Neuer Verbandspräsident Alfred Hartmann verweist auf wachsenden Wettbewerbsdruck und schlechte Lage der heimischen Schifffahrt. Mehr Konkurrenz vor allem aus China

Hamburg. Der neue Präsident hat wenig Ähnlichkeit mit dem alten. Aber eine Kernbotschaft hat Alfred Hartmann gleich mitgenommen ins Amt. Seit Jahresbeginn ist der Reeder aus Leer neuer Präsident des Verbandes Deutscher Reeder (VDR). Und auch ihn wird – wie seinen Vorgänger Michael Behrendt, den früheren Hapag-Lloyd-Chef – das Thema der deutschen Flagge auf deutschen Schiffen wohl dauerhaft begleiten. „Unter fremder Flagge können deutsche Reedereien international konkurrenzfähig arbeiten, unter deutscher Flagge können sie es zumeist nicht“, sagte Hartmann in seiner ersten größeren Rede seit seinem Amtsantritt vor 400 Gästen aus Schifffahrt und Hafenwirtschaft beim Schifffahrtsessen des Nautischen Vereins zu Hamburg. „Wir müssen die deutsche Flagge im europäischen Rahmen konkurrenzfähiger machen. Andere EU-Mitgliedstaaten wie die Niederlande machen uns vor, wie das mit ihrer nationalen Flagge sehr erfolgreich funktioniert.“

Die deutsche Flagge auf deutschen Schiffen, das ist ein hochpolitisches Thema mit zugleich hoher ökonomischer Brisanz. Ein Reeder, der deutsch flaggt, zahle dafür bei einem größeren Schiff mit entsprechender Besatzung im Jahr rund 500.000 Euro mehr an Heuern und Lohnnebenkosten, als es bei einem Schiff unter der Flagge von Panama oder Liberia der Fall wäre, sagte Hartmann. Je nach Schiffsgröße müssen unter deutscher Flagge der Kapitän, mehrere Offiziere und der Chefingenieur zumindest aus einem Staat der Europäischen Union stammen, der Kapitän muss zudem Deutsch sprechen. An Bord deutsch geflaggter Schiffe gelten die deutschen Standards des Sozial- und Arbeitsrechts. Das aber schmälert aus Sicht der Reedereien deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. „Deutsche Schiffe müssen auch in Ostasien konkurrenzfähig sein – drei Viertel der weltweiten Handelsflotte sind nicht im Land ihrer Eigner geflaggt. Die fremde Flagge ist ein völlig normaler Zustand“, sagte Hartmann.

Allerdings ist Ausflaggung ein Signal, das der deutschen Politik stark missfällt. Seit Jahren arbeiten die Bundesregierung und die Branche an der Ausgestaltung des „Maritimen Bündnisses“, um die Präsenz der Schifffahrt am Standort Deutschland zu erhalten und zu stärken. Die Bundesregierung fördert die Schifffahrt vor allem durch die pauschale Besteuerung von Gewinnen und Verlusten deutsch geflaggter Schiffe im Rahmen der Tonnagesteuer, aber auch durch Nachlässe und Erleichterungen bei Steuern und Sozialabgaben für deutsche Seeleute. Die Reedereien wiederum steuern über die Stiftung Schifffahrtsstandort Deutschland jährlich 20 Millionen Euro bei, mit deren Hilfe der Nachwuchs an nautischem und technischem Seepersonal bei seiner Aus- und Fortbildung unterstützt wird. Das Geld der Stiftung kommt unter anderem durch sogenannte Ablösebeträge zusammen. Diese Beträge zahlen Reedereien an die Stiftung, wenn sie ihre Schiffe ausflaggen.

Die deutsche Flagge ist Dreh- und Angelpunkt des maritimen Bündnisses. Absolventen von nautischen und schiffstechnischen Studiengängen müssen ihre Patente mehrere Jahre lang ausfahren, wenn sie Kapitän werden wollen. Nur als Kapitän wiederum finden sie in Deutschland später eine Arbeit in landnahen seemännischen Berufsfeldern, etwa als Lotsen oder Hafenkapitäne. Die Absolventen deutscher Schifffahrtshochschulen wollen zumeist möglichst auf deutschen Schiffen anheuern, weil dort die aus ihrer Sicht besten und höchsten Standards gelten. Doch immer weniger Schiffe sind deutsch geflaggt. „Die Nachwuchsoffiziere und Schiffsingenieure müssen ihre Patente ausfahren“, sagte Hartmann. „Wir brauche den nautischen Nachwuchs in Deutschland dringend, wenn wir unser Potenzial an Wissen über Schifffahrt und Schiffbau erhalten wollen. Aber die jungen Leute müssen heute bei der Auswahl ihrer Reedereien flexibler werden – auch mit Blick auf Heuern und Arbeitsbedingungen.“

Die Flotte unter deutscher Flagge ist in den vergangenen Jahren deutlich geschrumpft, vor allem wegen der stark rückläufigen Zahl deutsch geflaggter Containerschiffe. Von den insgesamt 374 deutsch geflaggten Handelsschiffen Ende 2014 waren nur noch 155 Containerfrachter, berichten die Hamburger CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Roland Heintze und Olaf Ohlsen. Sie haben in dieser Sache eine Kleine Anfrage an den Hamburger Senat gerichtet. Eine vollständige Zahl aller in Hamburg deutsch geflaggten Handelsschiffe konnten Heintze und Ohlsen allerdings nicht bekommen – lediglich die Information, dass Ende des vergangenen Jahres in der Flotte von Hapag-Lloyd 41 von insgesamt rund 200 Schiffen unter deutscher Flagge fuhren.

Die anhaltende Schifffahrtskrise verstärkt den Druck auf die Reedereien. Das wird das Ausflaggen der insgesamt rund 3500 deutschen Handelsschiffe wohl weiter beschleunigen. Von den rund 600 deutsch geflaggten Schiffen, die das Maritime Bündnis vor einigen Jahren als Zielgröße definiert hatte, ist die Branche in Deutschland weit entfernt. Im Dezember kündigte die Niederelbe Schiffahrtsgesellschaft (NSB) in Stade an, komplett aus der deutschen Flagge herauszugehen. Zu diesem Zeitpunkt waren noch 38 der insgesamt 67 NSB-Schiffe deutsch geflaggt.

VDR-Präsident Hartmann will erreichen, dass der Gesetzgeber die deutsche Flagge „europäischer“ gestaltet, um diesen Exodus zu stoppen: „Eine bessere Anwendung der gesetzlichen Grundlagen in der EU, eine preisgünstigere Verwaltung der deutschen Flagge – es gibt viele Möglichkeiten, den Schifffahrtsunternehmen bei der deutschen Flagge zu helfen.“ Der globale Konkurrenzdruck, sagte Hartmann, werde nach bislang schon sieben Krisenjahren weiter zunehmen, auch durch Chinas Reedereien: „China hat Deutschland 2014 erstmals von Rang drei der größten Handelsflotten verdrängt.“