Hamburg. An der Hoheluftbrücke gehört er seit fünf Jahren zum gewohnten Bild. Mit seinem Lastenrad steht Christoph Zettler ab dem Nachmittag an der U-Bahn-Station und verkauft seine vorgepackten Portionen mit Abendessen – kurz: Chris’ Kochtüte. Doch nun ist es damit vorbei. Der 37-Jährige wird zwar weiter regelmäßig in Richtung des Bahnhofs radeln, aber nur um seine Waren in einen Kühlschrank zu stellen, der in der Bäckerei beim benachbarten Edeka Boldt steht. Mit einem Rückzug hat das nichts zu tun – im Gegenteil. „Jetzt will ich es wissen“, sagt Zettler.
Der Diplom-Volkswirt will kräftig expandieren. Bisher gibt es sein Angebot lediglich an zwei Orten in Hamburg. Neben der Hoheluftbrücke konnten die Tüten im Blumenladen an der U-Bahn-Station Schlump gekauft werden. Am heutigen Montag werden sieben weitere Verkaufsstellen hinzukommen: der Plattenladen Groove City im Karoviertel, der Kreativ-Design-Shop ‘s Fachl in Ottensen, die Kaffeerösterei Burg in Hoheluft-Ost, das Feinkostgeschäft Genussfaktorei in Winterhude und drei Kioske an der Osterstraße, am Großen Burstah und in der U-Bahn-Station Mundsburg.
Jungunternehmer muss kräftig investieren
Mit den Besitzern der Geschäfte habe er das persönliche Gespräch gesucht und ihnen vorgeschlagen: „Ich zahle ein bisschen Miete – und ihr gebt die Kochtüten heraus“, sagt Zettler. Offenbar kam die Idee an. Allerdings muss der Jungunternehmer auch kräftig investieren. Für jede neue Verkaufsstelle braucht er einen Kühlschrank, indem seine Waren lagern. Denn wer Chris’ Kochtüte kauft, bekommt ein Rundumsorglos-Paket. Neben der Anleitung für die Zubereitung stecken in der braunen Papiertüte alle Zutaten für ein Gericht – also auch zu kühlende Waren wie Käse, Fisch oder Fleisch.
Auf die Idee zu seiner Firmengründung kam er auf dem Rückweg von seiner früheren Arbeit bei einer Bank. Der Hobbykoch hatte Lust auf das Kochen eines guten Abendessens – aber überhaupt keinen Spaß am Einkaufen im Supermarkt und dem Schlangestehen an der Kasse. Also dachte er: Wenn jetzt einer hier stehen und alles aus einer Hand verkaufen würde, da würde er zugreifen. Es stand aber keiner da – also kündigte er seinen Job, gründete sein Start-up Chris’ Kochtüte und stand selbst da.
Konkurrent Aldi bietet Kochboxen an
Eine Idee, die früher schon einmal der Discounter Lidl und jüngst dessen Rivale Aldi Süd verfolgte. Seit dem 24. Februar bietet Aldi in Süddeutschland Kochboxen an. Die Kunden können zwischen drei Gerichten auswählen und erhalten eine Schritt-für-Schritt-Anleitung. Über einen QR-Code auf der Packung können sich die Käufer sogar ein Video der Zubereitung anschauen. „Vielleicht schaffen wir es, mit den Boxen auch weniger ambitionierte Hobbyköche zu überzeugen“, sagte Aldi-Manager Christoph Wenig. Die Kochboxen enthalten zwei Portionen, werden zunächst probeweise für vier Monate angeboten und kosten 4,49 Euro.
Damit liegen sie deutlich unter dem Preis, den Zettler aufruft. Bei ihm kostet eine Tüte für eine Person um die 6,50 Euro, für zwei Portionen werden etwa 12,50 Euro fällig. Zettler ist allerdings auch vor einem möglichen Einstieg von Aldi Nord in das Segment nicht bange. „Natürlich wäre das eine Konkurrenz. Aber ich habe eine andere Klientel. Meine Kunden gehen eher bei Edeka und Rewe einkaufen als bei Aldi.“ Außerdem sei das Aldi-Konzept nicht zu Ende gedacht, findet er. Denn: Die Kochboxen stehen im Obst- und Gemüseregal und nicht in der Kühlung. Das heißt im Klartext: Gekühlte Produkte wie Fleisch oder Milch sind in den Tüten nicht enthalten. „Also müssen sich die Kunden wieder Gedanken machen“, sagt Zettler. Und am Ende des Einkaufs stehen sie wieder in der Schlange an der Kasse an.
