Hamburgs Wirtschafts- und Verkehrssenator Frank Horch und sein Kieler Amtskollege Reinhard Meyer über die großen Verkehrsprojekte in Norddeutschland

Hamburg. Jahrelange Klageverfahren, Widerstand von Anrainern und Umweltschützern, steigende Kosten – viele große Verkehrsprojekte in Norddeutschland kommen nur schleppend voran. Dänemark will im Frühjahr das Gesetz zum Bau des Fehmarnbelttunnels verabschieden. Doch in Schleswig-Holstein wird über die nötige Bahn- und Straßenanbindung der europäischen Ferntrasse weiterhin gestritten. Das Abendblatt sprach mit Reinhard Meyer (SPD), 55, Minister für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Technologie in Schleswig-Holstein, und mit Frank Horch (parteilos), 66, Senator für Wirtschaft, Verkehr und Innovation in Hamburg, über den mühsamen Auf- und Ausbau von Infrastruktur.

Hamburger Abendblatt:

Herr Minister Meyer, freuen Sie sich auf Ihre erste Fahrt durch den Fehmarnbelttunnel?

Reinhard Meyer:

Ja natürlich. Es ist eines der derzeit wichtigsten Verkehrsprojekte in Europa. Das wird manchmal gern vergessen, wenn wir hier in der Region darüber diskutieren.

Sie glauben also fest daran, dass dieses Projekt verwirklicht wird und dass Sie durch diesen Tunnel fahren werden?

Meyer:

Der Fehmarnbelttunnel wird gebaut, und ich werde da durchfahren. In welcher Funktion, ist eine andere Frage.

Das Bundesverkehrsministerium hat seine Kostenprognose für die Landanbindung des Tunnels in Schleswig-Holstein kürzlich von 850 Millionen Euro auf 1,5 Milliarden Euro nach oben korrigiert. Stellen solche Zahlen das Projekt Fehmarnbelttunnel generell infrage?

Meyer:

Nein, das tun sie nicht. Ich freue mich im Gegenteil darüber, dass wir jetzt ehrliche Zahlen haben, denn die bisherigen Zahlen waren nicht ehrlich. Es gab zwei Fehler im Staatsvertrag: Man hat damals, 2008, keine Aussage zum Fehmarnsund gemacht, obwohl man seinerzeit schon wusste, dass dort durch den Fehmarnbelttunnel ein Nadelöhr entstehen würde. Von Bundesseite aus wollte man für die deutsche Anbindung eine Milliarde Euro Kosten nicht überschreiten, deshalb hat man den Fehmarnsund ausgeblendet. Der zweite Konstruktionsfehler war – von unserer CDU-geführten Vorgängerregierung – dass sie sich nicht aktiv gegen eine Schienentrasse durch die Bäderorte in Ostholstein gewandt und Alternativen vorgeschlagen hat. Mit einem neuen Raumordnungsverfahren soll es nun gelingen, den Bahn-Güterverkehr in einer alternativen Trasse von den Badeorten wegzunehmen. Das erhöht die Akzeptanz für das Projekt, führt aber bei der Deutschen Bahn, die die neue Trasse plant, zu mehr Zeitbedarf.

Herr Senator Horch, braucht Schleswig-Holstein mehr Unterstützung aus Hamburg für die Landanbindung des Fehmarnbelttunnels – für ein Projekt mit nationaler und europäischer Dimension?

Frank Horch:

Der Fehmarnbelttunnel und die Anbindung in Schleswig-Holstein ist ein länderübergreifendes Projekt, wie übrigens auch die großen Autobahnprojekte in Norddeutschland. Wir kommunizieren das aus Hamburger Sicht immer so, etwa bei den Konferenzen der Länderverkehrsminister. Der Fehmarnbelttunnel und die Anbindungen in Dänemark und Deutschland zählen zu den zentralen Verkehrsprojekten für eine engere Integration des EU-Binnenmarktes. Zwischen Hamburg, Kopenhagen und Malmö entsteht dadurch eine neue Region mit großer Wirtschaftskraft und neuen Perspektiven für die Menschen, die hier leben.

Meyer:

Es geht hier nicht nur um Norddeutschland oder Süddänemark, sondern um Deutschland und Skandinavien. Mich fragen auch Gesprächspartner aus Norwegen danach, wie es mit dem Fehmarnbelttunnel und seinen Anbindungen vorangeht. Auch sie haben großes Interesse an einer neuen, zuverlässigen Verbindung für die Verkehre auf Schiene und Straße.

Hamburg ist die Logistikdrehscheibe für Nordeuropa. Schon deshalb haben wir jedes Interesse daran, dass der Fehmarnbelttunnel realisiert wird.

Dänemark treibt das Fehmarnbelt-Projekt engagiert voran. In Deutschland herrscht kleinlicher Streit. Welchen Eindruck macht das bei unseren Nachbarn?

Meyer:

Das irritiert dort schon. Uns wird aber auch ein Spiegel vorgehalten: Seht her, wie effizient und zielstrebig das wirtschaftlich viel kleinere Dänemark bei Großprojekten vorgeht. Die staatliche dänische Gesellschaft Femern A/S, die den Fehmarnbelttunnel realisieren soll, wäre sicher ein gutes Vorbild, Großprojekte so auch auf Bundesebene in Deutschland zu realisieren. Wir stehen uns in Deutschland manchmal viel zu sehr selbst im Weg.

Droht in Schleswig-Holstein womöglich eine lange rechtliche Auseinandersetzung mit Bürgerinitiativen und Umweltverbänden, ähnlich wie bei der Elbvertiefung oder bei den Autobahnprojekten?

