Hamburg. Heute erklären zwei Wissenschaftler, warum Bargeld gedruckte Freiheit ist – und wieso es trotzdem irgendwann verschwinden könnte.

Sollte man Bargeld zu Hause haben und wenn ja, wie viel? Und wo versteckt man es am besten? Der Soziologe Professor Dr. Jürgen Beyer und der Wirtschaftswissenschaftler Professor Dr. Wolfgang Drobetz kommen über die scheinbar einfachen Fragen zu grundlegenden Antworten über unser Verhältnis zum Geld und den Zahlungsverkehr der Zukunft.

Einerseits weiß man, dass Geld allein schon deshalb nicht unter der Matratze versteckt werden sollte, weil jeder Einbrecher dort zuerst sucht. Andererseits gibt es wirklich Leute, die es genau dort verstecken. Was sagt man denen?

Beyer : Es gibt eine aktuelle Umfrage, bei der Menschen sagen sollten, wo sie ihr Geld zu Hause aufbewahren. Dabei kommt als erste Antwort: in einem Safe oder einem Tresor. Das sagen elf Prozent. Nur ein Prozent der Befragten gibt an, Geld unter der Matratze zu haben.

Aber immerhin: Hochgerechnet auf alle Deutschen wären das rund 800.000 Menschen. Wenn jeder nur 100 Euro unter der Matratze hätte, wären das 80 Millionen Euro – viel Geld. Ist das sinnvoll?

Drobetz: Abseits von allen Sicherheitsaspekten ist es natürlich sinnvoller, das Geld auf einer Bank zu lagern, weil man dort Zinsen bekommt.

So einen großen Unterschied macht das im Moment aber nicht.

Drobetz: Das stimmt. Im Moment sind die Zinsen auf einem Allzeittief, aber das wird ja nicht immer so bleiben. Außerdem könnte man das Geld auch in Aktien oder Anleihen investieren, statt es unter die Matratze zu legen.

Lösen wir uns mal von der Matratze. Ist es überhaupt sinnvoll, größere Mengen Bargeld im Haus zu haben?

Beyer: Fünfzig Prozent der Menschen in Deutschland halten das nach Erhebungen nicht für sinnvoll. Viele Leute haben sich inzwischen darauf eingestellt, bargeldlos zu zahlen.

Wie ist es bei Ihnen? Haben Sie Bargeld zu Hause?

Beyer: Nein.

Drobetz: Ich habe auch keine größeren Bargeldvorräte zu Hause. Aber es ist auch nicht völlig abwegig, eine gewisse Menge an Bargeld zur Hand zu haben. In Krisenzeiten hat Geld eben nicht nur eine Transaktions- , sondern auch eine Wertaufbewahrungsfunktion. Und dann stimmt der bekannte Satz: „Cash is king.“

Beyer: Ich habe kein Bargeld zu Hause, weil ich das Risiko eines Einbruchs für deutlich höher halte als das Risiko des Zusammenbruchs des Einlagensicherungssystems infolge eines Bankencrashs. Die Gründe, warum Menschen Geld zu Hause aufbewahren, sind sehr unterschiedlich. Zuweilen ergibt es sich einfach, dass sich Geld ansammelt. Wenn zum Beispiel ein älterer Mensch sich jeweils eine fixe Summe Geldes von betreuenden Personen nach Hause bringen lässt, dieses dann aber nicht aufbraucht.

Wenn wir die Grundfrage noch einmal erweitern: Ist es denn vernünftig, Liquidität vorzuhalten – das kann man ja auch mit schnell verfügbarem Geld auf einem Giro- oder einem Sparkonto?

Drobetz: Das ist sehr vernünftig. Schon im vierten Jahrhundert hat ein Rabbi gesagt, dass man sein Vermögen in drei Teile aufspalten soll: ein Drittel Land, ein Drittel Handelswaren und ein Drittel bar zur Hand. Aus heutiger Sicht würde ich sagen, dass ein Drittel bar zur Hand vielleicht etwas viel ist.

