Filialen in Wandsbek, Bergedorf und Harburg vor weiteren Einschnitten. Betriebsräte alarmiert. Haus an der Mö soll Trendsetter werden

Hamburg. Der Karneval ist bei Karstadt in Wandsbek eingezogen. Gleich am Eingang werden die Kunden von Schaufensterpuppen im Piraten- und gelb-schwarz-gestreiftem Bienenkostüm begrüßt. Auf einer Sonderfläche gibt es alles Notwendige für die Gute-Laune-Party – vom Konfetti bis zur Clownsnase. Doch zum Lachen ist den Beschäftigten in einer der größeren Hamburger Filialen längst nicht mehr zumute. Eher wähnen sie sich als Teil des großen Schlussverkaufs, mit der das Unternehmen gerade Pullover, Bettwaren und andere Artikel verscherbelt. Alles muss raus – auch die Mitarbeiter.

„Die Stimmung ist so schlecht wie lange nicht mehr“, sagt der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende des Hauses, Thies Nowacki. „Unser Krankenstand liegt derzeit bei rund 15 Prozent, weil die Kolleginnen und Kollegen den ständigen Druck und die Sorge um ihren Arbeitsplatz einfach nicht mehr aushalten.“ Hintergrund der schwierigen Lage sind die jüngsten Kürzungspläne der angeschlagenen Warenhauskette. Um wieder in die schwarzen Zahlen zu kommen, hat Karstadt-Chef Stephan Fanderl dem Unternehmen ein rigides Sparprogramm verordnet. Den Abbau von 1271 auf dann nur noch 8170 Vollzeitstellen im Verkaufsbereich der künftig noch 81 Filialen sieht ein als „streng vertraulich“ gekennzeichnetes Konzept vor, das dem Abendblatt vorliegt. Von 372 auf 308 Millionen Euro sollen die Personalkosten dadurch bundesweit sinken. Ein Karstadt-Sprecher war für eine Stellungnahme am Mittwoch nicht erreichbar.

Auf 32 Seiten beschreibt das Papier mit dem Titel „Neue Struktur Vertrieb“ detailliert, wie sich die Karstadt-Welt in den kommenden Jahren wandeln soll. Von neu geschaffenen Teams zum Einräumen der Ware über eine Verschlankung der Leitungsebenen und einen neuen Zuschnitt der regionalen Zuständigkeiten bis hin zu einer Vergrößerung der Selbstbedienungsbereiche in den einzelnen Häusern.

Einzelmaßnahmen reichen von der Vereinfachung der Logistik in den Filialen durch Lieferung bereits verkaufsfähiger Ware („gesichert, aufgebügelt, mit Standardbügel“) über die Reduzierung der Kassenstandorte bis zur Ermahnung der Führungskräfte, die Zahl der Meetings und Telefonkonferenzen zu beschränken.

In der Wandsbeker Filiale, die seit Ende vergangenen Jahres von dem ehemaligen Karstadt Mö-Chef Werner von Appen geführt wird, erleben die Beschäftigten derzeit ganz konkret, was die Pläne der Unternehmensleitung bedeuten. 21,4 von 84,3 Vollzeitstellen sollen in dem Haus nach Angaben des Betriebsrats abgebaut werden – das wäre jede vierte Stelle. „Wegen der hohen Zahl an Teilzeitbeschäftigten wären von dem Stellenabbau effektiv 35 bis 40 Menschen betroffen“, sagt Nowacki. Erste Gespräche mit Mitarbeitern, die kurz vor der Rente stehen, liefen bereits. Ihnen werde derzeit nahegelegt, etwas früher in den Ruhestand zu gehen. Doch bei solch vergleichsweise sozialverträglichen Maßnahmen dürfte es nach Einschätzung der Arbeitnehmervertreter kaum bleiben. Darüber hinaus sollen in Wandsbek auch noch 19 Vollzeitstellen aus dem Verkauf in ein neu geschaffenes Warenserviceteam verlagert werden. Statt die Kunden zu beraten, müssten sich die betroffenen Mitarbeiter dann ausschließlich darum kümmern, Ware für den Verkauf vorzubereiten und in die Regale zu räumen. Diese Umgruppierung ermöglicht es Karstadt, die Beschäftigten innerhalb des Einzelhandelstarifs niedriger zu entlohnen. Rund 300 Euro brutto weniger sollen sie laut Betriebsrat künftig im Schnitt verdienen. Daneben wird es noch ein reines Kassenteam in der Filiale geben.

Für die Kunden bedeuten diese Maßnahmen, dass sie in der Herrenbekleidung, in der Haushaltwarenabteilung oder bei den Schreibwaren künftig mit deutlich weniger Beratung und Service rechnen müssen. „Pro Etage sollen bei uns künftig nur noch vier Verkäuferinnen oder Verkäufer eingesetzt werden“, sagt Nowacki.

