Flugverkehr

Erdogan eröffnet Istanbuls neuen Milliarden-Flughafen

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Gerd Höhler
Auf einer Fläche von 76 Quadratkilometern haben rund 30.000 Arbeiter nordwestlich Istanbuls am Schwarzen Meer in nur etwas mehr als vier Jahren einen Mega-Flughafen aus dem Boden gestampft.

Auf einer Fläche von 76 Quadratkilometern haben rund 30.000 Arbeiter nordwestlich Istanbuls am Schwarzen Meer in nur etwas mehr als vier Jahren einen Mega-Flughafen aus dem Boden gestampft.

Foto: Chris McGrath

Noch sind die Bauarbeiten nicht beendet, dennoch feiert der neue Istanbuler Flughafen bereits jetzt Eröffnung. Ein politisches Signal.

Istanbul.  Noch bevölkern Bauarbeiter und Handwerker das Gelände des neuen Istanbuler Flughafens. Die Passagiere müssen sich einige Wochen gedulden. Dennoch will Staatschef Erdogan den Airport wie geplant am Montag, dem türkischen Nationalfeiertag, eröffnen.

Viele Projekte hat Recep Tayyip Erdogan in seinen mehr als 15 Regierungsjahren schon eingeweiht – Brücken, Tunnels, Autobahnen. Aber diese Eröffnung stellt alles Bisherige in den Schatten: Auf einer Fläche von 76 Quadratkilometern haben rund 30.000 Arbeiter nordwestlich Istanbuls am Schwarzen Meer in nur etwas mehr als vier Jahren einen Mega-Flughafen aus dem Boden gestampft.

Die Baukosten werden auf umgerechnet knapp elf Milliarden Euro veranschlagt. Gebaut und betrieben wird der Flughafen von einem Konsortium fünf türkischer Firmen.

Abfertigung von 200 Millionen Passagieren im Jahr

Im Endausbau soll der Airport voraussichtlich im Jahr 2028 über sechs Landebahnen und eine Kapazität für 200 Millionen Passagiere verfügen. Zum Vergleich: Der heute betriebsamste Flughafen weltweit, Atlanta Hartsfield-Jackson, fertigte im vergangenen Jahr 104 Millionen Reisende ab.

Schon in der ersten Ausbaustufe bedeutet der Flughafen nicht nur für die Türkei eine neue Dimension.

Das Terminalgebäude ist für bis zu 90 Millionen Passagiere im Jahr ausgelegt.

Damit spielt der neue Airport in einer Liga mit Peking und Dubai. Zum Vergleich: Der Flughafen Frankfurt am Main zählte im vergangenen Jahr 64,5 Millionen Fluggäste.

Doha und Dubai sind die Konkurrenz

Mit dem neuen Luftverkehrskreuz will Istanbul zur Drehscheibe zwischen Europa, Asien und Afrika werden. Die Bosporus-Metropole konkurriert so mit den Flughäfen in Doha und Dubai. Gegenüber den Großflughäfen am Golf, die fast nur Umsteiger bedienen, hat Istanbul den Vorteil eines großen Heimatmarktes.

Vor allem der türkische Nationalcarrier Turkish Airlines (THY) setzt auf den neuen Flughafen. Das staatlich kontrollierte Unternehmen ist eine der weltweit am schnellsten wachsenden Fluggesellschaften. THY hat seit 2005 die Zahl der beförderten Passagiere von 14 Millionen auf 69 Millionen im vergangenen Jahr fast verfünffacht. Die Flotte wuchs von 83 auf 329 Maschinen.

Doch die bisherige Heimatbasis, der Istanbuler Atatürk Flughafen, arbeitet seit Jahren am Rand der Kapazitätsgrenze. Erst der neue Airport, der mehr als die sechsfache Fläche hat, eröffnet Turkish Airlines weitere Wachstumsperspektiven.

Umzug erst am 31. Dezember

Der Start wird sich allerdings verzögern, weil die Bauarbeiten noch laufen. Zunächst wird Turkish Airlines von der neuen Basis erst wenige Flüge zu den Inlandszielen Ankara, Antalya und Izmir sowie nach Baku und Nordzypern durchführen. „Wir werden eine sanfte Inbetriebnahme haben“, sagt Kadri Samsunlu, Generaldirektor der Flughafengesellschaft.

