Hamburg. Rund 16 Kilometer liegen zwischen der Zentrale des Familienunternehmens Arthur Krüger in Barsbüttel und Altona. Aber dennoch fühlte sich Geschäftsführer Nils Krüger Mitte März nach dem Start der Corona-Krise dorthin versetzt. „Teilweise ging es bei uns zu wie auf dem Fischmarkt“, sagt Krüger.
Die Firma handelt seit 82 Jahren mit Kunststoffen, schneidet diese in ihren Werkstätten individuell für ihre Auftraggeber zu und verarbeitet sie zu Endprodukten. Als sich das Virus ausbreitete und das öffentliche Leben und die Wirtschaft stark heruntergefahren wurden, gingen auch bei Arthur Krüger die Umsätze stark zurück. Doch die Mitarbeiter hatten eine Idee: Spuckschutzwände.
„Wir haben das Produkt innerhalb weniger Tage entwickelt“, sagt Nils Krüger. Die durchsichtigen Platten zur Abtrennung des Kassenbereichs, um Mitarbeiter und Kunden in Geschäften vor dem Virus zu schützen, waren ohnehin vorrätig. In der Werkstatt wurden Füße gefräst und als Stecksystem angeboten.
„Die Kunden haben uns die Ware aus den Händen gerissen“, sagt Krüger – wie auf dem Fischmarkt. Der Umsatz im Bereich transparente Kunststoffe sei um mehr als 20 Prozent gestiegen. Städte, Gemeinden und große Unternehmen hätten sie für den Einsatz im Empfangs-, Zahlungs- und Anmeldebereich gekauft. Ein Spuckschutzwand gibt es ab 100 Euro. Optional sind Durchreichen, Sprechlöcher und Logos darauf möglich. Viele Kunden kauften nur die Platte und bauten ihre eigene Konstruktion.
Die Schutzwände waren zwischenzeitlich ausverkauft
Beratung mit Materialkunde hätten die meisten Kunden nicht gewollt. Hauptsache, die Ware werde schnell geliefert. Dabei gebe es beim Kunststoff große Unterschiede. Erste Scheiben würden jetzt schon blind, weil sie nicht richtig gepflegt worden seien, hat Krüger festgestellt: „Ein bisschen Liebe braucht der Kunststoff schon, damit er gut aussieht.“
Am besten geeignet sei ein spezielles Acrylglas. Dies könne man einfach mit Wasser und Spülmittel reinigen. Teilweise habe man die gewünschte Stückzahl reduzieren müssen, damit auch andere Kunden noch zum Zuge kommen. Zwischenzeitlich wurde sogar „ausverkauft“ gemeldet.
Das klingt gut. Kann die Branche insgesamt von der Corona-Krise sogar profitieren? Zumal mehr Desinfektionsmittel in Plastik verpackt hergestellt wurden? Und Gastronomen wochenlang nur außer Haus in Behältern verkaufen durften? Nein, insgesamt gebe es einen „deutlichen Einbruch“, sagt Oliver Möllenstädt, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands Kunstoffverarbeitende Industrie (GKV). Das hänge vor allem an der Autoindustrie, die für ein Viertel des Umsatzes sorge und in der Corona-Krise deutlich weniger Ware abnimmt.
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Auch beim Hamburger Händler und Hersteller Albis Plastics sind die Autobauer wichtige Abnehmer. Weil man jedoch Kunden aus verschiedenen Bereichen habe, sei die wirtschaftliche Entwicklung im ersten Quartal unterm Strich stabil gewesen. So sei die Nachfrage nach medizinischen Kunststoffen stark gestiegen, die zum Beispiel in Atemschutzmasken, Beatmungsgeräten und anderen medizinischen Bedarfsgütern zum Einsatz kommen, teilt Albis Plastics auf Anfrage mit.
Firma Krüger hatte noch eine zweite Idee: Gesichtsschutzvisiere
Nach GKL-Angaben sehr gut gelaufen ist der Verpackungsbereich für Medizin- und Hygieneprodukte wie Desinfektionsmittel sowie für Konsumprodukte wie Käse und Wurst. Boxen für Mittagessen hätten hingegen kaum zugelegt. Entsprechend ist die Stimmung in der Industrievereinigung Kunststoffverpackungen gemischt.
Von 120 befragten Firmen meldeten zwar 54 Prozent im April eine Zunahme an Aufträgen, aber auch 37 Prozent einen Rückgang. Allerdings erwartet über die Hälfte der Befragten für den Mai ein leichtes bis starkes Minus der Nachfrage.
Die Firma Krüger hatte übrigens noch eine zweite Idee: Gesichtsschutzvisiere. Sie kosten 9,95 Euro pro Stück bei Mindestabnahme von zehn Exemplaren. „Wir könnten schnell hohe Stückzahlen liefern“, sagt Krüger. Bisher liege die Nachfrage bei null. Offenbar würden in dem Bereich andere Anbieter bevorzugt.
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