Berlin/Düsseldorf. Zahlreiche Apotheker in Deutschland warten seit Tagen auf zum Teil sechsstellige Summen von den Krankenkassen – und werden das Geld vielleicht nie sehen. Der Grund: Das große Apotheken-Abrechnungszentrum AvP in Düsseldorf hat nach erheblichen Turbulenzen nun Insolvenz angemeldet.
AvP wickelte das Zahlungsgeschäft tausender Apotheken in Deutschland mit den Krankenkassen ab. Das Unternehmen reichte die Rezepte gebündelt bei den Kassen ein und leitete die Beträge der Krankenkassen an die Apotheken weiter – so war bisher das Geschäftsmodell.
Abrechner AvP insolvent: Finanzaufsicht stellt Strafanzeige
Am Mittwoch stellte der von der Finanzaufsicht Bafin eingesetzte Sonderbeauftragte jedoch einen Insolvenzantrag beim Amtsgericht Düsseldorf. Das teilte die Bafin mit. Eine Sprecherin des Amtsgerichts Düsseldorf sagte: „Wir haben einen Antrag des Unternehmens vorliegen, der geprüft wird.“
Die Bafin hatte dem Sonderbeauftragten die alleinige Geschäftsführung des Abrechnungszentrums übertragen. Weitere Angaben machte die Finanzaufsicht nicht.
Die Bafin habe in Sachen AvP inzwischen Strafanzeige erstattet, sagte die Sprecherin der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft, Laura Hollmann, auf Anfrage. Es werde „zeitnah“ über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens entschieden. Um welche Vorwürfe es in der Anzeige geht, sagte Hollmann nicht.
- Lesen Sie mehr: Modellversuch: Grippe-Impfung bald in Apotheken möglich
AvP: Umstrukturierungen sind Grund der Probleme
Die Ärzte- und Apothekerbank will derweil Apothekern, denen die AvP große Summen schuldet, mit Kreditlinien und Überbrückungskrediten helfen. Das sagte eine Banksprecherin in Düsseldorf.
AvP hatte zunächst angegeben, nicht reibungslos verlaufene Umstrukturierungen seien der Grund für die Probleme. So steht es in einem Rundschreiben der AvP an ihre Kunden. „Die letzten Tage waren sehr turbulent und die Nachrichten über AvP haben sich überschlagen“, heißt es darin. „Ein großer Teil von ihnen hat deshalb die schlimmsten Befürchtungen um sein wohlverdientes Geld, auch weil Mitbewerber diese Gerüchte emotional zum eigenen Vorteil nutzen.“
- Auch interessant: Welche Krise? Diese Branchen sind echte Corona-Gewinner
Die ausstehenden Zahlungen sollen „sicher auf dem Weg“ sein
„Die Zahlungen für Ihre Rezepte sind sicher auf dem Weg“, verspricht AvP- Gesellschafter Mathias Wettstein in dem Rundschreiben. Dem Nachrichtenportal „Apotheke Adhoc“ zufolge hat Wettstein die Umstrukturierungen näher erläutert: Danach handelt es sich um IT-Probleme durch einen Dienstleisterwechsel – doch daran zweifeln etliche Apotheker.
„Da hängen rund 3500 Apotheken am Fliegenfänger“, sagte ein Apotheker aus Nordrhein-Westfalen, der nicht genannt werden will, der Deutschen Presse-Agentur. Bislang habe er weder eine Abschlagszahlung noch vernünftige Informationen erhalten: „Hoffentlich bahnt sich da kein zweites Wirecard an.“
- Lesen Sie dazu: Wirecard-Bilanzskandal: Was wusste Kanzlerin Angela Merkel?
- Verbraucher: Wirecard: Wie Kleinanleger jetzt um Schadenersatz kämpfen
- Kommentar: Wirecard: Warum der Untersuchungsausschuss überfällig ist
Es geht um bis zu 400.000 Euro – pro Apotheke
AvP zähle zu den großen Abrechnungszentren mit „wohl rund 3500 Kunden“, sagt Bernhard Bellinger, Steuerberater und Rechtsanwalt in Düsseldorf. „Das wäre etwa ein Fünftel des deutschen Marktes.“
Bellinger, der viele Apotheker vertritt, sagt weiter: „Die Beträge, um die es geht, sind gesalzen. Das sind durchaus bis zu 400.000 Euro pro Apotheke, die ausstehen – im Durchschnitt wahrscheinlich rund 120.000 Euro.“ Den vom Zahlungsverzug betroffenen Apotheken, so warnt der Anwalt, „droht im schlimmsten Fall die Zahlungsunfähigkeit“. (max/dpa)
Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Wirtschaft