Hamburg. Das, was in dem Raum im Eingangsbereich der Hamburger Firma Berendsohn präsentiert wird, passt in keine eindeutige Kategorie. Es gibt Plastik-Kugelschreiber, eine Glaskaraffe mit integriertem Weinglas und richtig feine Lederbörsen – ein bunter Mix aus Praktischem, Überflüssigem und Schönem.
Das Besondere: Nichts davon kann man als Endkunde kaufen, sondern muss es sich schenken lassen. „Werbemittel gibt es wie Sand am Meer“, sagt Astrid Schulte. Vieles ist nullachtfünfzehn. „Bei uns sind es die besonderen Sachen“, sagt die Chefin und Teilhaberin des Traditionsunternehmens selbstbewusst.
Hamburger Unternehmen Berendsohn bietet besondere Werbemittel an
Sie lässt den Blick über Regale wandern. Da liegt ein Stabfeuerzeug mit USB-Anschluss neben einem edlen Holzbrett samt integriertem Messer und einer Karaffe aus recyceltem Glas. Insgesamt 400 Artikel hat Berendsohn im Sortiment. Schulte greift zu einem Kaffeebecher ganz oben. „Wann, wenn jetzt nicht“, steht in schwarzen Buchstaben auf weißem Grund. Eine exklusive Arbeit des Künstlers Uwe Lewitzky. Aktuell eines ihrer Lieblingsstücke.
Das ist wahrscheinlich kein Zufall. Nach 13 Jahren beim Prominenten-Kinderlabel Bellybutton ist Astrid Schulte angetreten, das bereits 1833 gegründete Unternehmen zu entstauben und fit für die Zukunft zu machen. Keine leichte Aufgabe. Das Image der Branche mit tonnenweise Billigware und Wegwerfartikeln ist nicht gerade das beste. Irgendwie aus der Zeit gefallen, trotzdem immer wieder gerne genommen.
Astrid Schulte soll Werbemittel-Unternehmen entstauben
Schulte, Betriebswirtin mit gepflegtem Geschmack, wirkt erst mal wie aus einer anderen Welt. Aber genau das ist es wohl, weshalb die Inhaberfamilie auf diese Frau setzt. Gemeinsam mit zwei Geschäftspartnern hatte sie sich mit 51 Prozent der Anteile bei dem Werbemittel-Händler eingekauft. In den vergangenen drei Jahren hat Schulte als geschäftsführende Gesellschafterin den Laden umgekrempelt und aus den roten Zahlen geführt.
Jetzt sitzt die 55-Jährige im Konferenzraum am Firmensitz auf dem Gelände der ehemaligen Marzipanfabrik in Ottensen. Von hier aus führt sie 950 Mitarbeiter, mehr als die Hälfte sind Beschäftigte, die das Berendsohn-Sortiment im Direktvertrieb an Firmen in ganz Euro verkaufen sollen. 350.000 aktive Kunden haben die Hamburger, etwa 100.000 davon sind es in Deutschland.
Die meisten sind Klein- und Kleinstunternehmen: Handwerker, Einzelhändler, Dienstleister, die mit kleinen und größeren Geschenken um Kunden kämpfen. „Diese Betriebe haben keine Marketing-Abteilung. Werbemittel sind häufig die einzige Möglichkeit, um auf sich aufmerksam zu machen“, sagt Schulte.
Fast alle Deutschen besitzen einen Werkeartikel
Dahinter steckt ein respektabler Markt. 98 Prozent der Deutschen über 14 Jahre besitzen nach Angaben des Gesamtverbands Werbeartikel-Wirtschaft einen Werbeartikel. Die Botschaften bleiben länger in Erinnerung und haben eine höhere Reichweite als die meisten anderen Werbemaßnahmen, heißt es bei dem Verband, der 400 Mitglieder vertritt. Im Jahr 2019 setzte die Branche 3,65 Milliarden Euro um.
Die Berendsohn-Gruppe mit insgesamt sieben Firmen und einem Produktionsstandort in Mecklenburg-Vorpommern hat im vergangenen Jahr zusammen 65 Millionen Euro erwirtschaftet. Im Corona-Jahr gab es allerdings Einbrüche von 25 Prozent. Im nächsten Jahr, so das Ziel, soll das Unternehmen profitabel sein. „Die Kunden haben Bedarf“, sagt Schulte.
Schulte stieg bei Start-Up Bellybutton von Dana Schweiger ein
Für die Hamburgerin ist es ein kompletter Wechsel gewesen. 2001 war sie nach Stationen bei der Beratungsfirma Roland Berger, der Luxus-Marke Cartier und beim Bonussystem Payback als Mitinhaberin und Geschäftsführerin bei dem Hamburger Start-up Bellybutton eingestiegen. Genau wie die Gründerinnen Dana Schweiger und Ursula Karven war Schulte damals gerade Mutter geworden und wollte aus dem Managerinnen-Job raus.
