Hamburg. Kaum vorstellbar, dass es mal ein Leben ohne Internet gegeben hat. Gut 90 Prozent aller Menschen in Deutschland im Alter ab zehn Jahren nutzen es. Doch jeder User hinterlässt eine Datenspur. Wie das funktioniert und was das bedeutet, erläutern die Professoren Hans-Heinrich Trute und Hannes Federrath.
Professor Trute, weiß Ihr Smartphone, wo Sie gerade sind?
Hans-Heinrich Trute: Im Zweifel weiß es das.
Wodurch?
Trute: Ich denke, dass GPS und Apps aktiviert sind.
Wer weiß denn, dass Sie beim Hamburger Abendblatt sind?
Trute: Sicher ist, dass es Google weiß. Weil ich vorher gegoogelt habe, wie ich zur Redaktion am Großen Burstah komme.
Ist diese Information über Sie von Nachteil oder Vorteil?
Trute: Das ist mir zunächst einmal egal. Aber es kommt natürlich auf den Kontext an. Daten können in verschiedene Kontexte gelangen und dadurch ganz unterschiedliche Bedeutungen erlangen. Dieser mögliche Wechsel der Kontexte und Verknüpfungsmöglichkeiten ist es, der das Bundesverfassungsgericht in seinem Volkszählungsurteil davon hat sprechen lassen, dass es kein belangloses Datum mehr gibt.
Prof. Federrath, was übermittelt ein Smartphone an Nutzerdaten?
Federrath : Innerhalb des Betriebssystems werden zahlreiche Daten erhoben. Zum Beispiel, wo sich der Nutzer aufhält. In städtischen Bereichen ist die Lokalisierung bis zu zehn Metern genau. Zudem werden meine Kontakte im Netz gespeichert, es ist bekannt, welche Apps installiert sind. Und es wird übermittelt, welche Webseite ich besuche.
Warum wird das gemacht?
Federrath: Einerseits sind Daten notwendig, damit bestimmte Dienste angeboten werden können. Denken wir an Navigationssysteme. Andererseits kann damit zielgerichtet Werbung gemacht werden. So kann ich per Bluetooth, wenn ich mich innerhalb eines Ladens befinde, eine Kaufempfehlung unmittelbar vor einem Regel bekommen. Schlimm ist, dass solche Empfehlungsdienste heute ohne Einwilligung arbeiten. Die Daten werden erhoben für Zwecke, in die wir nicht eingewilligt haben. Am Ende bekommen wir trotzdem diese Werbung.
Oder man bekommt in den sozialen Netzwerken Freundschaftsanfragen.
Federrath: Nehmen wir Instagram. Da gibt es die Möglichkeit, Freundschaftsbeziehungen zu ermitteln. Dafür wird auch die Lokalisierung genutzt. Allein aus der Tatsache, dass zwei Menschen eng beieinander waren, können Sie Schlussfolgerungen auf Beziehungen ziehen.
Können diese Daten Privatdetektive nutzen?
Federrath: Vor allem werden diese Daten genutzt, um sie meinem Gesprächspartner anzubieten, ohne dass ich mit dieser Person befreundet bin. Es reicht völlig, dass mehrere Menschen für begrenzte Zeit an einem Ort waren. Dies wird dann interpretiert als eine Beziehung mit vielleicht gemeinsamen Interessen. Damit kann der soziale Bereich für Werbung vergrößert werden.
Sie haben bestimmt Ihren Namen gegoogelt. Was haben Sie entdeckt?
Trute: Man sieht Verbindungen, die man so gar nicht wahrgenommen hat. Bei Google-Bildern tauchen Fotos von Menschen aus, mit denen ich räumlich zufällig mal in einer Nähe war. Zum Beispiel auf einer wissenschaftlichen Konferenz.
Das Foto kann gelöscht werden.
Trute : Das kommt darauf an. In bestimmten Fällen haben Sie ein Recht auf Vergessen bei hinreichend berechtigtem Interesse und könnten bei Google die Löschung beantragen. Aber wer macht das schon und schätzt das als bedeutsam genug ein?
Herr Federrath, was passiert, wenn wir eine Internetseite öffnen?