Meyer:

Ich hoffe nicht. Wir haben in Schleswig-Holstein mit dem Dialogforum früh begonnen, Kritiker des Projektes einzubinden, Bürger und Anrainer umfassend zu informieren. Schade finde ich, dass sich mancher Umweltverband nicht an solchen Foren beteiligen will, um spätere Klagechancen möglicherweise nicht zu schmälern.

Herr Horch, auch Sie fordern eine frühe Einbindung von Kritikern solcher Projekte. Was aber, wenn die nicht wollen?

Horch:

Wir müssen klug kommunizieren, Dialoge führen, auf Kritiker wie etwa auf Umweltverbände zugehen. Aber der Weg bei solchen Großprojekten ist immer schwierig. Das sehen wir zum Beispiel auch beim Bau der A26, deren Abschnitt von Moorburg bis zur Landesgrenze mit Niedersachsen wir planen müssen. Dort sind Wiesen und Moorgebiete, aber auch berechtigte Interessen der Landwirtschaft. Wir waren sehr kompromissbereit und haben intensiv mit den Kritikern diskutiert. Doch wir haben es nicht geschafft, zu einem abschließenden Ergebnis zu kommen. Das ist schon enttäuschend.

Im Landkreis Stormarn freut sich die regionale Wirtschaft über ihre Chancen durch den Fehmarnbelttunnel, im benachbarten Kreis Ostholstein wächst der öffentlich wahrnehmbare Widerstand. Wie ist das zu erklären?

Meyer:

Wir müssen vor Ort stärker verdeutlichen, welche Chancen der Fehmarnbelttunnel auch für die Regionen zwischen Kopenhagen und Hamburg bringt. Stormarn profitiert heute schon mit einer sehr niedrigen Arbeitslosigkeit von einem sehr starken Wirtschaftskorridor entlang der A1. Dort sieht man eher die Chancen, auch in Lübeck. Dafür müssen wir stärker auch in Ostholstein werben – die Kommunalpolitik und die Landesregierung.

Gegner des Projektes sagen, weil die Kostenprognosen des Tunnels für Dänemark und die Kosten für die Anbindung in Deutschland bereits jetzt stark gestiegen sind, sei der Staatsvertrag zur Fehmarnbeltquerung Makulatur.

Meyer:

Der Artikel 22 des Staatsvertrages, der Änderungsmöglichkeiten des Vertragswerkes beschreibt, ist keine Ausstiegsklausel. Es gibt weder in Deutschland noch in Dänemark bei den beiden Regierungen eine politische Diskussion darüber, diesen Vertrag infrage zu stellen. Ich sehe aber auch: Deutschland und Dänemark müssen intensiver miteinander reden, etwa auf Ministerebene, und die jeweiligen Bauvorhaben beider Länder besser abstimmen.

Alle großen Infrastrukturprojekte in Norddeutschland klemmen derzeit an irgendeiner wichtigen Stelle. Der Weiterbau der A20 nach Westen zum Beispiel, bis an die Elbe bei Glückstadt, kommt nach einem Klageverfahren von Umweltschützern nicht voran. Auch der Bau eines neuen Elbtunnels bei Glückstadt ist offen, weil der Bund noch kein Konzept zur Finanzierung vorgelegt hat.

Meyer:

Die A20 ist für mich das norddeutsche Verkehrsprojekt par excellence. Diese Autobahn berührt direkt oder in ihren unmittelbaren Auswirkungen alle fünf Küstenländer – sie verbindet unsere Länder dadurch auch enger...

Horch:

...ihr geplanter Verlauf bei Glückstadt unter der Elbe nach Niedersachsen wird den Autobahnverkehr um Hamburg herum entlasten...

Meyer:

...so ist es. Bei der Vorplanung der A20 wurden Fehler gemacht, mit Blick zum Beispiel auf den Artenschutz für Fledermäuse wie auch bei den alternativen Trassenverläufen um Bad Segeberg. Unser Planfeststellungsbeschluss für die westliche Elbquerung bei Glückstadt steht. Und mein Kollege Olaf Lies aus Niedersachsen hat mir versichert, dass auch Niedersachsen das Projekt weiter vorantreiben wird. Nach der Länderplanung wird es davon abhängen, welche Finanzierung der Bund für den Neuen Elbtunnel wählt.

Würden Sie sagen, dass 1,5 Milliarden Euro Kosten für die Anbindung des Fehmarnbelttunnels in Schleswig-Holstein das letzte Wort sind?

Meyer:

Dafür kann man die Hand nicht ins Feuer legen.

Horch:

Ich rate bei Kostenprognosen zur Vorsicht. Man muss bei solchen Großvorhaben ehrlich sein und Schritt für Schritt sorgfältig die Entwicklung bei Planung und Umsetzung kommunizieren. Unabhängig von Kostenentwicklungen wird die Fehmarnbeltquerung gebaut werden, weil es hier um eine zentrale europäische Verkehrsachse geht. Dieser Prozess ist gar nicht aufzuhalten, wenn man den europäischen Binnenmarkt wirklich will.

Warum steht Infrastruktur heutzutage in Deutschland unentwegt in der Kritik? In früheren Jahrzehnten war sie das Symbol für Aufbau und Fortschritt.

Horch:

Ich habe das Gefühl, das ist auch eine Art Wohlstandsproblem. Manche Menschen ziehen in die HafenCity oder an den Altonaer Elbhang und beschwe- ren sich dann über Geräusche und Ge- rüche aus dem Hafen. Da fangen die Wi- dersprüche ja schon an. Ich vermisse, mit Blick auch auf große Verkehrspro- jekte, oft eine Aufbruchsstimmung und einen gewissen Fortschrittsgeist.