Das Talent zum Führen hatte sie schon als Kind. Sie war Klassen-, später Schulsprecherin und bei ihren beiden Brüdern dafür gefürchtet, dass sie die kleineren Geschwister schon mal herumkommandierte, erzählt die Frau mit der sportlichen Figur augenzwinkernd. Heute ist Anja Krusel Mitglied der Geschäftsführung bei Philips Deutschland mit 7000 Mitarbeitern. Im Alter von 43 Jahren als Chefin der Finanzsparte die Nummer zwei in einem Unternehmen, das 3,4 Milliarden Euro umsetzt.

"Geplant", erzählt die Managerin in ihrem Büro mit traumhaftem Blick über die Außenalster, "habe ich meine Karriere nie." Ihren ersten Berufswunsch "Pilotin" verwarf sie nach einem enttäuschenden Besuch beim Augenarzt, der Sehschwäche diagnostiziert hatte. Sie entschied sich für ein BWL-Studium. Nach einem Intermezzo in der Bauindustrie führten mehrere Karrierestationen die reiselustige Frau bei Philips ins Ausland. Amsterdam, Stockholm, dann Hamburg, Atlanta, Boston, jetzt wieder Hamburg. "Ich bin immer gefragt worden, habe nie selber einen Job gefordert", sagt die gebürtige Sauerländerin. Irgendwie typisch Frau, glaubt sie: "Wir stellen uns nicht so in den Mittelpunkt und trauen uns in der Regel weniger zu als Männer."

Den Aufstieg hatte sie häufig Förderern aus dem Konzern zu verdanken. Männern, die an sie glaubten. Die auf Jobinhalte schauten, nicht auf das Geschlecht. Und die ihre Authentizität schätzten.

Anders als manchen männlichen Kollegen hätten ihr auf dem Weg nach oben Statussymbole nie etwas bedeutet. "Die Größe meines Autos, der Standort meines Parkplatzes sind mir nicht wichtig", sagt die Managerin, die täglich morgens um halb sechs im Fitnessstudio trainiert. Irgendwie auch kein Ort für die Karriereplanung. Golf spielen? Lions Club? Kein Thema für die Uhlenhorsterin, "da gehe ich lieber mit dem Rucksack in die Berge wandern, abseits von Leuten".

Einsam oder wie ein unzugänglicher Zahlenmensch wirkt Anja Krusel aber keineswegs, auch wenn die Karriere die Single-Frau schon so manche Beziehung kostete. Zwei ihrer Lieben scheiterten, weil die Männer sich ihr unterlegen fühlten. Sie kam weiter, wurde in der Firma gefördert, verdiente irgendwann mehr Geld, das war den Partnern suspekt. "Man muss Kompromisse eingehen", räumt sie ein, auch die Zeit für eigene Kinder sei auf der Strecke geblieben. "Das hat sich nicht so ergeben, aber dafür bin ich jetzt gerne Lieblingstante."

Nicht nur ihren Nichten und Patenkindern kann sie Vorbild sein, auch weiblichen Angestellten bei der HypoVereinsbank. Dort berät sie im Frauenbeirat gemeinsam mit prominenten Geschlechtsgenossinnen wie Gabriele Strehle und Susanne Porsche junge Nachwuchskräfte mit dem Ziel, mehr Frauen in Spitzenjobs zu bringen.

"Die Gesellschaft ist auch 50/50 besetzt, warum nicht die Unternehmen?", fragt sie. Dafür müssten sich aber die Bedingungen ändern. "In den USA ist es selbstverständlich, dass Mütter drei Monate nach der Geburt zurückkommen an den Arbeitsplatz oder dass Frauen in Toppositionen auf Teilzeit reduzieren können." Dort würden diese flexiblere Personalpolitik, aber auch eine größere Selbstverständlichkeit solcher emanzipierter Lebensläufe einen erheblich größeren Anteil weiblicher Führungskräfte mit sich bringen. Eine Quote für Deutschland, das Land mit dem großen Nachholbedarf bei diesem Thema, lehnt Anja Krusel dennoch ab: "Keine Frau möchte aufgrund einer Quote oben ankommen."