Hamburg. Als der Begriff „Roboter“ vor knapp 100 Jahren aufkam, verstand man darunter menschenähnliche Apparate, die mechanische Arbeit verrichten. Damals waren sie noch eine Vision, längst sind sie in Tausenden von Fabrikhallen an der zumeist monotonen Arbeit. Mittlerweile übernehmen die Maschinen aber auch kompliziertere Aufgaben. Sogenannte Anlageroboter – Computerprogramme mit einem gewissen Grad künstlicher Intelligenz – mischen derzeit den Banken- und Vermögensverwalter-Markt auf.
Emotionsloser Berater
Natürlich könnte man einem solchen „Robo-Advisor“, so die englische Bezeichnung, auch ein menschliches Gesicht verleihen. Bei der Direktbank Comdirect in Quickborn, wo derzeit ein solcher elektronischer Anlageberater entwickelt wird, hat man sich jedoch bewusst dagegen entschieden. „Ein Programm ist emotionslos, es arbeitet unbeeinflusst von persönlichen Meinungen“, sagt Comdirect-Chef Arno Walter. Gerade dies empfänden viele Anleger als positiv.
Digitale Geldanlage
Noch im ersten Halbjahr will das Tochterunternehmen der Commerzbank an den Start gehen – und der Mutterkonzern hat bereits Interesse angemeldet, das Programm, wenn es sich bewährt, 2018 den eigenen Kunden zugänglich zu machen. „Die Zukunft der Geldanlage wird digital sein“, sagt Walter. „In fünf Jahren wird jede Bank beziehungsweise jede Bankengruppe so etwas im Angebot haben müssen.“
Martin Faust, Professor für Bankbetriebslehre an der Frankfurt School of Finance, geht sogar noch weiter: „Im breiten Privatkundengeschäft wird es in der Wertpapierberatung in einigen Jahren nur noch automatische Lösungen geben.“ Schon allein wegen der Vorschriften von Regulierungsbehörden – Stichwort Beratungsprotokolle – lohne sich diese Form der Anlageberatung oft nur für größere Beträge, sagt Walter. Comdirect plane aber, das Robo-Advisory mit einem Mindestbetrag von nur 3000 Euro zu starten.
Online-Automat
Nach Ansicht des Comdirect-Vorstandsvorsitzenden hat ein solcher Online-Automat mehr als nur Kostenvorteile: „Wann haben denn die Menschen Zeit, sich Gedanken über die Geldanlage zu machen? Doch meistens dann, wenn Bankfilialen nicht geöffnet sind.“ Dass deren Zahl in Deutschland sinke, spiele den Anbietern automatisierter Anlageberatung zusätzlich in die Hände.
Vor diesem Hintergrund trauen Experten den Anlagerobotern ein rasantes Wachstum der von ihnen verwalteten Vermögen zu. So erwartet etwa die Unternehmensberatung Oliver Wyman für Deutschland ein Volumen von mindestens 20 Milliarden Euro im Jahr 2020.
In den Kinderschuhen
Während die Automaten etwa in den USA schon gut etabliert sind, steckt der Markt hierzulande aber noch in den Kinderschuhen. Schätzungen zufolge haben die verschiedenen Anbieter, bisher meist sogenannte FinTechs, zusammengenommen erst gut 300 Millionen Euro Kundengelder eingesammelt. Scalable Capital (München/London) hat zum Jahresende 2016 nach eigenen Angaben die Marke von 100 Millionen Euro überschritten und dürfte damit weit vor den Konkurrenten liegen, von denen die ersten 2013 auftraten. Zwischen 20 und 30 von ihnen sind in Deutschland entweder schon aktiv oder stehen kurz vor dem Markteintritt. Zu den bekannteren Namen zählen Easyfolio, Ginmon, Vaamo (alle Frankfurt), Growney, Quirion, Cashboard (alle Berlin) sowie Whitebox (Weil am Rhein).