Wobei große Unternehmen wie Apple es ja vormachen: Die US-Firma hat im Moment rund 250 Milliarden Dollar „Cash“ zur Verfügung, also unter der virtuellen Ma­tratze. Das Geld könnte man ja auch anders anlegen …

Drobetz: Dass Firmen wie Apple, Google oder Microsoft so viel Geld vorhalten, auf das sie schnell zurückgreifen können, hat einen einfachen Grund: Die Summen werden gebraucht, um im Fall eines Falles sofort ein anderes Unternehmen kaufen zu können. Dies kann aus strategischen Gründen passend sein, aber auch schlicht dazu dienen, sich zukünftige Wettbewerber vom Leib zu halten. Und dieses Phänomen sehen wir in den USA in einer Geschwindigkeit, die zu einer erstaunlichen Entwicklung führt: Start-Ups schaffen es kaum noch bis zu einer Börseneinführung, weil sie vorher vom Markt gekauft werden.

Wir lernen also: Wer schnell Geld zur Hand hat, kann schnell reagieren – und gute Geschäfte machen.

Drobetz: Das stimmt, und das könnte natürlich ein Vorteil sein, wenn zum Beispiel die Immobilienpreise bei steigenden Zinsen wieder sinken. Wer dann schnell viel Geld flüssig macht, kann flexibler reagieren als jemand, der erst einen Kredit aufnehmen muss. Aber grundsätzlich macht es natürlich wenig Sinn, wenn Sie Geld zu lange liegen lassen, weil Sie langfristig Renditemöglichkeiten verschenken.

Aber vielleicht ist es vielen Menschen, gerade Deutschen, wichtiger, kein Geld zu riskieren als mehr Geld zu haben.

Drobetz: Auch diesen Effekt kennen wir aus der Wissenschaft. Der Nutzen einer zusätzlichen Geldeinheit wird immer geringer. Soll heißen: Wenn Sie 80.000 Euro im Jahr verdienen, was in der Glücksforschung oftmals als sogenannte „Glücksschwelle“ ermittelt wurde, machen Sie weitere 10.000 Euro weniger zufrieden, als wenn sie nur 50.000 Euro im Jahr verdienten. Unendlich viel Geld macht also auch nicht glücklich.

Also ist es doch vernünftig, wenn man Geld irgendwo liegen lässt.

Beyer: Es gibt ja bei solchen Entscheidungen nicht das eine rationale Verhalten. Es kann für einen Menschen durchaus vernünftig sein, sein Geld nicht großartig anzulegen, und sei es nur, weil er sich mit Aktien oder anderem nicht beschäftigen will, weil ihm seine Zeit dafür zu schade ist. Das hat wenig mit Rationalität, sondern mehr mit Prioritäten im Leben zu tun.

Werner Otto hat in einem Abendblatt-Interview mal erzählt, dass er Geld nie in Aktien angelegt habe. Und dann gesagt: „Wenn ich das getan hätte, hätte ich vielleicht noch mehr Geld besessen. Wobei: Das geht ja gar nicht.“

Beyer: Ein interessanter Fall. Es sind ja zuweilen auch vermögende Menschen, die sich für eine höhere Besteuerung aussprechen, weil sie das Gefühl haben, damit der Gesellschaft etwas zurückgeben zu können.

Kommen wir zu dieser Gesellschaft zurück, die ja, zumindest in Deutschland, mehrheitlich die Abschaffung des Bargelds ablehnt. Warum eigentlich? Weil man dann nichts mehr unter die Matratze stecken kann?

Beyer: Das hat viel mit unseren Gewohnheiten zu tun und damit, wie wir den Umgang mit Geld lernen. Kinder erlernen die Verwendung von Geld meist von ihren Eltern und einmal eingeübte Verhaltensweisen ändern sich in der Regel nur sehr langsam. In Ländern wie Schweden, in denen das bargeldlose Bezahlen weiter verbreitet ist, ging die Veränderung von den Händlern aus, nicht von den Kunden.

Trotzdem spricht vieles dafür, dass der bargeldlose Zahlungsverkehr weiter zunehmen wird. Man weiß genau, wofür man sein Geld ausgegeben hat, man muss nicht mehr zur Bank rennen, Geld kann nicht gestohlen werden oder verloren gehen. Das sind viele Vorteile.

