Lebensmittel

Wilke-Wurst: Bericht spricht von Verwesungsgeruch im Aufzug

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Beate Kranz
Riesiger Milch-Rückruf – Aldi, Lidl, Rewe und mehr betroffen

Riesiger Milch-Rückruf – Aldi, Lidl, Rewe und mehr betroffen

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Wilke-Wurst landete nicht nur im Handel und in Krankenhäusern. Foodwatch-Chef kritisiert: Es wird „vertuscht, verschwiegen“.

Berlin. Die Wurst von Wilke ist nicht nur im Lebensmittelhandel, Krankenhäusern und Kantinen gelandet, sondern auch in Fertigprodukten. Dies hat das Verbraucherschutzministerium Hessen gegenüber der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch eingeräumt. Foodwatch geht die Aufklärung jedoch lange noch nicht weit genug. Deshalb hat die Organisation am Montag einen Prüfbericht der Behörden im Internet veröffentlicht.

Welche Produkte konkret betroffen sind, wollte das Ministerium aber nicht sagen. Die Wurst könnte beispielsweise auf Tiefkühlpizzen oder in Konserven gelandet sein. Zudem seien noch weitere als die bereits bekannten 1100 zurückgerufenen Produkte von einem möglichen Listerienbefall betroffen, berichtet Foodwatch am Sonntag.

Das Ministerium ging jedoch davon aus, dass alle Produkte bereits bei Rückrufen berücksichtig worden seien. „Sollte Wilke-Ware im Verlauf der Handelskette in Fertigprodukten verarbeitet worden sein, dann waren auch diese Produkte vom Rückruf eingeschlossen“, sagte eine Ministeriumssprecherin am Sonntag.

Bislang werden drei Tote mit dem Wurst-Skandal in Verbindung gebracht. Die Menschen sind offenbar nach dem Verzehr von Wilke-Wurst, die mit Listerien verunreinigt waren, gestorben, weitere 37 erkrankten an Listeriose. Die Produktion bei Wilke ist von hessischen Behörden Anfang Oktober gestoppt worden, nachdem gesundheitsgefährdende Keime in Wurstprodukten des Unternehmens gefunden wurden.

Verbraucherschützer kritisieren unverantwortliche Informationspolitik

Foodwatch kritisiert die Informationspolitik der Behörden als unverantwortlich. „Es wird gemauert, vertuscht, verschwiegen“, kritisiert der Foodwatch-Chef Martin Rücker. „Die hessischen Behörden unter der Verantwortung von Verbraucherschutzministerin Priska Hinz nehmen durch ihre verfehlte Informationspolitik weitere Erkrankungen billigend in Kauf“. Auch die neueste Antwort des Ministeriums auf die Anfrage von Foodwatch kam erst nach gut zwei Wochen.

Foodwatch hat nun selbst Fakten geschaffen und am Montag einen gut 30-seitigen Prüfbericht der Task Force Lebensmittelsicherheit des Regierungspräsidiums Darmstadt veröffentlicht. Der Bericht, den Foodwatch im Internet veröffentlichte, bezieht sich auf eine Betriebskontrolle am 2. Oktober bei Wilke in Twistetal-Berndorf, einen Tag nach der vom Kreis Waldeck-Frankenberg angeordneten Schließung des Betriebs.

Bericht über Wilke spricht von „Verwesungsgeruch“ im Aufzug

Der Bericht zur der Kontrolle listet bauliche und hygienische Mängel auf. Der Betrieb biete „ideale Bedingungen“ für die Vermehrung und Verbreitung von Listerien, heißt es. Und: „Der Betrieb im vorgefundenen Zustand bietet keine Gewähr für die Produktion sicherer Lebensmittel.“ An anderer Stelle ist von „Verwesungsgeruch“ in einem Aufzug die Rede, in dem auch Wurst und Fleisch offen transportiert worden seien. Ein Foto zeigt Schimmel an der Decke eines Gewürzlagers.

