Hamburg. „Gucken Sie mal, so schnell geht das.“ Jörg Meyer steht in der Obst- und Gemüseabteilung des Edeka-Marktes in der Rindermarkthalle und hält sein Smartphone vor das Preisschild der Granatäpfel. Es dauert nur einen Moment, bis die Kamera den Code auf dem Etikett erfasst hat. Jetzt noch die Mengenangabe eingeben. Fertig. Genau so geht es mit Brot, Butter oder Milch. Alle 50.000 Artikel im Laden können die Kunden in dem Hamburger Supermarkt direkt am Regal einscannen und bezahlen.
Die App, die das möglich macht, heißt Koala und kommt von einem kleinen Elmshorner Tech-Start-up. „Die Möglichkeiten sind enorm“, sagt Kaufmann Meyer. Gestartet war die digitale Bezahloption in der Rindermarkthalle Mitte März. Davor gab es bereits Testläufe in zwei Pinneberger Meyer-Märkten. „Durch die Auswirkungen der Coronakrise wird der Einkauf ohne Kasse noch interessanter, weil er viele Ansteckungsquellen ausschließt“, sagt Meyer.
Edeka-Kaufmann ist als Gesellschafter eingestiegen
In der Rindermarkthalle weisen Schilder mit einem stilisierten Koalabären auf den neuen Service hin. Es gibt Flyer, die die Nutzung erklären. Eine größere Einführungsaktion ist zwar zunächst auf unbestimmte Zeit verschoben worden. „Aber das Interesse bei den Kunden ist da“, sagt Koala-Mitgründer Christoph Schönfelder. Gemeinsam mit dem IT-Spezialisten David Scharfschwerdt, mit der er die Softwarefirma FESforward betreibt, hat er die neue Technologie entwickelt. Der Firmenname Koala steht für „Kaufen ohne Aufwand und langes Anstehen“.
Kaufmann Meyer, der neun Supermärkte zwischen Sylt und Stade betreibt, ist als Gesellschafter eingestiegen. „So, wie wir es machen, gibt es das noch nicht. Wir sind Vorreiter und wollen weitermachen“, sagt der 52-Jährige und rät anderen Einzelhändlern, sich mit dem System zu beschäftigen.
Das Prinzip ist einfach: Kunden laden sich die Koala-App kostenlos herunter. Für die Registrierung müssen Name und Alter angegeben sowie eine Kreditkarte hinterlegt werden. Danach lassen sich über das Kunden-WLAN beliebig viele Artikel einscannen. Die Bezahlung erfolgt direkt über das Kreditkartenkonto. Wenn die Einkaufsliste abgearbeitet ist, gehen die Koala-Kunden statt zur Kasse zu einer sogenannten Fast Lane (englisch für Überholspur) und checken sich mit einem Ausgangscode aus. Alternativ würde das auch an einer regulären Kasse funktionieren – dann mit dem Vorteil, dass nicht alle Einkäufe noch mal aufs Band gelegt werden müssen.
Bezahlen mit Koala: Resonanz ist sehr gut
„In Pinneberg ist die Resonanz sehr gut“, sagt Christoph Schönfelder. Interne Zielvorgabe sei bei dem Start des Pilotversuchs gewesen, innerhalb eines Monats 200 registrierte Koala-Kunden zu haben. „Tatsächlich hatten wir schon am zweiten Tag 200 aktive Nutzer“, so der 34-jährige Betriebswirt. Inzwischen nutzten in dem Markt mehr als 700 Kunden die App regelmäßig, darunter auch viele Ältere. Anfangsschwierigkeiten wie lange Ladezeiten und Softwareabstürze hat das Entwicklerteam inzwischen in den Griff bekommen.
Im Moment arbeiten die Elmshorner daran, auch Pfandbons über Koala gutschreiben zu lassen. „Wir verzeichnen weiterhin steigende Nutzerzahlen“, so Gründer Schönfelder. Das habe sicher auch mit den Vorsichtsmaßnahmen wegen Covid-19 zu tun. Parallel stiegen auch die digital bezahlten Umsätze, auf inzwischen mehr als 70.000 Euro insgesamt.
