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Hamburger Start-up bringt Meeresalgen auf den Tisch

| Lesedauer: 8 Minuten
Die „Nordic Oceanfruit“-Gründer Deniz Fiçicioglu (l.) und Jacob von Manteuffel bei der Produktion ihrer Meeressalate.

Die „Nordic Oceanfruit“-Gründer Deniz Fiçicioglu (l.) und Jacob von Manteuffel bei der Produktion ihrer Meeressalate.

Foto: Andreas Laible

Starkoch Christian Rach unterstützt Gründer von Nordic Oceanfruit bei der Entwicklung von Feinkostsalat mit Wasserpflanzen.

Hamburg/Schwarzenbek. Der Sud ist gerade fertig, der Kessel noch warm. 20 Minuten lang hat das Dressing aus Senfkörnern, Apfelsaft, Karotte und Kohl vor sich hingeköchelt, jetzt kann es weiterverarbeitet werden – und mit der letzten, der wichtigsten Zutat vermengt werden. Ohne sie wäre es ein Feinkostsalat wie viele andere. Aber mit dieser Zugabe wird es zu etwas Einzigartigem, das es in dieser Form in Deutschland noch nicht gibt, sagen Jacob von Manteuffel (28) und Deniz Fiçicioglu (36).

Sie sind die Gründer von Nordic Oceanfruit. Das Start-up produziert Meeressalate – aus Algen. Meeresssalat nennen es die Jungunternehmer, weil das „positive Assoziationen weckt“, sagt Deniz Fiçicioglu. „Bei Meer und Salat denken die Menschen an Urlaub, Sonne und leckeres Essen. Bei Algen kommt vielen erst einmal das schleimige Zeug vom Strand in den Sinn. Das wollten wir vermeiden.“

Die Algen, die Nordic Oceanfruit zu Meeressalaten verarbeitet, haben nichts mit dem angeschwemmten Grünzeug am Strand zu tun. Das betonen die Gründer immer wieder. „Unsere Algen stammen von zwei speziellen Produzenten in Norwegen und Irland“, sagt Jacob von Manteuffel, der während seines Studiums einen Dokumentarfilm über Algenfarmen auf der ganzen Welt gedreht hat.

„Eigentlich wollte ich nur zeigen, dass Algen eine Lösung für die Probleme in der Landwirtschaft und deren Auswirkung auf das Klima sein können“, sagt von Manteuffel. Bei den Gesprächen mit den Züchter und dem Anblick der Aquakulturen sei ihm dann jedoch die Idee gekommen, den Verbrauchern das Thema Algen selbst schmackhaft zu machen.

Der ehrgeizige Plan der Gründer

„Da unsere Erde zu 70 Prozent von Wasser bedeckt ist und Algen sonst nichts weiter für ihre Entstehung brauchen, sind sie einfach das ideale Nahrungsmittel“, findet der 28-Jährige. Doch er weiß, dass nicht alle das so sehen, dass die Vorbehalte gegenüber der Pflanzen aus dem Meer groß sind, bei einigen sogar Ekel erzeugen. Um das zu ändern, hat er sich vor einem Jahr mit der Kochbuch-Autorin und Food-Bloggerin Deniz Fiçicioglu zusammengetan. Die gemeinsame Mission: „Wir möchten erreichen, dass Algen eines Tages ein fester Bestandteil unseres Speiseplans sind.“ Ein ehrgeiziger Plan, doch die Gründer sind überzeugt, dass es klappen kann. „Schließlich waren Bananen oder Avocados einst auch exotische Lebensmittel und sind für uns heute ganz normal.“

Um das ambitionierte Ziel zu erreichen und die Verbraucher auf den Geschmack zu bringen, haben die beiden sich für Verarbeitung von Algen in Salat entschieden. „Uns war wichtig, ein verzehrfähiges Produkt zu kreieren“, sagt Deniz Fiçicioglu, die seit Langem in der Foodbranche arbeitet und weiß, worauf die Verbraucher Wert legen. „Niemand will Algen umständlich einweichen oder sich mit deren Zubereitung auseinandersetzen, sondern sie sofort essen können“, sagt die Lebensmittel-Expertin.

Bei der Rezeptentwicklung hat sie darauf geachtet hat, bekannte und beliebte Lebensmittel mit der Alge zu kombinieren. „Man sollte die Leute nicht mit dem Geschmack der Alge überfordern, sondern sie langsam an die Pflanzen heranführen.“

Wochenlang haben die Gründer aus Hamburg und Berlin Meeressalat-Rezepte entwickelt und wieder verworfen, bis sie sich schließlich für vier Geschmacksrichtungen entschieden: für Einsteiger im Graved-Stil mit fruchtig-süßer Dill-Senf-Sauce oder als Midsommersalat mit Roter Bete und scharfem Meerrettich. Für etwas Mutigere als Koreanischer Meeressalat mit Ingwer und Umami oder im Frutti-di-Mare-Stil mit Fenchel, Knoblauch und Sonnenblumenkernen.

