Hamburg

Die Kammer unterm Hakenkreuz

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Martin Kopp

Ein neues Buch zeigt, welche Rolle die Kaufmannschaft in der Diktatur spielte und wie die Kapitulation der Stadt ablief

Hamburg. Es gab Mitläufer, Leute die sich wegduckten – aber es gab auch glühende Verehrer. Es gab viele, die sich pragmatisch auf die Vorgaben der neuen Machthaber einzustellen versuchten, und es gab einige wenige, die Widerstand leisteten.

Betrachtet man das Verhalten der Hamburger Wirtschaft während des Dritten Reichs, stößt man auf Charaktere, wie sie in den 1930er- und 1940er- Jahren überall in der Hamburger Bevölkerung zu finden waren. Und doch gibt es Unterschiede: Der Umgang der Hamburger Kaufmannschaft und Unternehmer mit der Nazi-Herrschaft war für die Entwicklung der Hansestadt zwischen 1933 und 1945 erheblich. Von der Gleichschaltung aller In­stitutionen über den Ausschluss jüdischer Unternehmer bis hin zu einer exzessiven Rüstungsindustrie und dem Einsatz von Zwangsarbeitern, standen immer auch die wirtschaftlichen Eliten in der Verantwortung. Sogar bei der Kapitulation und kampflosen Übergabe Hamburgs an die Alliierten hat ein Unternehmer eine bedeutende Rolle gespielt, wie jetzt aufgedeckt wird.

In dieser Woche erscheint das Buch „Hanseaten unterm Hakenkreuz. Die Handelskammer Hamburg und die Kaufmannschaft im Dritten Reich“. 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wird darin die NS-Vergangenheit der Hamburger Wirtschaft und ihrer Kernorganisation, der Handelskammer, neu beleuchtet. Die Handelskammer hat die Aufbereitung ihrer Geschichte in jener „dunklen Zeit“ anlässlich ihrer 350-Jahr-Feiern veranlasst, wie Kammer-Präses Fritz Horst Melsheimer die Jahre der Diktatur im Vorwort nennt. Und der Buchautor, der Hamburger Journalist Uwe Bahnsen, hat das Handeln der damaligen Entscheidungsträger ohne Schonung der Personen aufgezeigt.

Akribisch hat Bahnsen „bedrückende Beispiele fehlender Zivilcourage“ aber auch „erhebende Beweise für Mut und Verantwortungsbewusstsein in schweren Tagen und Stunden“ gesammelt, wie er selbst schreibt. Herausgekommen ist eine lebendige Abhandlung, die in chronologischen Abschnitten ein Schlaglicht auf die Verstrickung der Kammer in die NS-Herrschaft wirft.

Klar ist, dass die Gleichschaltung der Kammer in nur zwei Tagen erfolgte. Am 14. Juni 1933 legten die damaligen Mitglieder der Kammer-Vollversammlung ihre Ämter nieder. Am 16. Juni wurde von den Machthabern die Neubildung der Handelskammer verkündet. Präses wurde nun, wer den neuen Machthabern folgte. Zunächst war das Hermann Heinrich Hübbe, Titular-Direktor der Deutsch-Südamerikanischen Bank; von 1937 bis 1945 dann der Mitinhaber der Importfirma Markwitz & Delacamp und NSDAP-Anhänger Joachim de la Camp. 17 bisherige Plenarmitglieder mussten ausscheiden, darunter der Nachkriegsbürgermeister Rudolf Petersen und der Bankier Max Warburg.

Mit dessen Namen verbindet sich eines der traurigsten Kapitel in der Kammer-Geschichte: Die Vertreibung jüdischer Kaufleute aus ihren Ämtern, der Boykott ihrer Betriebe, ihre Drangsalierung und spätere Inhaftierung. 1927 hatte die Kammer Max Warburg noch mit ihrer höchsten Auszeichnung, der Goldmedaille, geehrt. Nun verlor er ohne Verabschiedung alle Ämter in der Kammer und im Aufsichtsrat der Hapag-Reederei. Seine Bank wurde verkauft, ein Großteil des Veräußerungserlöses von den Nazis einbehalten. 1938 floh er in die USA.

Die Liste der Hamburger Firmen, die ihre jüdischen Inhaber verloren, ist lang: Die Reederei Fairplay, das renommierte Fotogeschäft W. Campbell & Co., oder Charles Lavy stehen exemplarisch dafür. Alles auf Betreiben eines Mannes, der einmal selbst aus ihrer Mitte kam: Bürgermeister war damals Carl Vincent Krogmann, vormals Mitinhaber des Handelshauses Wachsmuth & Krogmann und Mitglied der Handelskammer.

Zahlreiche Kaufleute nutzten zunehmend rassistische Motive, um ihre Produkte auf den Markt zu bringen. Das zeigt das Beispiel des Unternehmens Beiersdorf, dessen Gründer Oscar Troplowitz und Otto Hanns Mankiewicz jüdischer Herkunft gewesen waren. Mehrere Konkurrenten schlossen sich zu einer Interessengemeinschaft „Deutsche Marke“ zusammen und riefen die Verbraucher dazu auf, keine „jüdische Hautcreme“ mehr zu benutzen. Stück für Stück entfaltet Bahnsens Buch, wie die Handelskammer, die sich anfangs gegen das Hineinregieren in ihre Belange wehrte, ab 1937 aktiv die „Entjudungspolitik“ des NS-Regimes unterstütze.

Mit dem Namen Rudolf Blohm und der Werft Blohm + Voss verbindet sich wiederum ein tiefgreifender Wandel, den Hamburgs Wirtschaft in den Jahren der Nazi-Herrschaft durchlief: Von der weltoffenen Handelsstadt zu einem auf den Binnenmarkt und die Kriegsmaschinerie ausgerichteten Industriestandort. Blohm war nicht Mitglied der NSDAP, aber als Wehrwirtschaftsführer und vor allem als zeitweiliger Leiter des Hauptausschusses Schiffbau einer der einflussreichsten deutschen Rüstungsindustriellen. Seine Werft profitierte enorm von Marineaufträgen. Um diese abzuarbeiten, wurden zunehmend Zwangsarbeiter, später auch KZ-Häftlinge aus dem Konzentrationslager Neuengamme eingesetzt.

Besondere Beachtung verdient der Schluss des Buchs. Hier zeigt der Autor auf, dass wiederum ein Hamburger Unternehmer starken Einfluss auf Hamburgs Kapitulation hatte und damit ein weiteres Blutvergießen vor den Toren Hamburgs mitverhinderte: der spätere Kammerpräses Albert Schäfer. Dieser war damals Generaldirektor der Phoenix-Werke, in denen sich ein großes Lazarett befand. Zusammen mit zwei weiteren Parlamentariern überquerte er Ende April 1945 die Frontlinie südlich von Harburg, um mit britischen Offizieren im Gasthof Hoheluft in Meilsen an der Bremer Chaussee über eine weitere Verschonung der Phoenix-Werke zu verhandeln. Dabei wurde die Frage einer Kapitulation erörtert. Schäfer wurde gebeten, dem Kampfkommandanten von Hamburg, Alwin Wolz, einen Brief der Briten zu übergeben, in denen diese die Kapitulation der Stadt forderten. Schäfer führte den Auftrag aus, der schließlich zur kampflosen Übergabe der Stadt an die Besatzer führte.

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