Berlin. Ein Gewerbegebiet in der Nähe von Köln: Am frühen Morgen stehen hier Männer in kleinen Gruppen auf der Straße. Autos und Lieferwagen kommen angefahren. Die Insassen sprechen kurz mit den Wartenden, bis diese einsteigen – und auf Baustellen gefahren werden. Dort arbeiten sie dann für einige Euro in der Stunde, schwarz und unversichert.
Gleich mehrfach beschreibt Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch eine solche Szene, die sich nicht nur in Köln, sondern auch in anderen deutschen Städten abspielen könnte. Sie soll zeigen, was noch immer falsch läuft auf dem deutschen Arbeitsmarkt und weshalb Scholz jetzt ein Gesetz vorgelegt hat, das illegale Beschäftigung und Sozialleistungsbetrug eindämmen soll. Den „Arbeiterstrich“ in Köln soll es bald nicht mehr geben.
Gesetz könnte noch dieses Jahr in Kraft treten
Als Finanzminister ist Scholz für den Zoll zuständig, der wiederum mit seinen Beamten die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FSK) übernommen hat und die Arbeitsbedingungen auf Baustellen, in Gaststätten und vielen anderen Bereichen der Wirtschaft überprüft. Als SPD-Politiker ist Scholz natürlich auch daran interessiert, dass die Sozialdemokraten bei solchen Themen Flagge zeigen.
Die Bundesregierung hat das Gesetz deshalb am Mittwoch auf der Kabinettssitzung beschlossen. Stimmt der Bundestag im Laufe der nächsten Monate zu, soll es dieses Jahr in Kraft treten.

Zoll soll mehr Personal und Kompetenzen erhalten
„Ich verspreche mir von diesem Gesetz mehr Ordnung, mehr Fairness, weniger Missbräuche und damit ein gerechteres Deutschland auf dem Arbeitsmarkt“, sagt Scholz. „Das wäre ein guter Fortschritt.“ Damit das gelingt, soll der Zoll mehr Personal und mehr Kompetenzen bekommen.
Die Beamten sollen engeren Kontakt mit anderen Behörden halten und Informationen austauschen können. Illegale Beschäftigung und Sozialbetrug sollten möglichst gar nicht erst entstehen, sagt der Minister. Das sei der Hauptzweck des Gesetzes.
Bald kann bei Verdacht auf Ausbeutung ermittelt werden
Im Fall der Kölner Tagelöhner bedeutet das: Derzeit hätte der Zoll erst dann eingreifen können, wenn die Männer auf der Baustelle angekommen wären und ihre Arbeit aufgenommen hätten. Die Beamten dürften derzeit mit den Wartenden noch nicht einmal reden, um herauszufinden, weshalb sie im Gewerbegebiet herumstehen würden, kritisiert Scholz.
Künftig könnten sie auch bei Verdacht auf Arbeitsausbeutung ermitteln und damit die Arbeit der Polizei ergänzen. Auch die Bedingungen, zu denen ausländische Arbeiter in Deutschland untergebracht seien, soll der Zoll stärker kontrollieren. Diese sind oft in Tarifverträgen geregelt, werden aber manchmal unterlaufen. Scholz nennt als Beispiel „Matratzenlager“ in der Nähe von Baustellen, in denen Bauarbeiter weder Heizung noch Toiletten hätten.
Zoll darf Telefon und E-Mails stärker überwachen
Um Sozialbetrug, etwa mithilfe von erfundenen Rechnungen, aufdecken zu können, sollen der Zoll, die Ausländerbehörde und die Sozialversicherungsträger enger zusammenarbeiten. Sie sollen leichter auf Daten anderer Behörden zugreifen. „Wir werden unterschiedliche Informationen zusammenführen und systematisch gesellschaftliche Missstände aufdecken“, ist der SPD-Politiker überzeugt.
Konkret soll der Zoll mehr Befugnisse bei der Überwachung von Telefon und E-Mails von Verdächtigen bekommen sowie bei ihrer erkennungsdienstlichen Behandlung. Wenn Arbeitslohn nicht gezahlt werde, solle der Zoll auch selbst als eine Art „kleine Staatsanwaltschaft“ auftreten und das Ermittlungsverfahren selbstständig durchführen können.
Stärkere Kontrollen von Kindergeldempfängern aus EU-Ausland
Verstärkt soll der Zoll auch gegen bandenmäßigen Sozialbetrug vorgehen, wie er im Baugewerbe zu finden ist. Dort ist oft nicht klar, wer wirklich für das eingesetzte Personal verantwortlich ist, weil zu viele Subunternehmen beteiligt sind, die sich gegenseitig fingierte Rechnungen ausstellen. Diese Scheinrechnungen würden wie eine Ware gehandelt, berichtet Scholz. Dies diene dem Zweck, Lohnsteuer und Sozialbeiträge zu hinterziehen.
Scheinrechnungen sollten deshalb künftig als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Auch EU-Ausländer, die in Deutschland Kindergeld beziehen, sollen vom Zoll stärker kontrolliert werden, ob sie wirklich arbeiten. Im Zweifel könnten die Familienkassen Zahlungen künftig vorläufig einstellen, so Scholz.
Scholz will 3500 Beamte zusätzlich einstellen
Kritikern, die in all diesen Maßnahmen eine zunehmende Überwachung sehen, widerspricht Scholz. Die besseren Kontrollmöglichkeiten seien mit dem Rechtsstaat vereinbar. Der Minister erwartet, dass sich die intensiveren Kontrollen bald in der Statistik auswirken: „Wir werden viel mehr Missbrauch identifizieren, als wir heute kennen. Die Zahlen werden erschreckender werden“, sagte er. Im zweiten Schritt werde der Missbrauch dann aber zurückgehen.
3500 zusätzliche Beamte will Scholz für die intensiveren Kontrollen einstellen. Sie sollen den ohnehin geplanten Aufbau des Personals um 10.000 Stellen noch verstärken. Auf die Frage, ob dafür im Bundeshaushalt genügend Geld vorhanden sei, antwortete Scholz: „Ich habe mit dem Finanzminister gesprochen.“
Das Ergebnis dieses Gesprächs war, dass der Minister sich selbst mehrere Hundert Millionen Euro pro Jahr bewilligt hat. Ab 2030, wenn alle Stellen besetzt sein sollen, kostet das jährlich 450 Millionen Euro zusätzlich. Der Schaden, der dadurch pro Jahr möglicherweise verhindert werden kann, ist doppelt so hoch.
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