Der Foodwatch-Chef fordert seit Wochen die Offenlegung der kompletten Händlerliste von Wilke, um Verbraucher vor einem möglichen Verzehr zu warnen: „Sie müssen endlich alle bekannten Namen von betroffenen Herstellern, Marken, Produkten und Verkaufsstellen auf den Tisch legen.“

Interview: Foodwatch: Lebensmittelbehörden „katastrophal unterbesetzt“

Ministerium warnt vor allem Schwangere vor dem Verzehr

Die Behörden verhalten sich in dem Wurstskandal sehr widersprüchlich, kritisiert Rücker scharf. „In ihrer Verbraucherhotline zum Wilke-Rückruf empfehlen die hessischen Behörden eigenen Angaben zufolge Schwangeren, die zurückgerufene Wilke-Produkte gegessen haben, ,auch ohne Symptome’ einer Erkrankung einen Arzt aufzusuchen“, so die Verbraucherschützer.

Demnach stufen die Behörden selbst das Wissen, ob Wilke-Produkte verzehrt wurden, als gesundheitsrelevant ein. Gleichzeitig werden weiterhin die Namen von Abgabe- und Verkaufsstellen verschwiegen und die Verbraucher im Unklaren gelassen, bemängelt Rücker.

Das Verbraucherschutzministerium in Hessen hatte zunächst seine Antwort gegenüber Foodwatch bestätigt. Welche Hersteller von Fertigprodukten betroffen sind, teilte die Behörde aber nicht mit. Später erklärte eine Sprecherin, dass man dies gar nicht wissen könne: „Da Wilke an 23 EU-Staaten und Drittstaaten ausgeliefert hat, können wir entlang dieser langen Handelskette nicht ausschließen, dass es an einem Punkt auch zu Weiterverarbeitungen gekommen sein könnte - auch solche Ware ist vom Rückruf betroffen und eingeschlossen.“

Informationspolitik ungenügend und langsam

Die Informationspolitik im Wurst-Skandal um Wilke ist von Beginn an dürftig. So war die jüngste Meldung über Wilke-Wurst in Fertiggerichten noch nicht auf dem Verbraucherportal der Bundesländer „Lebensmittelwarnung.de“ eingestellt. Die Verbraucher wurden dort auch erst am 18. Oktober vor einer möglichen Keimbelastung von Wilke-Wurst (mit Identitätskennzeichen „DE EV 203 EG“) in Wursttheken, Krankenhäusern und Kantinen gewarnt.

Eine konkrete Wilke-Rückrufliste von mehr als 1100 Produkten, die möglicherweise mit Listerien belastet sein könnten, wurde erst eine Woche nach Schließung der Wilke-Produktion am 7. Oktober veröffentlicht.

Foodwatch fordert grundlegende Reform der Lebensmittelüberwachung

Angesichts des Wurstskandals beim Hersteller Wilke fordert die Verbraucherorganisation Foodwatch eine grundlegende Reform der Lebensmittelüberwachung. Künftig sollte es in jedem Bundesland eine einzige, eigenständige und unabhängige Landesanstalt für Lebensmittelüberwachung geben, statt wie bisher die Kontrollen auf Landkreisebene zu organisieren.

„Die Lebensmittelüberwachung hat ein System-Problem: Die Behörden von Ländern und Kommunen sind sowohl der Förderung der regionalen Wirtschaft und dem Erhalt von Arbeitsplätzen verpflichtet als auch der Kontrolle der Unternehmen – ein permanenter Interessenkonflikt, den es aufzulösen gilt“, sagte Oliver Huizinga, Leiter Recherche und Kampagnen bei Foodwatch.

Warum sind Schwangere von dem Wurst-Skandal besonders betroffen?

Hintergrund der Empfehlung des Ministeriums an Schwangere ist laut Foodwatch, dass eine Listeriose auch unbemerkt ohne Symptome verlaufen kann. Allerdings kann die Krankheit zur gleichen Zeit auf das ungeborene Kind übergehen. Die Inkubationszeit beträgt nach Angaben des Robert-Koch-Instituts bis zu 67 Tage.

Hintergrund: Listerien: Woher sie kommen, warum sie gefährlich sind

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