Getränkeindustrie

Beerenschorle statt Bier in Hamburger Bars

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Melanie Wassink
Jan Ockert ist Geschäftsführer des Getränke-Startups Ebler

Jan Ockert ist Geschäftsführer des Getränke-Startups Ebler

Foto: Marcelo Hernandez

Alkohol in der Bar war gestern! Heute greifen viele immer häufiger zu nicht-alkoholischen Getränken. Start-ups verdienen am Trend mit.

Hamburg.  Jan Ockert sitzt im Bistro „Altes Mädchen“ in der Schanze. Vor sich auf dem Holztisch die neue Johannisbeerschorle „Morle Schorle“. Bisher setzt das Alte Mädchen, eine im Shabby Chic eingerichtete Bar, auf ein rustikales Menü aus Craft Bier und Hausmannskost. Doch bald soll auch der Saftmix auf der Karte stehen. Ockert ist Gründer des Getränke-Startups Elbler. Seine Firma ist mit Cider, einem Apfelwein mit Obst aus dem Alten Land, bekannt geworden. Mit einer Apfelschorle und dem Beerendrink expandiert Elbler nun in den Markt der nicht alkoholischen Getränke.

Ockert ist mit seinem Vorstoß in den Saftmarkt kein Einzelfall. Immer mehr Anbieter setzen auf gesunde und regional produzierte Getränke. Fruchtschorlen, Direktsäfte oder Smoothies werden auf den Getränkekarten zur Selbstverständlichkeit. Dagegen haben es die Hersteller von alkoholischen Getränken zunehmend schwer. Biosaft statt Bier, dieser Lifestyle setzt sich besonders in Großstädten durch.

Bewusst genießen – auch in der Bar

Für immer mehr Menschen beschränkt sich ein gesunder Lebensstil nicht auf Milch und Müsli zum Frühstück. Auch im Strandclub, in der Bar oder im Café an der Alster wollen sie bewusst genießen. „Außer in München, wo das Weizen zu den Grundnahrungsmitteln gehört, trinken die Leute tagsüber kaum noch Alkohol“, beobachtet Ockert das Umdenken in der Stadt. Die Gastronomie reagiert: Neben dem Alten Mädchen führen die Restaurants der Kette Jim Block, die Strandperle oder die Campus Suite die neuen Elb­ler-Produkte. Spätestens seit Hollywoodstars mit Grünkohlsmoothies oder Gurkenshakes durch Los Angeles streifen, ist gesundes Trinken Teil der Großstadtkultur.

Ja oder Nein zum Alkohol – das ist auch eine Generationenfrage, bestätigen Wissenschaftler die Entwicklung. „Ältere Männer nahmen früher aus Tradition härtere Getränke zu sich“, sagt Kai-Uwe Hellmann, Professor für Wirtschafts- und Konsumsoziologe an der Technischen Universität Berlin. „Frühschoppen oder das Feierabendbier gehörten zur Freizeitkultur.“ Das habe sich längst geändert. Mit Bier und Korn können die Jüngeren oft nur wenig anfangen. Um sich von der Masse abzuheben, würden einige auf Wein umsteigen. „Die Verluste gleicht das aber nicht aus“, sagt Hellmann. Auch gesellschaftspolitische Trends hätten für Verunsicherung bei den Konsumenten gesorgt. Kampagnen gegen Alkohol seien verstärkt worden– dies habe ähnliche Effekte wie beim Nikotin. Die Menschen achteten zudem viel stärker auf ihre Ernährung.

Nicht nur Elbler steigt von Apfeldrinks mit Umdrehungen mehr und mehr auf Fruchtsäfte um. Auch etablierte Konzerne suchen Erfolg in der Gesundheitsnische. So kaufte die für ihr Bier bekannte Radeberger-Gruppe die Limonadenmarke Bionade. Brauer müssen reagieren, weil der Absatz des Gerstensaftes sinkt – nur die gestiegene Nachfrage nach Alkoholfrei-Varianten rettet noch die Bilanzen.