Wie das funktionieren soll, steht im geheimen Zukunftskonzept von Karstadt. Von einer „Reduktion der Bedienungsintensität für ausgewählte SB-Bereiche“, einer „Stärkung der Vorauswahl“ und „Kundenleitsystemen“ ist dort im besten Management-Deutsch die Rede. Im Klartext: Die Sortimente sollen künftig so präsentiert werden, dass sich die Kunden im Idealfall selbst in den Warenhäusern zurecht finden. Für grundsätzlich selbstbedienungsgeeignet hält die Geschäftsleitung dabei nicht nur Schreibwaren- oder Süßwarenabteilungen, sondern beispielsweise auch die Spielwarenbereiche.

„Wenn wir künftig in weiten Teilen auf Selbstbedienung setzen, dann verkommt Karstadt aber zu einem Discounter“, meint hingegen der Betriebsratsvorsitzende von Karstadt Wandsbek, Jürgen Gehring. „Die Geschäftsleitung widerspricht hier ihrer offiziellen Strategie, mit mehr Beratung bei den Kunden punkten zu wollen.“

Kaum besser als in Wandsbek sieht es an den übrigen Karstadt-Standorten in der Hansestadt aus. „Schätzungsweise dürften bis zu 25 Prozent der noch 900 bis 1000 Karstadt-Beschäftigten in Hamburg vom geplanten Stellenabbau oder von Lohnverlusten durch die Eingruppierung in die Warenserviceteams betroffen sein“, sagt Gehring, der auch Mitglied im Gesamtbetriebsrat des Unternehmens ist.

Bereits besiegelt ist das Schicksal von 80 Beschäftigten in der Billstedter Filiale, die Mitte dieses Jahres zusammen mit dem Warenhaus in Stuttgart sowie mehreren Schnäppchenmärkten geschlossen wird. Verhandlungen über einen Sozialplan oder eine Transfergesellschaft laufen derzeit, sind aber noch nicht abgeschlossen.

Ganz ähnlich wie in Wandsbek ist die Lage in Bergedorf, wo jetzt ebenfalls Stellenstreichungen und Umgruppierungen im Raum stehen. „Es gibt große Ängste, auch wenn manche Mitarbeiter angesichts der zahlreichen Einschnitte in den vergangenen Jahren fast schon abgestumpft sind“, sagt die dortige Betriebsratsvorsitzende Ramona Bahr. Bis zu 30 Prozent der Bergedorfer Mitarbeiter müssen nach ihrer Einschätzung mit einem Wechsel in das schlechter bezahlte Warenserviceteam rechnen. „Für die Betroffenen hätte dies erhebliche finanzielle Auswirkungen, viele müssen ohnehin um die Existenz kämpfen.“

Etwas anders sieht die Situation am Harburger Standort aus, wo bereits ein Team existiert, das sich um das Einräumen der Ware kümmert. Allerdings werden die Mitarbeiter dort noch nach den gleichen Kriterien entlohnt wie das Verkaufspersonal, Gehaltseinbußen sind also auch hier zu erwarten.

Treffen dürften die Umstrukturierungen nicht nur die Verkaufs- sondern auch die Leitungsebene. Das Zukunftskonzept sieht nämlich vor, die bisherige Führungsstruktur von drei auf zwei Ebenen zu verschlanken und diverse Funktionen zu zentralisieren. Die Hamburger Warenhäuser in Wandsbek, Harburg, Bergedorf und Eimsbüttel verlieren dadurch einen Teil ihrer Eigenständigkeit, werden zu sogenannten „Anhängefilialen“ der neuen „Kopffiliale“ in Bremen degradiert. Diese ist künftig für die gesamte Nordregion von Bremerhaven über Neumünster, Kiel und Flensburg bis nach Wismar zuständig. Insgesamt soll es in Deutschland acht solcher Kopffilialen geben. Neben Bremen sind Braunschweig, Berlin-Schloßstraße, Frankfurt, Köln, Dortmund, Nürnberg und Karlsruhe als Häuser mit besonderen Aufgaben vorgesehen. Diese Strukturreform stößt nicht nur bei vielen einfachen Karstadt-Mitarbeitern, sondern auch in den Führungsebenen auf Kopfschütteln. Konterkariert die Kette dadurch doch die zuletzt verfolgte und durchaus schlüssige Strategie, die kleinen Filialen regional auszurichten und ihre Sortimente verstärkt an die Bedürfnisse vor Ort anzupassen.

Ausgenommen von dieser Strategie sind nur die drei großen Karstadt-Häuser in München, Dresden und an der Mönckebergstraße. Diese sind künftig dem Leiter Verkauf direkt unterstellt und sollen laut Strategiepapier als „Schrittmacher“ und „Testumgebung für Innovationen“ sowie die „Weiterentwicklung der Ergebnisbeiträge“ verantwortlich sein. Vor einem Stellenabbau sind die Häuser dadurch aber ebenfalls nicht geschützt, wie das Abendblatt aus Unternehmenskreisen erfuhr.

Am heutigen Donnerstag wird der Aufsichtsrat von Karstadt zusammenkommen. Weitere Einschnitte sind nicht ausgeschlossen.