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Diesel-Skandal: Anwälte werfen VW-Konzern Strategie vor

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Trotz des Skandals um elf Millionen manipulierte Dieselfahrzeuge steigt der Absatz bei VW.

Trotz des Skandals um elf Millionen manipulierte Dieselfahrzeuge steigt der Absatz bei VW.

Foto: Matthias Rietschel / REUTERS

Anwälte werfen VW vor, auf Vergleiche und Verjährung zu setzen, um geringeren Schadenersatz zahlen zu müssen. Es wirkt wie Strategie.

Berlin/Frankfurt.  Wer die Auto-Verkaufszahlen ansieht, muss annehmen, dass VW im Geld schwimmt. Trotz des Skandals um elf Millionen manipulierte Dieselfahrzeuge steigt der Absatz. Die Kassen des Autoriesen sind gut gefüllt. Aber wären sie das auch, wenn Volkswagen seine Kunden in Europa wie in den USA hätte entschädigen müssen?

Über 25 Milliarden Euro nahm man dort in die Hand, um die juristischen Hürden wegzuräumen. Setzt VW hierzulande bewusst auf Vergleiche mit Autobesitzern, wie Anwälte den Wolfsburgern vorwerfen?

Das Unternehmen macht klar, dass die Zahl der Vergleiche gemessen an der Gesamtzahl der Verfahren gering sei. Ob sich der Konzern für einen außergerichtlichen Vergleich entscheide, sei von wirtschaftlichen Gesichtspunkten und jedem Einzelfall abhängig.

Anwalt: Sehr kluge Prozessstrategie

Christopher Rother, Anwalt der US-Kanzlei Hausfeld, sagt, es sei deutlich, dass eine Absicht dahinterstecke. VW vergleiche sich erst in der Berufungsinstanz, bevor ein Gericht die Chance habe, eine Entscheidung zu fällen. Ende dieses Jahres verjähren seinen Angaben zufolge Ansprüche, daher sieht Rother eine „sehr kluge Prozessstrategie“. So werde eine abschließende gerichtliche Klärung der Frage, ob VW schadenersatzpflichtig ist, verhindert: „Die Strategie ist weitgehend aufgegangen.“

Müsste Volkswagen alle Kunden mit Betrugsdieseln wie in den USA entschädigen, wäre das bei einem durchschnittlichen Streitwert von 25.000 Euro „wirtschaftlich nicht zu stemmen“, glaubt Rother. Der frühere VW-Konzernchef Matthias Müller sah das ebenso: Entschädigungen wie im US-Maßstab würden Volkswagen ruinieren.

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VW-Gruppe: 23.100 Verfahren von Diesel-Besitzern anhängig

In Deutschland sind rund 23.100 Verfahren von Autobesitzern anhängig, die einen manipulierten Diesel aus der VW-Gruppe fahren. 6000 Urteile gibt es bisher – laut Konzernkreisen meist ohne Erfolg für die Kunden. Die bislang erst elf Urteile an Oberlandesgerichten (OLG) fielen demnach alle im Sinne des Herstellers aus.

Darüber hinaus gebe es zahlreiche Zurückweisungsbeschlüsse von Oberlandesgerichten, auch diese in der „überwiegenden Mehrheit“ zugunsten von VW. Rother erklärt, über die Internet-Plattform myright.de hätten sich etwa 50.000 VW-Kunden registriert. Diese Fälle seien in wenigen Verfahren gebündelt.

Die meisten dürften aus seiner Sicht Rechtsschutz-Versicherungsfälle sein – andere potenzielle Kläger würden abgeschreckt, ihre Ansprüche geltend zu machen, weil sie die Gerichtskosten vorstrecken müssten. Auch deshalb vergleiche sich VW erst in der Berufungsinstanz.

Auch der Staat versucht mitunter Präzedenz-Urteile zu verhindern

Volkswagen stehe mit einem solchen Vorgehen nicht allein da. Auch andere Unternehmen und sogar der Staat verhindern Präzedenz-Urteile zu ihren Ungunsten hier und da, indem sie im Einzelfall nachgeben. Diese Erfahrung haben etwa Bank- und Versicherungskunden in Verfahren beim Bundesgerichtshof gemacht.

Und der Fiskus gibt gelegentlich Steuerzahlern im Einzelfall recht, damit der Bundesfinanzhof kein grundsätzliches Urteil fällt, das viele Steuerzahler besserstellen könnte. Das OLG Oldenburg hatte unlängst per Hinweisbeschluss angedeutet, dass VW die vom Abgasskandal Betroffenen vorsätzlich geschädigt habe. Daraufhin nahm der Kläger seine Klage zurück. Das legt nahe, dass es einen außergerichtlichen Deal gegeben haben könnte.

Druck auf Wolfsburger Autokonzern wächst

Auf eine außergerichtliche Einigung mit VW haben es unterdessen die Aktionärsschützer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) abgesehen. Sie wollen wegen der nahenden Verjährung im Namen von geschädigten Kleinanlegern Druck auf den Wolfsburger Autokonzern ausüben. In Kooperation mit der Plattform myright sollen sie sich risikolos Klagen anschließen können, im Erfolgsfall müssen sie jedoch 30 Prozent des Schadenersatzes an den Prozessfinanzierer abgeben.

Sollte VW nicht auf Forderung eingehen, will der Prozessfinanzierer Klage erheben. Nach Berechnungen von myright gehe es um mindestens rund 60 Euro Entschädigung an die Anleger pro VW-Aktie. Da auch die Volkswagen-Mutter, die Porsche-Holding, betroffen war, stünden hier mindestens 20 Euro pro Aktie im Raum.

Beteiligen können sich Aktionäre, die die Aktien zwischen dem 1.1.2009 und dem 15. September 2015 gekauft haben. Die Aktionärsschützer werfen Volkswagen vor, auf die Verjährung hinzuarbeiten: „Eigentümer von Volkswagen sollen in die Verjährungsfalle laufen“, sagt DSW-Hauptgeschäftsführer Marc Tüngler. (dpa/meh)

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