Gemeinsam mit zwei weiteren Teilhaberinnen machten sie die Marke für Kinder und Umstandsmode zu einem Trendtreiber mit Millionenumsätzen, den quasi jede Frau auf dem Schirm hatte. Dabei waren die Rollen im „Club der schönen Mütter“, wie sie gerne genannt wurden, klar verteilt. Schweiger, damals noch Ehefrau von Filmstar Til Schweiger, und Schauspielerin Karven waren für die Publicity zuständig, Schulte verantwortete die strategischen Themen und die operative Führung.
Von Bellybutton zu Berendsohn
„Es war eine tolle Zeit“, sagt die Geschäftsfrau, die die Firma mit vielen anderen Teilzeitmüttern anfangs aus dem eigenen Haus gesteuert hatte. 2014 stieg die inzwischen insolvente Kanz-Gruppe als strategischer Investor bei der Mutti-Marke aus Hamburg ein und übernahm in der Folge die Markenrechte. Schulte blieb als Einzige der Gründerinnen vertragsgemäß noch drei Jahre bei dem neuen Eigner.
Parallel fädelte sie ihren Einstieg bei Berendsohn ein. So ziemlich das Gegenteil von allem, was sie bisher gemacht hatte. „Klar, früher war mehr Lametta“, sagt Astrid Schulte. Aber das sei es nicht, was für sie zähle. „Ich habe ja nicht Bellybutton gemacht, weil Til Schweiger ein- und ausging, sondern weil ich davon überzeugt war.“
Schulte nutzte ihre Chance für einen Neustart
Jetzt ist sie wieder überzeugt. „Mir war klar, dass ich nicht mehr in einer Konzernstruktur arbeiten wollte“, sagt die Unternehmerin, deren drei Töchter inzwischen 19, 18 und 17 Jahre alt sind. Der Einstieg bei Berendsohn, vermittelt durch einen Freund, war ihre Chance für einen Neustart – und ein Wagnis.
„Die Firma war seit 2012 nicht mehr profitabel“, sagt Schulte. Die Familie musste etwas tun, um das Erbe von Gründer Bernhard Salomon Berendsohn zu retten, der schon in den frühen Jahren des 19. Jahrhunderts Geschäfte mit Kupferstichen machte, die Hamburger Kaufleute in die Welt schickten, quasi als eine Art Ur-Werbegeschenk. „Es war klar, dass der Direktvertrieb mit Werbemitteln kein langfristiges Geschäftsmodell ist“, sagt Astrid Schulte.
Auch die neue Strategie baut auf dem großen Netz von firmeneigenen Beratern und Handelsvertretern auf, die ihre Kunden genau kennen. Aber in einer Zeit, in der sich immer mehr Geschäfte ins Internet verlagern, gehe es um die digitale Sichtbarkeit. „Gerade die kleinen Unternehmen vernachlässigen das“, sagt die Berendsohn-Chefin.
Corona offenbarte digitale Mängel bei Werbeunternehmen
Wer aber bei der Onlinesuche nicht in sogenannten lokalen Listings oder bei Google Maps auftaucht, verliert Kunden. Inzwischen schickt sie ihre Mitarbeiter deshalb nicht mehr mit dem klassischen Musterkoffer los, sondern mit dem iPad. Auch der gedruckte Katalog ist eingestellt. Für viele langjährige Beschäftige ein harter Schnitt. „Aber gerade Corona hat gezeigt, dass unsere Kunden digitale Schnittstellen brauchen“, sagt Astrid Schulte. „Wir sind nicht mehr nur Verkäufer, sondern Marketingdienstleister.“
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Dabei wird es wohl auch künftig nicht ohne Kugelschreiber & Co. gehen. „Die sogenannten Streuartikel sind unser wichtigster Umsatzbringer“, sagt die Unternehmerin. Kunden greifen nur zu gerne zu Gratis-Kugelschreibern, Feuerzeugen, T-Shirts oder Einkaufswagen-Chips – und nehmen die Werbebotschaften gleich mit. Oft genommen sind aktuell auch Stoffmasken, Desinfektionsmittel und – bei Brillenträgern – Antibeschlag-Tücher.
Und obwohl gerade große Firmen die internen Regeln verschärft haben, was Mitarbeiter an Geschenken überhaupt noch annehmen dürfen, sieht Astrid Schulte Luft nach oben. „Wir versuchen mit Qualität und besonderen Multifunktionsideen zu überzeugen“, sagt sie. Im nächsten Jahr will sie einen Onlineshop starten, in dem auch Endkunden bestellen können. Denn: Immer wieder gibt es Kaufanfragen für Berendsohn-Artikel. Besonders beliebt sind gerade die künstlerisch gestalteten Produkte von Uwe Lewitzky. Neben Kaffeebechern gibt es auch Bierseidel. „Bier ist unsere stärkste Waffe“, steht darauf. Das Wort Vernunft ist durchgestrichen.
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