Hamburg. Fast könnte man meinen, die Parteien hätten sich abgesprochen: Die Rente war im Bundestagswahlkampf kaum ein Thema. Dabei gehört die Perspektive, künftig womöglich noch über den 67. Geburtstag hinaus arbeiten zu müssen und dennoch später unter Geldnot zu leiden, zu den größten Sorgen der Deutschen. Schließlich werden alle drei „Säulen“ der Altersvorsorge immer brüchiger. Denn die staatliche Rente wird zunehmend besteuert, Lebensversicherungen bringen wegen der Niedrigzinsen immer weniger Rendite – und die klassische arbeitgeberfinanzierte Betriebsrente, früher ein Standard zumindest in größeren Unternehmen, ist selten geworden.
Dabei hat die betriebliche Altersvorsorge (BAV) einen wesentlichen Anteil an den Einkünften vieler heutiger Rentner. Nach jüngsten verfügbaren Zahlen erhalten Männer über 65 in den alten Bundesländern im Schnitt 1154 Euro aus der gesetzlichen Rentenkasse, ein knappes Drittel von ihnen kassiert aber zusätzlich eine Betriebsrente von durchschnittlich immerhin 606 Euro. Damit hat die BAV eine deutlich höhere Bedeutung als die private Altersvorsorge, etwa über Lebens- und Rentenversicherungen.
Experten sind sich einig darüber, dass die staatliche Rente in Zukunft immer weniger für ein Auskommen sorgen kann. „Wenn keine alternativen Wege der Altersvorsorge genutzt werden, dann werden viele Menschen im Alter von der Grundsicherung leben müssen“, sagt Dirk Ulbricht, Direktor des Instituts für Finanzdienstleistungen (iff) in Hamburg.
In die gleiche Richtung weisen Daten für die Hansestadt aus dem neuen „Vorsorgeatlas Deutschland“, den das Forschungszentrum Generationenverträge der Universität Freiburg unter Leitung von Bernd Raffelhüschen im Auftrag des Fondshauses Union Investment erstellt hat. Demnach können Hamburger Arbeitnehmer im Schnitt mit einer gesetzlichen Rente von 45,5 Prozent des letzten Bruttoeinkommens rechnen; das liegt etwas unter dem bundesweiten Mittelwert von rund 48 Prozent. Bei den jüngeren Beschäftigten im Alter von 20 bis 34 Jahren werden es der Studie zufolge aber nur noch 39,5 Prozent des letzten Gehalts sein.
Gleichzeitig sinkt der Anteil der Arbeitnehmer, die über eine BAV verfügen: Gemittelt über alle Beschäftigten in Hamburg sind es 16,0 Prozent der Belegschaften, in der Altersgruppe der bis 34-Jährigen aber nur noch 13,2 Prozent. Dabei erwerben Frauen sehr viel seltener einen Anspruch auf eine Betriebsrente als Männer.
Zumindest bei Großunternehmen war eine arbeitgeberfinanzierte Firmenrente für Mitarbeiter, die vor etwa 40 Jahren dort anfingen und nun in Pension gehen, aber noch die Normalität. Das zeigt auch eine Abendblatt-Umfrage bei vier Hamburger Konzernen unterschiedlicher Branchen – dem Flugzeugbauer Airbus, dem Gabelstaplerproduzenten Jungheinrich, dem Kosmetikhersteller Beiersdorf und dem Versandhändler Otto: Alle vier Unternehmen gewährten solchen Beschäftigten eine Betriebsrente aus Firmengeldern. Bei Airbus lag sie bei zwölf bis 20 Prozent des letzten Gehalts, Beiersdorf nennt eine maximale Rentenhöhe von immerhin 13.500 Euro pro Jahr für Tarifmitarbeiter.
Zwar finanzieren drei der vier genannten Hamburger Großbetriebe heute auch neuen Mitarbeitern noch eine Firmenrente; bei Beiersdorf gibt es einen Zuschuss, wenn Mitarbeiter Teile ihres Gehalts in eine BAV fließen lassen. Aber solche großzügigen Regelungen werden zur Ausnahme.
„Die arbeitgeberfinanzierte Betriebsrente hat erheblich an Bedeutung verloren und weicht immer öfter dem System der Entgeltumwandlung, die durch die Arbeitnehmer selbst finanziert wird“, stellt die Gewerkschaft IG Metall fest. Zu dem gleichen Ergebnis kommt das gewerkschaftsnahe Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) aus Düsseldorf auf Basis einer Betriebsrätebefragung: „Betriebsrenten sind keine ,klassische Arbeitgeberleistung‘ mehr.“
Einer der Gründe dafür ist das schon seit Jahren anhaltende Niedrigzinsumfeld – die Unternehmen müssen immer mehr Geld auf die hohe Kante legen, um später ihre Pensionszusagen erfüllen zu können. Daher nimmt die Zahl der Betriebe, in denen der Arbeitgeber den Beschäftigten in Form der sogenannten Direktzusage eine Firmenrente finanziert, von Jahr zu Jahr ab. Das gilt vor allem für kleinere Unternehmen, in denen dieses Modell ohnehin stets weniger verbreitet war als in Konzernen.
Geringe Bereitschaft zur Investition in Altersvorsorge
Zwar sind die Firmen seit dem Jahr 2002 verpflichtet, ihren Mitarbeitern auf deren Verlangen eine BAV wenigstens über den Weg der Entgeltumwandlung, bei der das Geld in der Regel von Versicherern oder Fonds am Kapitalmarkt angelegt wird, zu ermöglichen. „Ob der Arbeitgeber dies aktiv anbietet oder sich an den Beiträgen beteiligt, bleibt jedoch ihm überlassen“, erläutert Raffelhüschen.
Obwohl die Herausforderungen, vor denen das staatliche Rentensystem steht – der Anteil der Älteren in der Gesellschaft nimmt zu, die Rentenbezugsdauer steigt –, weithin bekannt sind, ist das Interesse der Arbeitnehmer, selber in eine BAV zu investieren, relativ gering ausgeprägt. In manchen Fällen wird die Möglichkeit dazu schlicht deshalb nicht wahrgenommen, weil die Beschäftigten meinen, sie könnten kein Geld dafür erübrigen. Es gibt aber noch ein anderes Hindernis, wie Ulbricht beobachtet: „Dass weniger Menschen sich für einen Abschluss entscheiden, hat stark etwas mit der Komplexität der betrieblichen Altersvorsorge zu tun“, sagt Raffelhüschen.
So gibt es fünf sogenannte Durchführungswege für die BAV: Außer als klassische arbeitgeberfinanzierte Direktzusage kann sie entweder über eine Pensionskasse, einen Pensionsfonds, eine Unterstützungskasse oder per Direktversicherung angeboten werden. Somit besteht Beratungsbedarf bei den Beschäftigten. „Insbesondere bei kleineren und mittleren Unternehmen führt das auch arbeitgeberseitig zu Mehraufwand“, sagt Ulbricht. Solche Firmen aber verfügten häufig nicht über Spezialisten, die sich um Derartiges regelmäßig kümmern.
Hinzu kommt seit einigen Jahren ein weiterer hemmender Faktor: Wegen der Niedrigzinsen zweifeln immer mehr Menschen daran, dass eine kapitalgedeckte Altersvorsorge eine attraktive Rendite bringt.
Mehr Artikel aus dieser Rubrik gibt's hier: Wirtschaft