisma des rebellischen Unternehmers betrachtet, der letztendlich zu mächtig für den politischen Paranoiker Xi Jinping geworden ist.

Dabei erinnert das angeworfene Spekulations-Orakel auffällig an jene zwei Wochen im September 2012, als Xi Jinping „von der Bildfläche verschwunden“ sei, wie etliche Medien einstimmig berichteten. Selbst über einen „absichtlich herbeigeführten Autounfall“ wurde damals spekuliert, nur etwa zwei Monate vor Xis erwarteter Wahl zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas schien ein Machtkampf hinter den Kulissen durchaus plausibel. Am Ende tauchte Xi Jinping wieder auf.

Auch interessant:Amazon-Konkurrent Alibaba will mit Robotern an die Spitze

Intransparentes System begünstigt die Spekulationen

Auch wenn es bei Jack Ma ebenfalls plausibler ist, dass er derzeit lediglich abgetaucht ist und nicht aus dem Verkehr gezogen wurde, so begünstigt das intransparente chinesische System solche Spekulationen.

Von der Geschichtsschreibung in den Schulbüchern über wissenschaftliche Publikationen zu „sensiblen“ Themen bis hin zu Kleinstmeldungen der Tageszeitungen wird praktisch alles von den Zensurbehörden der Kommunistischen Partei kontrolliert.

Und die soll sich nach Informationen der „Financial Times“ auch im aktuellen Fall aktiv eingeschaltet haben. Jene Kontrollwut des Informationsflusses hinterlässt ein Vakuum, das meist mit Misstrauen gefüllt wird.

Ehemaliger Top-Manager wurde jüngst zum Tode verurteil

Und tatsächlich ist es Chinas Staatsführung zuzutrauen, dass es mächtige Männer verschwinden lässt – meist wegen Korruptionsvorwürfen, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen.

Erst vor wenigen Tagen wurde Lai Xiaomin, ehemaliger Vorstand des chinesischen Vermögensverwalters und Staatsunternehmens „Huarong Asset Management“, zum Tode verurteilt.