Der große Umzug ist auf den 31. Dezember verschoben. Dann soll der Flugverkehr aller Airlines binnen 48 Stunden von Atatürk auf den neuen Flughafen verlegt werden.

Auch mit der zweimonatigen Verspätung ist die Bauzeit von nur 44 Monaten rekordverdächtig. Zur Erinnerung: Der Spatenstich für den Hauptstadtflughafen Berlin fand bereits 2006 statt, die Inbetriebnahme ist für 2020 geplant.

In Istanbul standen die Arbeiten zuletzt unter einem immer brutaleren Termindruck. Das spürten die Ingenieure und vor allem die rund 30.000 Arbeiter.

Etwa die Hälfte von ihnen lebte in einer Containersiedlung auf dem Flughafengelände – einem „Sklavencamp“, wie ein Funktionär der Bauarbeitergewerkschaft Dev-Insaat-Is sagt.

Die Arbeiter klagten über schmutzige Unterkünfte, schlechtes Essen, verspätete Bezahlung und Missachtung der Sicherheitsvorschriften.

Viele Tote nach Arbeitsunfällen

Nach Angaben der Regierung kamen während der Bauarbeiten 27 Menschen bei Arbeitsunfällen ums Leben. Die regierungskritische Zeitung „Cumhuriyet“ schrieb von fast 400 Toten. Hinterbliebene hätten „Schweigegeld“ bekommen, so die Zeitung.

Als Mitte September bei einem Busunglück auf dem Gelände 17 Arbeiter verletzt wurden, entlud sich der aufgestaute Zorn. Rund 2000 Arbeiter traten in den Streik, versammelten sich zu Protesten. Die Polizei ging mit Tränengas, Wasserwerfern und Gummigeschossen gegen die Männer vor.

Die sonst vor allem im Anti-Terror-Kampf eingesetzte paramilitärische Jandarma veranstaltete eine Razzia im Lager und nahm mehr als 500 angebliche Rädelsführer fest. 24 sitzen immer noch in Untersuchungshaft.

Nicht nur wegen der Arbeitsbedingungen steht das Projekt in der Kritik. Rund zwei Millionen Bäume mussten fallen. Bauern wurden enteignet, Feuchtgebiete trockenlegt, Wildtiere und Vögel vertrieben. Ökologen befürchten unabsehbare Folgen für den Grundwasserhaushalt und das Mikroklima der Region.

Erdogan als Erster bereits gelandet

Weil die Zufahrtsstraßen noch nicht fertig sind, drohen überdies zumindest in den kommenden Monaten Staus. Eine Schnellbahn, die den Flughafen mit dem etwa 40 Kilometer entfernten Stadtzentrum verbinden soll, wird frühestens 2020 fertig.

Dass Erdogan am Eröffnungstermin festhält, obwohl die Arbeiten noch nicht abgeschlossen sind, soll wohl auch ein politisches Signal sein. Die Botschaft des Staatschefs lautet: Die Türkei ist stark, es gibt keine Krise. Erdogan war bereits im Juni als Erster an Bord eines Regierungsjets auf dem neuen Airport gelandet.

Der bisherige Istanbuler Airport soll Anfang kommenden Jahres schließen.

Der 1912 eröffnete Platz hieß zunächst Yesilköy nach dem Stadtteil, in dem er liegt. 1985 wurde er in Atatürk Flughafen unbenannt, zu Ehren des Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk. Mit der Schließung wird dieser Name verschwinden. Bleibt die Frage, wie der neue Flughafen heißen soll.

Wird er Erdogans Namen tragen?

Am Montag wird man es erfahren. Die Entscheidung liegt bei Erdogan. Manche Beobachter erwarten, dass er dem Flughafen seinen Namen geben wird. Andere nennen Sultan Abdülhamit II. als möglichen Namenspatron, einen der letzten Herrscher (1876–1909) des Osmanischen Reichs.

Historiker schreiben über Abdülhamit, er sei in seinen ersten Amtsjahren ein Reformer gewesen, der dem Osmanenreich eine Verfassung gab und es nach Europa öffnete. Doch schon bald setzte er die Verfassung wieder außer Kraft, löste das Parlament auf, regierte zunehmend autoritär und baute ein effizientes Zensur- und Spitzelsystem auf. Ein Schelm, wer dabei an Erdogan denkt.

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