Fisch

Der Ostsee-Hering wird für die Fischer zum Problem

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Hanna Gersmann
Fischer Roland Braasch holt die Heringsnetze ein.

Fischer Roland Braasch holt die Heringsnetze ein.

Foto: picture alliance

Der Heringbestand in der Ostsee hat sich halbiert. Jetzt verlieren die Fischer das Ökso-Siegel MSC. Die Lage für sie ist katastrophal.

Berlin.  Er ist ein Klassiker als Katerfrühstück, auch einfach im Brötchen oder gebraten und eingelegt: der Hering. An der deutschen Ostseeküste nennen sie ihn den „Brotfisch“. Er ist für die Fischer dort besonders wichtig, der silberglänzende Fisch macht das Gros ihres Fanges aus.

Doch Clupea harengus geht es schlecht, der Nachwuchs bleibt aus. Nun verlieren die deutschen Heringsfischer der Ostsee das MSC-Siegel, das ihnen bescheinigte, nachhaltig zu fischen. Das hatten viele von ihnen, vor allem jene, die große Mengen aus dem Wasser holen. Die Heringsfischer fürchten um ihr Einkommen.

Kai-Arne Schmidt ist Geschäftsführer der Kutterfisch-Zentrale mit Standorten in Cuxhaven und Sassnitz. Sie ist der größte Verarbeiter von Frischfisch in Deutschland. Schmidt erklärt, deutsche Handelsketten wie Edeka nähmen heute kaum noch Fischdosen und andere Fischereiprodukte ohne das MSC-Öko-Siegel. So müsse der Fisch künftig wohl zu niedrigeren Preisen nach Dänemark oder Polen verkauft werden.

Heringbestand hat sich halbiert

Das Problem dahinter: „Die Temperatur in der Ostsee hat sich in für den Hering wichtigen Regionen und zu bestimmten Zeiten in den vergangenen 30 Jahren um bis 2,5 Grad erhöht“, erklärt der Chef des Thünen-Instituts für Ostseefischerei, Christopher Zimmermann. In der Folge habe sich „der fischbare Heringsbestand von etwa 200.000 Tonnen auf 110.000 Tonnen halbiert.“

Der Mechanismus, der dahintersteckt: Die Heringe machen sich immer früher auf den Weg zu ihren Laichgebieten, geben ihre Eier ab, daraus schlüpfen die Larven. Diese brauchen, wenn nach etwa einer Woche der Dottersack aufgezehrt ist, etwas zum Fressen: noch nicht ausgewachsene Kleinkrebse. Doch die fehlen so früh im Jahr, weil sie sich wiederum von Algen ernähren. Und die brauchen Licht, das zu der frühen Zeit im Jahr noch nicht da ist.

In diesem Jahr kam noch hinzu, dass nach dem warmen Januar der Frost kam – und mit ihm der Steinrogen: Die Geschlechtsorgane von bis zu 15 Prozent der Weibchen verhärteten, Eier ablegen konnten sie nicht. Doch das ist ein seltenes Phänomen, die Erwärmung ein langfristiger Trend. Zu wenige junge Heringe überleben.

Wissenschaftler wie Zimmermann sorgt das schon länger. Sie plädieren dafür, den Fang drastisch zu reduzieren. Der Internationale Rat für Meeresforschung ICES hat Ende Mai sogar empfohlen, den Heringsfang für das Jahr 2019 in der westlichen Ostsee ganz einzustellen. Die Fangquoten werden aber erst im Oktober vom EU-Ministerrat festgelegt.

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Lage für Fischer „katastrophal“

Nach den Standards des MSC ist die „Befischung von Beständen, die keine nachhaltige Größe haben und in ihrer natürlichen Regeneration beeinträchtigt“ sind, jedenfalls ausgeschlossen. Der MSC, der Marine Stewardship Council, ist eine nicht staatliche Organisation mit Sitz in London. Einst wurde sie vom Lebensmittelkonzern Unilever und der Umweltstiftung WWF ins Leben gerufen, heute ist sie aber unabhängig. Zwar steht der MSC immer wieder in der Kritik, der WWF aber empfiehlt ihn nach wie vor als Einkaufshilfe.

Für die Fischer sei die Lage „katastrophal“, sagt Greenpeace-Meeresexperte Thilo Maack – auch wenn die deutsche Fischerei übersichtlich ist: knapp 1400 Schiffe, darunter gerade mal ein halbes Dutzend weltweit fahrende Hochseetrawler, welche mehr als die Hälfte der deutschen Fänge ausmachen. Der große Rest sind kleine Kutter.

Den Ostseefischern fehle „einfach die Alternative“, meint Maack. Die Nordsee, wo es dem Hering, der Ende Mai, Anfang Juni als Matjes auf die Teller kommt, noch gut gehe, sei zu weit weg. Und der Dorsch, ihr zweiter Brotfisch – mittlerweile ebenfalls rar.

Maack fordert ein Umdenken – vor allem bei den Konsumenten. Er meint, in den 1960er-Jahre­­­­­­­­­­­­­­­­n seien weltweit sechs Kilogramm Fisch pro Kopf und Jahr verspeist worden, heute seien es schon 20 Kilogramm. Damit sich Fischbestände erholten, die Fischer langfristig ihr Einkommen verdienen, müssten sich alle damit abfinden, was Fisch sei: „eine Delikatesse, die man nicht jeden Tag isst“.

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