Federrath: Wenn Sie einen Browser nutzen, dann wird Ihre Anfrage an viele Server geschickt. Im Hintergrund können dabei völlig unsichtbare Informationen abgerufen werden, die Sie als User nicht wahrnehmen, die aber dem Zweck dienen, die Benutzung des Internets verfolgbar zu machen und Sie in ein Profil einzuordnen. Diese Informationen stellen ein Abbild von Ihnen dar, das nicht mit der Wirklichkeit überstimmen muss. Aber es kann für Werbezecke genutzt werden, etwa auch für zielgerichtete Wahlwerbung.
Wer hat ein Interesse daran, dass diese Daten gesammelt werden?
Trute : Das machen etwa die großen IT- Firmen oder Data Broker wie z. B. Acxiom, die sich rühmen, zu jeder Person ca. 1500 Datenpunkte zu haben. Die Daten können verkauft werden. Sie können natürlich auch politisch missbraucht werden – wie bei Cambridge Analytica.
Haben die Profile einen Namen?
Federrath: Zunächst sind diese Daten Pseudonyme – was man kauft, welche Filme man anschaut. Die Identitäten können auch bei jenen Nutzern miteinander verknüpft werden, die mehrere unterschiedliche Geräte nutzen. Oft genügt bereits der Aufruf einer einzigartigen Webadresse auf diesen unterschiedlichen Geräten, etwa des eigenen E-Mail-Postfachs, und schon sind die Daten miteinander verknüpft. Deshalb ist Anonymität im Internet heute eine riesengroße Illusion.
Es gibt wirklich kein anonymes Surfen?
Federrath : Es gibt Schutzmöglichkeiten, aber man muss diese Maßnahmen selbst ergreifen. Sie können etwa den Tor-Browser einsetzen. Das ist ein Umleitungssystem. Alle Datenpakete vom Sender zum Empfänger werden über anonymisierende Zwischenstationen geschickt.
Reicht das europäische und deutsche Recht, um die Internetnutzer zu schützen?
Trute: Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten. Sie haben Löschungs- und Auskunftsansprüche. Nur: Wenn Sie herausfinden wollen, wer welche Daten über Sie hat, dann hätten Sie gut zu tun. Und dann gibt es Firmen, die sich weigern, Auskunft zu geben. Dann muss gegebenenfalls geklagt werden.
Federrath: Die europäischen Datenschutzgesetze sind ein großer Fortschritt aus Sicht der Bürger. Die Datenschutz-Grundverordnung regelt eindeutig: Sobald Dienste in Europa angeboten werden, sind sie dem europäischen Datenschutzrecht unterworfen. Entscheidend ist, dass die Unternehmen verstehen müssen, dass Datenspeicherung nur noch im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten erfolgen darf. An dieser Stelle sind Google, Facebook und Microsoft aufgefordert, ihren Datenspeicherungsprozess transparent zu machen. Dass WhatsApp jetzt eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung eingebaut hat, zeigt, dass die harmonisierte Datenschutzgesetzgebung etwas bewirkt. Wenn ich heute mit WhatsApp Nachrichten austausche, dann kann ich mir relativ sicher sein, dass da niemand mitliest. Aber ein Restrisiko bleibt.
Welche Daten werden im Internet über uns gesammelt?
Federrath : Ich weiß nicht, ob die Zeit dafür ausreichend wäre, um das alles aufzuzählen. Ein Beispiel: Die „Washington Post“ hat eine Liste von 98 Datenpunkten veröffentlicht, die Facebook sammelt. Die Straße, in der man wohnt, ob es eine gute oder schlechte Wohngegend ist, gehören dazu. In welchem Beziehungsstatus man lebt, ob er instabil ist. Daten über Vermögensverhältnisse werden gespeichert, die Zahl der Personen im Haushalt.
Wer hat die Macht im Internet?
Trute: Die Frage kann man allgemein nur schwer beantworten. Es geht zwar um wirtschaftliche Interessen und natürlich auch um politische Macht, nicht anders als in der analogen Welt. Aber zugleich ist es noch immer ein Freiheitsmedium, denken wir nur an die vielen Möglichkeiten der Informationserlangung und Teilhabe an Diskussionen.
