Argentinien ist dabei, die Eckpfeiler seines Stolzes zu zerstören: den Fleischmarkt und die Gauchos. Was Tausende Kilometer entfernt passiert, hat direkte Konsequenzen für das, was auf unserem Teller landet. Unterwegs mit norddeutschen Großhändlern und Gastronomen in der Pampa

Es gibt klimatische Verhältnisse, bei denen es sich schlecht über blutige Steaks sprechen lässt. 37 Grad Hitze und eine Luftfeuchtigkeit von 90 Prozent laden eher zu einer Diskussion über Eiswürfel und Mineralwasser ein, aber Matthias Rudolph irritiert rein gar nichts, wenn er in seinem Element ist. Und sein Element ist Fleisch. Der Hamburger Großhändler spricht mit einer solchen Leidenschaft darüber, dass man schnell vermutet, er könnte beim Reden im Kühlhaus oder in einer brutzelnden Bratpfanne stehen, es würde ihn nicht stören. „Argentinisches Rindfleisch ist qualitativ mit nichts zu vergleichen, mit nichts!“, sagt der 43-Jährige.

Wir sitzen auf der Terrasse des Hilton Hotels in Buenos Aires und blicken auf den schicken neuen Stadtteil Puerto Madero. Mit der eigentlichen Stadt verbindet dieses künstlich aufgebaute Viertel wenig, aber diese Vorwürfe musste auch die HafenCity in ihren Anfängen ertragen, und jetzt bekommt sie ab und an doch ein Lob.

Das Fleisch steht für Freiheit, Gesundheit und ein wenig Cowboytum

Lange nicht so viel Lob wie das argentinische Fleisch natürlich, denn das spielt in einer anderen Liga, glaubt man seinem eigenen Geschmack und den Ausführungen von Matthias Rudolph. Fast zwei Wochen lang war der Geschäftsführer der Firma Peter Mattfeld & Sohn mit einer Entourage aus Restaurantbesitzern und Köchen unterwegs, um sich die Farmen in der Gegend des Río de la Plata anzugucken. Alle nicht weit von Buenos Aires entfernt. „Nicht weit“ bedeutet in Argentinien Fahrtzeiten von drei bis vier Stunden.

Die deutschen Einkäufer sollten sehen, warum das Fleisch von hier so anders schmeckt. Nach Freiheit und Gesundheit und einem Hauch von Cowboytum. Mit jedem Bissen ein bisschen Wildnis. „Der Geschmack ist unverwechselbar würzig“, sagt Importeur Rudolph, „das liegt an der Art, wie das Rind aufwächst.“ Jedes hat in der Regel fast zwei Fußballfelder Platz für sich und ernährt sich ausschließlich von Gras. Das Gegenteil von Stallhaltung, Mast und Fleischskandalen. „Die Haltung der Rinder in Deutschland löst eine Kette von Zwängen aus, die, wenn man nicht aufpasst, naturfremd sind. Das Tier wird zum Renditeobjekt. Es gibt einen Konflikt zwischen Fleischqualität und Gewinnoptimierung, wobei erstere auf der Strecke bleibt“, sagt Bernd Nasch, einer der mitgereisten Gastronomen. Die Besuche auf den Farmen haben ihn so beeindruckt, dass er demnächst argentinische Rumpsteaks in seinen Filialen in Niedersachsen anbieten wird. Die Tiere, die in Argentinien für gutes Fleisch verwendet werden, sind britische Rassen, Hereford und Angus beziehungsweise deren Kreuzungen. Das stelle einen großen Unterschied zu Deutschland dar, erklärt Rudolph, doch am wichtigsten seien ihm Transparenz und Vertrauen.

„Heute gehört es dazu, dass ich nicht nur den Farmer und seine Herde kenne, sondern auch den Namen des Hundes und den Geburtstag der Tochter“, sagt Rudolph. Er könnte einem Gast in einem von ihm belieferten Restaurant sagen, zu welchem Tier das Stück Fleisch gehört, das auf seinem Teller liegt, wann es geboren und wo es geschlachtet wurde. In Argentinien sind diese Wege nachvollziehbar, in Brasilien nicht unbedingt; zumindest gibt folgende Anekdote Anlass zur Sorge: Ein brasilianischer Fleischtransporter wird von EU-Kontrolleuren gestoppt. „Die Tiere haben ja gar keine Marken im Ohr, wie soll man denn so die Herkunft erkennen?“, moniert der Kontrolleur, worauf der Fahrer des Lkw erwidert: „Ach, die, die habe ich hier in einer Plastiktüte dabei.“

