Gespräch mit Wirtschaftsprofessor Friedrich Schneider: Staat sollte steuerliche Anreize für arbeitsintensive Dienstleistungen schaffen. Kontrollen reichen nicht

Hamburg. Die Schwarzarbeit wird in Deutschland 2015 nach einer Studie wieder zulegen. Über die Ursachen sprach das Abendblatt mit Friedrich Schneider, Wirtschaftsprofessor der Johannes Kepler Universität (JKU).

Hamburger Abendblatt:

Schwarzarbeit ist längst ein fester Bestandteil der Wirtschaft. Sind wir ein Land von Ganoven?

Friedrich Schneider:

Wir haben in Deutschland sieben bis neun Millionen Nebenerwerbs-Schwarzarbeiter. Das sind Personen, die einen vollen oder halben Job in der offiziellen Wirtschaft haben und nach Feierabend schwarzarbeiten. Von dieser Gruppe werden zwei Drittel der Wertschöpfung in der Schattenwirtschaft erzielt. Somit sind wir auch ein Land von kleinen Ganoven.

Wer arbeitet heute schwarz?

Schneider:

Schwarzarbeit gibt es in fast allen Berufsgruppen. Dazu zählen Facharbeiter wie Fliesenleger, Architekten, Rechtsanwälte, Steuerberater oder Polizisten, die als Türsteher etwas dazu verdienen. Bei Einkommensgruppen von monatlich 5000 oder 6000 Euro brutto ist Schwarzarbeit durchaus üblich. Wer mehr als 10.000 Euro verdient, hat dies dagegen meistens nicht mehr nötig.

Hat sich das Berufsprofil in den vergangenen Jahren geändert?

Schneider:

Wie in allen Lebensbereichen spielt das Internet eine Rolle. Es ist üblich, dass sich kleine Firmen ihre Web-Auftritte schwarz erstellen lassen.

Sind die Schwarzarbeitsstrukturen in Hamburg anders als in Kleinstädten?

Schneider:

Nein, es sind überall die gleichen Dienstleistungen gefragt.

Wird der Mindestlohn wieder zu mehr Schwarzarbeit führen?

Schneider:

Ja. Wir erwarten, dass infolge des Mindestlohns im Jahr 2015 Leistungen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro in die Schattenwirtschaft abwandern.

Steigt künftig auch das Stundenlohnniveau für Schwarzarbeiter?

Schneider:

Das ist regional unterschiedlich. In Bayern, wo der Arbeitsmarkt sehr angespannt ist, dürfte der Schwarzarbeiter künftig mehr verlangen und nicht mehr unter 8,50 Euro die Stunde arbeiten. In Ostdeutschland ist dies wohl nicht möglich.

Wie hoch schätzen Sie den Schaden für den Fiskus und die Sozialkassen?

Schneider:

Der Fiskus nimmt etwa zehn Milliarden Euro weniger ein. Die größten Verlierer sind die Sozial- und Krankenkassen, die etwa 20 bis 25 Milliarden Euro weniger erhalten, gleichzeitig aber dieselben Leistungen bei geringeren Einnahmen tragen müssen.

Wer gewinnt durch Schwarzarbeit?

Schneider:

Grundsätzlich gilt: Schattenwirtschaft ist für jedes Land wohlfahrtssteigernd. Sie erhöht allein das deutsche Bruttoinlandsprodukt um etwa 250 Milliarden Euro. Das ist nicht wenig. Ohne Schwarzarbeit ginge es uns viel schlechter. Sowohl die Wirtschaft als auch Verbraucher profitieren von der Schwarzarbeit. Viele könnten sich einen Hausbau niemals leisten, wenn sie nicht auf Schwarzarbeiter zurückgreifen würden. Schwarzarbeit ist die Steuerrebellion des kleinen Mannes.

Damit sind allerdings die ehrlichen Steuerzahler die Dummen und Verlierer?

Schneider:

Das stimmt. Es ist moralisch höchst knifflig. Dennoch warne ich davor, nur von den bösen Schwarzarbeitern zu sprechen. Schwarzarbeiter sind produktiv und schaffen Werte. Das Auto wird repariert, ein Kind gelingt das Abitur – alle profitieren.

Wie könnte Schwarzarbeit effektiv bekämpft werden?

Schneider:

Der Staat müsste mehr steuerliche Anreize setzen, damit „schwarze“ zu „weißer“ Arbeit wird. So könnten zum Beispiel arbeitsintensive Dienstleistungen wie die Altbausanierung vorübergehend von der Mehrwertsteuer befreit werden. Was meinen Sie, wie viele dann sofort investieren würden – und zwar ganz legal.

Kontrolle hilft nicht?

Schneider:

Kontrolle ist in einigen Bereichen wichtig, wie in der Prostitution, im Menschenhandel oder in der organisierten Kriminalität. Da sind auch strenge Gesetze notwendig. Aber wie sollen denn bitte 10.000 Zöllner sieben Millionen Schwarzarbeiter kontrollieren? Das ist unmöglich zu schaffen.