Das Internet ist auch eine Kloake, wie manche sagen, oder?
Trute: Gewiss, dass ist es auch, wenn man an Kinderpornografie, Hate Speech und Fake News denkt, um nur einige Stichworte zu nennen. Aber das sind an sich ja keine neuen Phänomene, freilich mit neuen Problemen, diese zu adressieren.
Was sollte man keineswegs tun?
Federrath: Das Internet ist ein Abbild des Lebens. Die Frage ist für junge Menschen: Was ist wichtiger – das wirkliche Leben oder das Internet? Es gibt nichts mehr im Internet, was man nicht auch in der wirklichen Welt finden wird. Was soll man überhaupt nicht tun – das ist vielmehr die Frage. Und nicht, was soll man im Internet nicht tun. Besonders schwer wiegt: Im Internet sind die Dinge unauslöschlich vorhanden. Jeder muss für sich selbst entscheiden, ob er etwa bereit ist, Nacktfotos von sich im Internet zu veröffentlichen oder politische Meinungen zu äußern.
Würden Sie das Netz auch für die Übermittlung von Gesundheitsdaten nutzen?
Federrath : Wenn ich die Wahl habe, mit meiner Krankenkasse auf klassischem Weg oder per App zu kommunizieren, würde ich mich immer für Ersteres entscheiden. Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht, und rein statistisch werden irgendwann auch hoch geschützte Daten öffentlich werden und in die falschen Hände geraten.
In die Hände von Diktatoren?
Federrath : Wenn die technische Möglichkeit besteht, Daten unberechtigterweise zu nutzen, weil etwa Passwörter unzureichend gewählt waren, dann spielt es keine Rolle, ob sie in der Hand von Diktatoren oder des Nachbars sind.
Trute: Es macht schon einen Unterschied, ob es eine Diktatur oder der eigene Nachbar ist. Man muss das Internet nicht nur als technisches Medium betrachten, das unterschiedliche soziale Praktiken ermöglicht, die einem nicht gleichermaßen gefallen mögen und die unterschiedliche Probleme mit sich bringen. Aber die gesamte technische Entwicklung erfolgt letztlich über trial and error. Man kann nicht sagen, man muss erst die sichere Welt bauen und danach die technische Entwicklung anpassen. Es wird immer Risiken geben.
Federrath: Ich halte es für extrem fahrlässig, dass wir alle Menschen zu Versuchungskaninchen der digitalen Welt machen und sie Risiken aussetzen, die sie nicht einschätzen können. Zum Glück sind gerade junge Menschen viel mehr für den Datenschutz sensibilisiert, als man zunächst glauben mag. Will man in den sozialen Netzen aktiv sein, muss man keineswegs seinen wahren Beziehungsstatus oder das korrekte Geburtsdatum offenbaren. Die Jugend hat Kompensationsstrategien gelernt, aber von breiter digitaler Kompetenz sind wir noch weit entfernt.
Was sind die größten Gefahren im Internet?
Trute : Dass Daten zu höchst unterschiedlichen Zwecken genutzt werden können, etwa um die Individuen in ihrem Verhalten zu beobachten und daraus Konsequenzen abzuleiten. Und natürlich spielen Fragen der Sicherheit eine große Rolle, etwa um Hackerangriffe abzuwehren oder politische Manipulationen zu verhindern. Denken Sie an das Internet der Dinge. Da können ganz andere Risiken in der realen Welt auftreten, weil über das Knacken des Sicherheitsmechanismus das selbstfahrende Auto dann plötzlich weg ist oder für ganz andere Zwecke genutzt wird.
Was wird das Internet in zehn Jahren können?
Trute : Ich habe die Vision, dass wir dann relativ sicher kommunizieren können.
Federrath : Vor 20 Jahren hat niemand gedacht, dass es soziale Netzwerke geben wird. Es wird in jedem Fall das Internet der Dinge geben und die Verknüpfung mit dem Körper. Mit Implantaten, die sich im Körper befinden und Vitalfunktionen überwachen und steuern. Menschen, die Herzschrittmacher brauchen, werden davon profitieren. Ich möchte aber nicht, dass die großen Player meinen Herzschrittmacher steuern.
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