Argentinier sind Fleischesser. Während die Europäer durchschnittlich 85 Kilo Fleisch pro Jahr zu sich nehmen, verzehrt ein Argentinier 116 Kilo! Präsidentin Cristina Kirchner hat sich daher auf die Fahnen geschrieben, die Fleischpreise gering zu halten. Gib den Leuten Steak, dann schlucken sie eventuell anderen Mist. Die Argentinier sind an sich eine Protestnation, aber mit vollem Mund beschwert es sich nicht so deutlich. Also muss das Grundnahrungsmittel günstig sein. Dafür verhängt die Regierung Preisobergrenzen und beschränkt die Exporte. Es gibt bestimmte Quoten, dazu gehört die sogenannte Hiltonquote, die bestimmt, wie viel Tonnen Rindfleisch der höchsten Qualitätsstufe in die EU transportiert werden dürfen. Doch die Hiltonquote wird nie ausgeschöpft, die Zahlen bleiben unter den erlaubten 30.000 Tonnen. Das liegt an willkürlich erteilten oder eben nicht erteilten Genehmigungen, an monatelangen Wartezeiten, die es den ausländischen Importeuren schwer machen. „Dieses Wirrwarr belastet unsere Branche“, sagt Rudolph.

Ein hochrangiger Landwirtschafts-Experte, der lieber nicht mit Namen genannt werden möchte, befürchtet, dass das Land sein Flaggschiff, das Fleisch, zum Kentern bringt: „Es ist sehr bedauerlich, dass Cristina Kirchner an dieser unverständlichen Politik festhält. Da bleibt viel Geld auf der Strecke.“ Gerade aus Deutschland könnte mehr kommen. Die Nachfrage nach teuren Premiumschnitten ist hierzulande im weltweiten Vergleich am größten. Russen und Chilenen importieren mengenmäßig zwar mehr aus Argentinien, doch handelt es sich um billigeres Fleisch.

Hierzulande schmeckt argentinisches Filet besser als im Herkunftsland

Durch die Handelsrestriktionen feuern die argentinische Präsidentin und ihre Regierung den Untergang einer Branche an, auf die eigentlich alle so stolz sind. Vergleichbar wäre damit, Messi bei Spielen der argentinischen Fußball-Nationalmannschaft dazu anzuhalten, nur auf einem Bein zu laufen.

Argentinien war das Aushängeschild für Rindfleisch. Das Land gehörte zu den größten Exportnationen des begehrten Lebensmittels, doch die glorreichen Zeiten sind vorbei. Laut dem Institut über den Vertrieb von argentinischem Fleisch (IPCVA ) verlassen nur noch sechs Prozent des Fleisches das Land, vor zehn Jahren waren es noch 20 Prozent. Brasilien und sogar das viel kleinere Uruguay haben die Argentinier inzwischen beim Export überholt. Vor allem seit 2006 ist der Markt immer weiter eingebrochen. In diesem Jahr sowie in 2008 verhängte die Regierung teilweise sogar ein komplettes Ausfuhrverbot. „Das werde ich nie vergessen“, sagt Rudolph: „Es ist Fußball-WM in Deutschland, alle wollen grillen, und wir dürfen kein Fleisch liefern.“ Bereits in Containern verpackte Ware wurde wieder rausgeholt und am Hafen für einen Appel und ’n Ei verkauft. Dabei schmeckt argentinisches Filet vor Ort gar nicht so gut wie in einem Restaurant in Deutschland, denn es braucht eine gewisse Reifezeit, die es durch den langen Transport erhält. Nicht nur die Herkunft, auch der Zeitpunkt des Verzehrs sind für den Geschmack verantwortlich.

Weil sich das Fleischgeschäft für die Argentinier immer weniger lohnt, setzen die Farmer auf Soja- und Weizenanbau, das ist lukrativer, braucht aber viel Weideland. Die Flächen für die Viehherden und die Herden an sich verkleinern sich. Heute gibt es rund zehn Millionen Rinder weniger als noch vor knapp zehn Jahren. Für die Schlachthöfe, die Viehhalter und ihre Angestellten, also die Gauchos, hat das dramatische Konsequenzen. Man geht von etwa 15.000 Arbeitsplätzen aus, die in der Branche bereits gestrichen wurden.