Selbst Berentzen hat sich geändert – setzt auf Säfte statt Schnäpse

Auch die mit Apfelkorn groß gewordene Traditionsfirma Berentzen weicht zunehmend auf den nicht alkoholischen Markt aus. Die Emsländer haben Citrocasa übernommen, eine Marke für Fruchtsaftpressen. „Über innovative Konzepte ist im alkoholfreien Bereich viel einfacher ein stärkeres Wachstum möglich“, begründet Berentzen-Chef Frank Schübel die Kursänderung bei dem Spirituosen-Anbieter, dessen Produkte in der Region vor 30 Jahren noch unentbehrlich für das in Dorfkneipen übliche „Herrengedeck“ aus Bier und Korn schienen. Nun also Saft statt Schnaps.

Während die großen Getränkekonzerne zwischen Flensburg und Passau auf den Biotrend aufspringen, hat sich in Hamburg längst eine Szene von Start-ups herausgebildet, die an dem Trend mitverdienen wollen. Lemonaid, Fritz Kola oder Viva con Agua weiten ihr Sortiment stetig aus. Zunehmend verdrängen sie in den Kiezkneipen sogar Großkonzerne wie Coca-Cola.

Das sei nicht verwunderlich, findet Rewe-Sprecher Thomas Bonrath. „Der Aspekt ,Regionalität‘ steht über alle Warenbereiche hinweg in der zunehmenden Gunst der Verbraucher – also nicht nur bei Getränken“. Dabei würden innovative Getränke meist zunächst in trendigen Clubs eingeführt, um die Akzeptanz zu testen. „Und wiederum dort treffen diese Getränke auf eine experimentierfreudige Kundschaft, die immer auf der Suche nach dem Besonderen ist. Dies inspiriert potenzielle Start-up-Unternehmer, die dann erkennen, dass es für Trendgetränke mit lokaler, exklusiver Prägung und gutem Marketing Potenzial gibt“, begründet Bonrath die Entwicklung.

Schwerpunkt auf lokale Lebensmittel legt auch Edeka

Solche Locations fänden sich naturgemäß in großen Städten wie Berlin, München, Köln und Hamburg. Die Chance, aus den Metropolen in den bundesweiten Markt zu wachsen, böte dann der Handel: „Erst wenn sich die Trendgetränke in den Szenebars etabliert haben, die Nachfrage danach steigt und der Wunsch groß wird, diese auch im örtlichen Supermarkt beziehen zu können, ist der Vertrieb über den Großfachhandel der nächste logische Schritt“, sagt Bonrath.

Einen Schwerpunkt auf lokale Lebensmittel legt auch Edeka. „Viele unserer Kaufleute in den Vierteln unterstützen die kleinen Hersteller und bieten ihnen die Chance, Schritt für Schritt zu wachsen“, sagt Edeka-Sprecher Gernot Kasel. Neben Rewe und Edeka, die Elbler oder Fritz Kola führen, nehmen auch Drogerien die Innovationen auf. So unterstreicht Budnikowsky mit lokalen Marken wie Magnus aus Norderstedt gerne die eigene hanseatische Herkunft.

Außerdem befeuern Gastronomie und Handel die Kreativität junger Anbieter, um bei den Kunden neue Bedürfnisse zu wecken. Budni-Sprecherin Wiebke Spannuth nennt als Beispiel das Kokoswasser von GongGong Be­verages. Der fettfreie Drink wird in Thailand produziert, den deutschen Vertrieb organisieren Hamburger. Der nächste Trend, schätzen die Budni-Einkäufer, wird wieder ein Pflanzendrink: Vom Sommer an bringe Alnatura ein Birkenwasser in den Markt.

Für Elbler-Chef Jan Ockert ist Hamburg mit seiner lebendigen Gas­tronomie und Handelsszene ebenfalls der ideale Standort. „Viele Firmen halten Berlin für den innovativsten Markt“, sagt der 39-Jährige über die Heimat von Limos wie Thomas Henry oder Proviant. „Doch dort verschwinden viele Marken so schnell, wie sie gekommen sind.“ Wer sich in der Hansestadt dagegen einmal etabliert habe, könne auf treue Kunden zählen. Ein wichtiger Pluspunkt für Hamburg.

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