650 Rewe-Märkte im Norden führen die Algensalate

Das war erst vor ein paar Monaten, und manchmal wundern sich die beiden Gründer selbst noch darüber, wie schnell danach plötzlich alles ging. Ihre Salate gibt es heute in mehr als 650 Rewe-Nord-Läden, Verhandlungen mit den Real-Supermärkten sowie der Biomarktkette denns laufen, es gibt die Anfrage eines Großhändlers aus den Niederlanden. Und das alles mit einem Produkt, das bisher nicht für den Massenmarkt gemacht zu sein schien.

„Eigentlich hatten wir nur ein paar Gläser an Händler geschickt, um von ihnen ein Feedback zu bekommen – und das Produkt dann weiterzuentwickeln“, erinnert sich von Manteuffel und erzählt, dass sie damals noch nicht mal richtige Etiketten hatten. Da die Resonanz jedoch so positiv war, stellten die Jungunternehmer ihr Produkt im Frühjahr kurzentschlossen beim Hamburger Food Innovation Camp von Hamburg Start-ups vor – und wurden mit dem Food Award ausgezeichnet.

Tipps vom Sternekoch

Da dieser jedoch eigentlich nur für Produkte vergeben wird, die bereits auf den Markt sind – Nordic Oceanfruit davon damals aber noch weit entfernt war – , wurde für die Macher des Meeressalates eigens der Sonderpreis „Best Product Idea“ geschaffen. „Der Koch Christian Rach, der in der Jury war, hat sich dafür eingesetzt“, sagt Fiçicioglu und erzählt, wie der Hamburger TV- und Sternekoch sie bei der Weiterentwicklung ihres Produktes unterstützte – und wie sie bei einem Workshop den Chef von Rewe-Nord von der Innovation überzeugten.

Seitdem läuft die Produktion auf Hochtouren. Seit vier Monaten wird der Meeressalat in einer Feinkostmanufaktur in Schwarzenbek (Kreis Herzogtum Lauenburg) östlich von Hamburg, hergestellt. Die Frische Werkstatt ist ein Spezialist für Mayonnaisen und Ketchup und beliefert unter anderem die Restaurantkette Schweinske – mit jeweils mehr als 30 Tonnen Ketchup und Mayo pro Jahr. Insgesamt werden hier mehr als 300 verschiedene Produkte hergestellt.

„Der Chef Frank Huth war im Gegensatz zu vielen anderen Produzenten bereit, sich auf das Abenteuer Alge einzulassen“, sagt von Manteuffel. Das Problem: Da es in der Lebensmittelbranche mit Algen kaum Erfahrung gibt, trauten sich viele Hersteller nicht an die Verarbeitung. In Schwarzenbek dagegen gab es keine Scheu vor dem unbekannten Rohstoff und man tüftelte lange an der optimalen Verarbeitung. „Die größte Herausforderung war, den hohen Jodgehalt zu reduzieren“, sagt Huth. Wie das gelungen ist, bleibt ein Betriebsgeheimnis.

Ein Gläschen mit 100 Milliliter kostet 3,29 bis 3,49 Euro

Der Anteil der Algen im Meeressalat liegt bei etwa 30 Prozent. „Sie sind biozertifiziert“, sagt von Manteuffel. Die übrigen Zutaten für die vier Salatvarianten liefert ein Bio-Großhändler aus der Region. Inzwischen wird in der Frische Werkstatt viermal pro Woche Meeressalat produziert – sortenrein, also jeweils nur eine Sorte pro Tag.

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„Hier schaffen wir bis zu 500 Gläser in 20 Minuten – früher haben wir für die gleiche Menge fünf Stunden gebraucht“, sagt Deniz Fiçicioglu. Bei Nordic Oceanfruit hat man sich bewusst für kleine Gläser à 100 Milliliter entschieden – „damit die Leute erst mal probieren können“, so die Devise. 3,29 bis 3,49 Euro kostet ein Gläschen Meeressalat, der kalt auf Brot, warm zu Pasta, Reis oder Bowls oder einfach so gegessen werden kann. „Etikettiert und für den Versand verpackt werden die Salate in einer nahe gelegenen Lebenshilfe-Werkstatt, in der Menschen mit Behinderung arbeiten“, sagt Deniz Fiçicioglu. Ihr Vorname ist türkisch. Er bedeutet: Meer.

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