Drobetz: Und billiger ist der bargeldlose Zahlungsverkehr auch noch. Aber: Man erreicht damit auch die volle Kontrolle, alle Transaktionen, die Menschen tätigen, können sichtbar werden. Das ist in Deutschland ein wichtiger Punkt. Viele Menschen lehnen die Abschaffung des Bargeldes gerade deshalb ab, weil sie ihre Kauf- und Konsumgewohnheiten eben nicht offenlegen wollen. Man sagt nicht umsonst, dass Geld gedruckte Freiheit ist.

Zahlen Sie vor allem mit Kreditkarte?

Beyer: Das hängt von der Summe und der Situation ab, bei mir ist das sehr gemischt.

Werden wir dennoch eines Tages an den Punkt kommen, an dem das Bargeld verschwindet?

Beyer: Historisch betrachtet gibt es eine Tendenz zur Dematerialisierung. Früher entsprach der Materialwert des Geldes in etwa seinem Tauschwert, das ist schon lange nicht mehr so. Heutzutage sind die Geldscheine und Münzen materiell bei Weitem nicht das wert, was man sich dafür kaufen kann. Das meiste Geld ist inzwischen sowieso auf einem Sichtkonto, also nur virtuell vorhanden. All dies heißt aber nicht zwingend, dass Bargeld irgendwann ganz verschwindet. Denn natürlich gibt es die Befürchtung, dass Finanztransaktionen komplett transparent werden könnten. Und in einer Gesellschaft gibt es eben auch das Bedürfnis, dass nicht alles einsehbar ist.

Womit wir jetzt auch erahnen, warum viele Menschen heute noch große Bargeldbestände zu Hause haben. Zum Beispiel, um Putzfrauen oder Handwerker zu bezahlen. Oder, um Geld, das man als Putzfrau oder Handwerker bekommen hat, nicht auf irgendwelchen Konten sichtbar werden zu lassen. Dafür ist Bargeld ja nützlich.

Drobetz: Das ist genau der Aspekt, den wir beide gerade angesprochen haben.

Beyer: Mir fällt noch ein weiterer Aspekt ein, der zumindest für einige für den Erhalt spricht. Bargeld schützt nämlich auch davor, dass die Zinsen noch weiter sinken. Zentralbanken können den Leitzins nicht deutlich unter null senken, weil es sonst zu massiven Geldabhebungen käme. Ohne Bargeld hätten die Zen-tralbanken den Leitzins nach der Finanzkrise sicherlich weit unter null gesenkt, statt unkonventionelle Geldpolitik zu betreiben.

Verrückt, aber wahr: Ein Teil des Bargeldes, das die Deutschen zu Hause haben, ist D-Mark. Angeblich sollen die Bestände, die sich im Umlauf befinden, einen Wert von 13 Milliarden Euro haben. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Drobetz: Das hat wahrscheinlich eher nostalgische Gründe und ist umgerechnet auf jeden Bundesbürger ja auch nicht besonders viel.

Beyer: Ich vermute, dass die Hochrechnung, die Sie zitieren, falsch ist. Denn Münzen oder Scheine können ja auch einfach durch Gebrauch oder Verlust zerstört werden.

Wo Sie das gerade sagen, kommt mir eine Idee: Für viele Menschen macht es wahrscheinlich gar keinen Unterschied, ob sie das Geld zu Hause unter der Matratze oder bei der Bank deponieren – weil sie nämlich gar nicht so viel haben.

Drobetz: Es gab neulich einen Bericht im Abendblatt, ab welchem Vermögen Hamburger Privatbanken Kunden annehmen. Und das begann so bei 100.000 Euro, manchmal ist die Schwelle aber auch deutlich höher. Erst ab diesen Summen lohnt sich aus Sicht der Bank eine professionelle Vermögensverwaltung.

Und darunter? Kann man sagen: Je weniger Vermögen man besitzt, desto sinnvoller ist es, das liquide zu haben?

Drobetz: Grundsätzlich könnte man das meinen. Es bedeutet aber nicht, alles nur in Cash zu halten. Es lohnt sich selbst bei kleinen Vermögen, einen Teil des zur Verfügung stehenden Geldes in verschiedene Anlageklassen aufzuteilen und breit gestreut auch in liquide Anlageninstrumente wie Aktien oder Anleihen zu investieren.

Beyer: In Deutschland ist die Vermögens-Mittelschicht ja leider wirklich nicht sehr groß, sodass sich die Frage nach einer professionellen Geldanlage nur für wenige Menschen stellt.