Wer mitmischt
In Hamburg sind Donner & Reuschel und die Sutor Bank über Kooperationen mit FinTechs auf diesem Sektor engagiert, Sutor bietet aber auch eine eigene Online-Vermögensverwaltung an. Bei dieser Vielfalt wird es nach Einschätzung von Arno Walter aber nicht bleiben: „Mehr als höchstens sechs oder sieben Anlageroboter werden sich wohl kaum am deutschen Markt durchsetzen können.“
Allen Programmen gemeinsam ist, dass sie zunächst anhand standardisierter Fragen zur Risikoneigung des Kunden, zur gewünschten Mindestdauer und Höhe der Anlage und zu einigen weiteren Kriterien einen Vorschlag unterbreiten, wie das Vermögen auf unterschiedliche Anlageklassen verteilt werden sollte. Wie es dann weitergeht, ist aber je nach Anbieter verschieden.
Manche beschränken sich auf eine Beratungssoftware, die empfohlenen Fonds muss der Kunde dann selbst bei einer Bank kaufen. Am gewählten Mix ändert sich ohne Anweisung des Kunden aber nichts mehr. Bei anderen Angeboten erhält der Kunde auf ihn zugeschnittene Handlungsempfehlungen, die Umsetzung muss er jedoch selbst freigeben. Eine dritte Kategorie der Robo-Berater bietet ein aktives Anlagemanagement. Dann verkauft und kauft das Programm im Rahmen der zuvor festgelegten Kriterien auch eigenständig Aktien und Fonds.
Alle diese Stufen soll der digitale Vermögensverwalter der Comdirect beherrschen. Seit Februar 2016 arbeiten die Quickborner daran. Bis zu 20 Personen waren in das Projekt eingebunden. Allerdings musste Comdirect nicht bei Null beginnen: Schon 2014 wurde eine Vorstufe, der „AnlageAssistent“ ohne aktives Management, eingeführt. „Damit gehörten wir zu den Vorreitern in Deutschland“, sagt Walter. Das geplante Nachfolgeprogramm wurde weitgehend im eigenen Unternehmen mit Unterstützung der Universität Potsdam entwickelt. Der eigentliche Rechenkern stammt vom spanischen Spezialisten TechRules.
Alte Datenbank
Skeptiker kritisieren, dass Anlageroboter erst nach der bisher letzten Börsenkrise ab dem Jahr 2008 entstanden sind und Erfahrungen aus solchen Abschwungphasen daher nicht in die Entwicklung eingeflossen seien. Walter sagt: „TechRules arbeitet mit einer Datenbank, die 15 Jahre zurückreicht. Damit kann man zum Beispiel simulieren, in welchen Zeitabständen eine Umschichtung der Anlagen eines Kunden optimal gewesen wäre.“
Ein Robo-Advisor ist nach Einschätzung von Fachleuten vor allem für Anleger geeignet, die wissen, was sie tun. Auf der anderen Seite könne ein solches Programm aber auch Menschen, die sich in Geldanlagefragen bisher nicht gut auskennen, Schwellenangst nehmen, glaubt Walter: Mancher Sparer schrecke bisher vor einer Wertpapierberatung zurück, weil sich dabei zeigen könnte, dass er sich in Finanzdingen nicht gut auskennt. „Einem Computer gegenüber müsste er diese Befürchtung nicht haben.“
Ein Prozent des Anlagebetrags
Über die Kosten des neuen Angebots für die Kunden hat man bei Comdirect noch nicht entschieden. Üblicherweise berechnen Anlageroboter den Kunden jährlich höchstens 1,0 Prozent des Anlagebetrages, während man bei einer klassischen Vermögensverwaltung meist mindestens 1,5 Prozent zahlt. Digitale Anbieter erzielen vergleichsweise niedrige Kostensätze auch dadurch, dass sie bei der Anlage stark auf ETFs (Exchange-traded Funds) setzen. Das sind börsengehandelte Investmentfonds, die zumeist einen Marktindex wie den DAX nachbilden. ETFs sind aus kostengünstig: Es gibt keinen Ausgabeaufschlag, die regelmäßig anfallenden Gebühren sind gering. Verbraucherschützern schätzen ETFs deshalb. Bankenexperte Faust sieht jedenfalls keine Nachteile für die Kunden.
Kosten senken
Das Motiv von Banken und anderen Anlageberater liege auf der Hand: „Es geht ganz klar darum, Kosten zu senken.“ Anlageroboter würden in den nächsten Jahren nicht wenige Arbeitsplätze von Wertpapierberatern vernichten. Zumindest darin gleichen die neuen digitalen Kollegen also ihren stählernen Vorgängern in den Fabrikhallen.
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