Hamburg. Wenn Alexandra Werdes in den vergangenen Wochen ihren besonderen Saft kochen wollte, musste sie den ganz großen Topf aufsetzen. „Die Nachfrage jetzt in der Corona-Zeit ist höher, als wir erwartet haben“, sagt die Gründerin von Tofte. Die eigene Küche ist für die Produktion längst zu klein geworden. Deshalb hat sie sich schon mehrfach im Kesselraum der Wildwuchs-Brauerei eingemietet, um Holunderbeeren mit Zucker und allerlei Gewürzen über Stunden zu Sirup köcheln zu lassen.
„Am Tag schaffen wir so hundert Liter. Das sind 300 Flaschen“, sagt die Wilhelmsburgerin. Die heiße Flüssigkeit muss danach sofort abgefüllt und verkorkt werden, damit sie sich die nächsten Monate hält. In einer Ecke der Brauerei stapeln sich die Kisten. Der Punsch-Sirup, wie die Unternehmerin ihr Produkt nennt, ist quasi die Winterseite von Tofte. Im Sommer macht sie Eis am Stiel.
Alexandra Werdes will schützen, was sie liebt
Alexandra Werdes ist aber nicht nur Unternehmerin. Sie will schützen, was sie liebt. In ihrem kleinen Betrieb verarbeitet die 45-Jährige ausschließlich Früchte von heimischen Wildhecken: Holunderbeeren, Hagebutten, Schlehen und Brombeeren. „Hecken leisten einen wichtigen Beitrag für den Klimaschutz und sind Lebensraum für viele Tiere“, sagt die Naturliebhaberin. Den meisten Landwirten seien sie aber im Weg bei der Bewirtschaftung immer größerer Felder. „Die Pflege ist zudem aufwendig und teuer.“
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Die Folge: In den vergangenen Jahrzehnten sind Tausende Heckenkilometer verschwunden. Hier setzt Tofte an und baut den Naturschutz ins Geschäftsmodell ein: In einem Kreislaufsystem will Werdes mit dem Erlös aus dem Verkauf ihrer Produkte künftig Wildhecken erhalten, neue pflanzen und die Früchte wieder für die Produktion nutzen.
Tofte – der Begriff steht umgangssprachlich für gut
Im April 2019 hatte die gelernte Journalistin ihre GmbH mit dem etwas sperrigen Namen „Die Ideen müssen wachsen“ gegründet. „Heckenfrüchte wie Holunderbeeren, Hagebutten oder Schlehen sind in Vergessenheit geraten“, sagt Werdes. In der Lebensmittelproduktion werden sie nur selten eingesetzt. Zu Unrecht, sagt sie. Die Früchte sind sehr vitaminreich, stärken die Abwehrkräfte. „Man könnte sie auch als heimische Superfruits bezeichnen.“ Zudem wachsen sie an vielen Orten in der freien Natur. Trotzdem war die Unternehmerin für den Start ihres Projekts nicht zum Sammeln in der Feldmark unterwegs, sondern hatte Früchte und Fruchtpürees über den Großhandel gekauft. „Wir brauchten ja erstmal einen Prototyp für unseren Markteinstieg“, erklärt Werdes.
Gemeinsam mit einer Eismanufaktur in Norderstedt entwickelte die gebürtige Münsterländerin ihre ersten Produkte unter ihrer eigenen Marke Tofte – ein Begriff aus ihrer Heimat steht umgangssprachlich für „gut“. Herausgekommen sind vier Sorten Eis am Stiel: Brombeer-Vanille, Hagebutte-Joghurt, Holunder-Zitrone und die vegane Variante Schlehe-Apfel. Verkauft wird die handgemachte Eiscreme für 3,50 Euro pro Stück von Partnern in der Gastronomie.
Aktuell kann man das besondere Eis unter anderem in der Markthalle Hobenköök im Oberhafenquartier kaufen. „Im ersten Jahr haben wir 5000 Eis am Stiel verkauft“, sagt Werdes. Dabei waren auch Veranstaltungen ein Umsatzbringer mit Wachstumspotenzial. „Das fiel im Corona-Jahr weg“, so die Gründerin. Immerhin: 2020 verzeichnete Tofte trotz Pandemie einen leichten Wachstumstrend. In diesem Jahr will Werdes expandieren.
Die Geschäftsidee wurde bereits ausgezeichnet
Für ihren Traum hat die Tofte-Macherin, die auch einen Abschluss in Philosophie hat, in den vergangenen Monaten sehr viel gearbeitet. Trotzdem sind die Ersparnisse nahezu aufgebraucht. Als zweiten Schritt ihrer Geschäftsidee hat Alexandra Werdes im März den gemeinnützigen Verein Heckenretter aus der Taufe gehoben. Mit 14 Gründungsmitgliedern und zwei Dutzend Unterstützern kümmert sie sich jetzt um die Umsetzung der ideellen Ziele. „Alle Gewinne des Unternehmens Tofte fließen in den Verein“, erklärt sie.
Die Faustregel: Hundert verkaufte Eis bringen zwei Meter Hecke. Inzwischen haben die Heckenretter die ersten 540 Meter Wildhecke gepflanzt. Standorte sind der Naturerlebnisgarten des BUND in Wilhelmsburg sowie ein Hof im schleswig-holsteinischen Lentföhrden. „Da wollen wir so schnell wie möglich auch zum ersten Mal selbst ernten“, sagt die Naturliebhaberin, die mit ihrer Freundin in einem Wohnprojekt in Wilhelmsburg lebt.
Im November war Tofte mit dem Next Organic Startup Award 2020 der Heinrich-Böll-Stiftung und der Bio-Lebensmittelmarke Dennree ausgezeichnet worden. „Wir diskutieren das ja gerade sogar in der europäischen Agrarpolitik, dass wir Hecken brauchen für Artenvielfalt und Bodenschutz – und hier wird aus der Hecke der große Genuss des Eises“, hatte Jurorin und Ex-Landwirtschaftsministerin Renate Künast (Grüne) in ihrer Laudatio gesagt. Inzwischen hat das Hamburger Sozialunternehmen mit dem Punsch-Sirup aus Holunder ein neues Produkt für den Winter eingeführt. Alexandra Werdes hatte im November für den Beginn der Herstellung eine Crowdfunding-Kampagne gestartet und innerhalb von einem Monat mehr als 18.000 Euro eingesammelt.
Keep on punching
Der Großteil der ersten Produktion geht jetzt an die Unterstützer aus der Kampagne. Kaufen kann man die 0,33-Liter-Flaschen mit dem Holunder-Sirup an einigen Tofte-Verkaufsstellen, wie der Markthalle Hobenköök und unter tofte-eis.de. Der Preis liegt bei 9,80 Euro. „Im Mischungsverhältnis von eins zu sechs ergibt eine Flache etwa 2,5 Liter“, erklärt Alexandra Werdes den Preis. „Der Holunder-Sirup schmeckt sehr gut mit heißem Tee oder Apfelsaft als anti-alkoholisches Wintergetränk.“
Mit einem Schuss Rum oder Amaretto wird eine Alternative zu Jagertee oder Glühwein daraus. Das Etikett auf den Flaschen zeigt übrigens zwei boxende Hasen. Eine Anspielung auf die kritische Situation der Spezies in der deutschen Feldmark, den Alexandra Werdes aber auch als Durchhalte-Appell in Corona-Zeiten verstanden wissen will – Keep on punching!
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