Kauf wird ausschließlich online abgewickelt
Wer Chris’ Kochtüte kauft, braucht kein Bargeld. Der Grund: Der gesamte Kauf wird online abgewickelt. Kunden müssen auf seine Homepage chriskochtuete.de gehen. Dort können sie sich die Speisekarte anschauen, die jeden Sonnabend neu rauskommt. „70 Prozent meiner Kunden wissen dann, welches Gericht sie wann haben wollen“, sagt Zettler. Vier Gerichte werden im wöchentlichen Wechsel aus seinem Angebot von 150 Rezepten wie Double Cheeseburger mit karamellisierten Zwiebeln und Rosmarinkartoffeln, mexikanische Quesadilla mit Avocadosalsa und Sour Cream und Allgäuer Kässpätzle angeboten: das erste mit Fleisch oder Fisch, das zweite ist vegetarisch, das dritte vegan und das vierte saisonal. Dann müssen die Kunden das Datum wählen, wann sie das Gericht abholen möchten und an welchem Verkaufsstand. Wer bis 12 Uhr bestellt, bekommt das Gericht noch am selben Tag. Bezahlt wird im Voraus per Paypal oder Kreditkarte.
Für den Geschäftsmann erhöht das die Planbarkeit deutlich. Hingegen haben Spontankäufer künftig schlechte Karten. „Ich werde in den Kühlschränken der Verkaufsstellen aber zwei bis drei Glückstüten disponieren“, sagt Zettler. Also Tüten, die nicht vorbestellt wurden. Wer sie erwerben will, muss aber auch die passende Technik zur Hand haben und digital bezahlen – im Laden geht es nicht.
Auch Büros lassen sich beliefern
Zettler und einer seiner Mitarbeiter packen die Tüten am Vormittag in einen Lagerraum im Keller des Fleischgroßmarktes. Um 12 Uhr setzen sie sich auf zwei Lastenräder mit Kühlung und in das Firmenauto und fahren die Kochtüten bis spätestens 15 Uhr zu den Verkaufsstellen – und möglichst auch in Büros. Denn der St. Paulianer möchte sich einen weiteren Vertriebsweg erschließen. „Von dem Bürolieferservice verspreche ich mir einiges“, sagt Zettler. Im Sommer 2018 habe er das schon einmal probiert. Eine Marketingagentur aus de HafenCity sei auf ihn zugekommen. Dort bestellten Mitarbeiter ihre Wunschgerichte, die er ihnen lieferte. Zehn bis 20 Portionen hätten sie im Schnitt geordert. Aber der gesamte Bestellprozess sei noch händisch abgelaufen, das habe Zeit gekostet. Auf der Grundlage der neuen Webseite soll diese Arbeit nun die Technik erledigen. Auch Privatleute können bestellen, der Mindestumsatz bei Lieferung liegt bei 20 Euro. Das Liefergebiet reicht von Altona über Eimsbüttel, Winterhude, Uhlenhorst und die City.
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Für das Aufrüsten der Technik und die erste Werbekampagne in der jungen Unternehmensgeschichte nimmt er nochmals ordentlich Geld in die Hand. Einige Zehntausend Euro investierte er bisher, eine ähnliche Summe plant er nun für die Expansionsoffensive ein. Die Firma schreibe eine schwarze Null, auch weil Zettler selbst sich nur ein schmales Gehalt auszahlt. „Ich liebe meinen Job. Aber jetzt ist die Phase, wo ich sage: Alles oder nichts.“ Auch wenn er nie groß in den Urlaub fahre oder nur selten neue Klamotten kaufe. An guten Tagen verkaufe er rund 120 Essensportionen. Wenn er künftig 100 Kochtüten für zwei Personen absetze, dann würde das Start-up einen guten Gewinn abwerfen, sagt Zettler. Auf eines wird er allerdings bei seinem neuen Geschäftsmodell verzichten müssen: Gespräche mit den Kunden wie bisher an der Hoheluftbrücke. Zettler: „Das ist sehr schade, ich mag den persönlichen Kontakt.“
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