App Koala könnte wichtige Entlastung sein
„Wir haben dafür keine Kassiererin eingespart und haben das auch nicht vor“, betont Edeka-Kaufmann Meyer. Er sieht für die Zukunft nach der Krise weitere Vorteile. Unter anderem kann er sich vorstellen, dass in Randöffnungszeiten keine Mitarbeiter mehr im Laden sind, Kunden aber über die App digital bezahlen können. „Wir haben inzwischen massive Probleme, Mitarbeiter zu finden. Das wäre eine wichtige Entlastung.“ Auch am Standort auf Sylt plant der Geschäftsmann Sonntagsöffnungen ohne Personal. Der Start ist für Spätsommer diesen Jahres geplant.
Bedenken vor vermehrten Diebstählen hat er nicht. „Wir gehen davon aus, dass die Kunden, die sich registrieren lassen, auch legal bei uns einkaufen wollen“, sagt Meyer. Außerdem gebe es bereits jetzt stichprobenartige Kontrollen nach dem Check-out. Einige Kunden hätten trotzdem Wege gefunden, ihre Waren nicht zu bezahlen. „Diese Lücke haben wir inzwischen geschlossen“, sagt er. Drei besonders dreiste Betrüger hat er verklagt. Auch Bedenken wegen des Datenschutzes müsse niemand haben, so Meyer. Nur wenige Grunddaten würden registriert. Diese wären geschützt und würden nicht weitergegeben.
Mobiles Bezahlen ist ein wichtiger Trend im Handel
Mobiles Bezahlen ist ein wichtiger Trend im Handel. Nach einer Studie des Marktforschungsinstituts IFH Köln mit dem Management- und IT-Berater Capgemini akzeptieren Kunden besonders bei kleinen Einkäufen keine Wartezeiten über fünf Minuten (89 Prozent). Nach der Umfrage werden elektronische Preisschilder (61 Prozent), Selbstbedienungskassen (49 Prozent) und mobiles Bezahlen (32 Prozent) positiv wahrgenommen. In der Realität werden etwa sogenannte Selbstscanner-Kassen, wie sie unter anderem bei Ikea, teilweise auch in Rewe-Märkten stehen oder standen, in Deutschland allerdings sehr zögerlich angenommen.
Coronavirus – die Fotos zur Krise
Die Macher von Koala sehen sich auf dem richtigen Weg. „Wir sind die einzige unabhängige App-Lösung ohne weiteren Kontaktpunkt“, sagt Christoph Schönfelder. Wichtig sei dabei: Die Nutzung ist nicht an einen Anbieter gebunden, sondern es lassen sich Einkäufe bei unterschiedlichen Läden abwickeln. In den vergangenen Wochen gingen bei den Elmshornern Anfragen aus ganz Deutschland ein.
Nach Edeka Meyer hat der Hamburger Händler Struve einen Test mit der Filiale am Großen Burstah gestartet. Es gebe auch Gespräche mit großen Filialisten, etwa aus den Bereichen Drogeriewaren, Biowaren und Baumärkten sowie Tankstellen. Seit Beginn der Coronakrise haben sich zwei weitere Einzelhandelsketten mit Anfragen gemeldet. Für ein Zwei-Mann-Unternehmen ein Riesenschub. „Wir wollen die App weiterentwickeln und sind jetzt auf Investorensuche“, so Schönfelder. Erste Kontakte gebe es bereits.
Informationen zum Coronavirus:
- Die Stadt Hamburg informiert die Bürger auch online über das Coronavirus. Zusätzlich gibt es eine Hotline: 040 42828-4000
- Das Robert-Koch-Institut beantwortet häufig gestellte Fragen zu SARS-CoV-2
- Auch das Bundesgesundheitsministerium hat eine eigene Informationsseite zum Virus eingerichtet
Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Wirtschaft