„Ach, die echten Gauchos sind doch sowieso schon ausgestorben“, sagt Sebastian Goni. Diese Ansicht verwundert durchaus, denn Goni könnte nicht deutlicher aussehen als das, was sich ein Europäer unter einem Gaucho vorstellt: Wettergegerbte Haut, an den Füßen die typischen Gaucho-Schuhe, die Apalgatas, an seinen Beinen die typische Pumphose, die Bombacha, hinten im Gürtel ein Langmesser aus Silber, unter seinem Hintern ein Pferd und vor ihm eine Herde, die er vorantreibt. Der Gaucho stellt den Archetyp des Argentiniers dar. Er und sein Pferd bilden seit Jahrhunderten eine nie zu trennende Einheit. Wie ein Finger, der für immer an seinem Tiffany-Ring festhält, verschmelzen Pferd und Reiter zu einer Arbeitskraft, die das Land einst groß gemacht hat. Aber das romantische Bild bekommt Risse. „Wer denkt, dass wir wie in einem Film mit Kevin Costner einsam durch die Gegend reiten, der irrt sich“, sagt Goni. Heute sind Gauchos festangestellte Landarbeiter, die nach der Schicht auf der Estanzia im Fernsehen Fußball gucken und Handys haben. Aus den mutigen Nomaden von einst sind Feierabendhelden geworden. Aber ihre Sehnsucht ist geblieben. Einmal mit dem Unimog von Ushuaia bis nach Alaska reisen, das wäre sein großer Traum, erzählt Sebastian Goni, der Gaucho, der glaubt, keiner mehr zu sein: „Mehrere Monate allein unterwegs, um einen herum nur das weite Land, tagelang niemanden sehen, das würde mir gefallen.“ Goni führt eine 100 Hektar große Estanzia, die Candelaria del Monte. Sie liegt zwei Stunden nördlich von Buenos Aires und ist das ideale Ausflugs-Ziel für gestresste Großstädter. Hier können sie mit der Ruhe der Pampa das Rattern in ihren Köpfen bekämpfen. Auf Gonis Unterarm prangt ein Tattoo, das aus dem Spanischen übersetzt ungefähr so viel bedeutet wie: Bleib cool, reg dich nicht auf.

Jeden Sonntag kommen die Container mit Fleisch im Hamburger Hafen an

Für viele kleine Estanzias stellt die Haupteinnahmequelle inzwischen der Tourismus dar. Manche versuchen das Land-Erlebnis so authentisch wie möglich zu halten. Ruhig – und mit einem unvernünftig großen Stück Fleisch vom Grill am Abend. Andere veranstalten große Gaucho-Shows. „Diese Spektakel wird es bei mir nie geben,“ sagt Goni: „Es wäre so, als würden die Bayern das ganze Jahr über Oktoberfest feiern.“

Die Rinder der Candelaria del Monte werden wie viele andere auf dem Liniers Market verkauft, dem größten Handelsplatz der Welt. 1901 wurde er am Stadtrand von Buenos Aires gegründet, 140.000 Tiere wechseln im Monat hier ihren Besitzer. Die Fleischbarone, die Hunderte Kilometer entfernt leben, vertrauen auf ihren Agenten vor Ort, der für sie die besten Preise aushandelt. Die Käufer stehen über den Herden und gucken als erstes auf den Hintern und die Schulter der Tiere, um die Fleischqualität einzuschätzen, dann wird das Fell begutachtet. Wenn die Glocke ertönt, geht die Auktion los. Man überbietet sich gegenseitig und ruft seine Preise von der Empore hinab. Mindestens 300 Kilo schwer müssen die Tiere sein, um hier gehandelt werden zu dürfen. Geboten wird immer auf den ganzen Stall, nicht auf einzelne Rinder; gezahlt wird nach Kilo Lebendgewicht. Von hier aus gehen die Rinder zu den Schlachtereien, dort stehen sie dann lange unter einer kühlen Dusche, damit der Stress ihrer Reise später nicht zu schmecken ist.

Manchmal dürfen ausländische Besucher das Geschehen auf dem Liniers Market beobachten. Darunter zum Beispiel Hede Schramm, die einen Hof bei Stade besitzt. Sie unternimmt mit anderen Landwirten aus Deutschland eine Reise durch Argentinien, um einen Eindruck von der hiesigen Arbeitsweise zu bekommen: „Es ist schon alles sehr anders; die Tiere in Deutschland bringen beim Verkauf zum Beispiel viel mehr Kilo auf die Waage.“ Wer auf der Weide Gras frisst und sich bewegt, kann eben nicht soviel Gewicht zulegen wie ein Tier in einem Mastbetrieb. Hede Schramm fragt sich nur, warum die meisten Boxen auf dem riesigen Markt leer stehen. An guten Tagen werden eigentlich bis zu 10.000 Tiere verkauft, an diesem Montag sind es nur 1300 Stück. Dabei müsste nach zwei Tagen Auktionspause vom Wochenende eigentlich besonders viel los sein. Aber die Anzahl der Auktionen, der Farmen, der Exporte, der Gauchos – sie reduziert sich permanent, und man würde dem Land wünschen, dass ein Stück seiner Seele nicht irgendwann in der Bedeutungslosigkeit verschwindet.

Das alles erscheint so weit weg, fährt aber jeden Sonntag zwischen 17 und 20 Uhr in den Hamburger Hafen ein. Dann kommen die wöchentlichen Hamburg Süd Container nach vier Wochen Seefahrt aus Buenos Aires an. 700 geschlachtete und zerlegte Tiere füllen einen Container. Es werden immer weniger. Sogar tot haben argentinische Rinder mehr Platz als alle anderen.