Bald wird in Bergedorf der Energie-Campus Hamburg eingeweiht. Er soll wichtige Erkenntnisse für den Ausbau dezentraler Versorgungswege liefern

Hamburg. Hier ist die Energiewende zu Hause, mit jedem Rohr und jedem Schalter. Professor Werner Beba geht durch das Erdgeschoss des neuen Gebäudes am Rande von Bergedorf. Technik, wohin man schaut. In den Maschinenräumen stehen ein Blockheizkraftwerk zur Erzeugung von Strom und Wärme, es sind Kälte- und Wärmepumpen installiert, ein Wärmespeicher, ein Elektrolyseur, der Wasser in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff trennt, und ein kleiner Reaktor zur Erzeugung von synthetischem Erdgas. Ein dichtes Geflecht von Leitungen, etliche Schaltkästen mit Mess- und Steuerelementen – Technik prägt das Bild bis hinauf auf das Dach. Dort stehen Speicherbehälter für den Wasserstoff und eine Solarstromanlage.

Die neue Welt der Energie, vereint in einem Gebäude, das ist der Energie-Campus Hamburg des Zentrums CC4E an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW). Competence Center für Erneuerbare Energien und Energieeffizienz, so heißt der Forschungsbereich der Hochschule in der Langfassung. Diese Themen stehen im Fokus des neuen Energie-Campus Hamburg. „Wir wollen das Gesamtsystem der dezentralen Energieversorgung darstellen, simulieren, es besser verstehen und die Abläufe optimieren“, sagt Beba, der Leiter des CC4E. „Die einzelnen Elemente hier sind nicht neu – wohl aber ihr Zusammenspiel, das wir mit Hunderten von Sensoren erfassen und analysieren werden.“

Wie lässt sich mit erneuerbaren Energien ein ganzes Land versorgen: Städte und Fabriken, Häfen und Flughäfen, Eisenbahnen und Nahverkehrssysteme? Die wichtigsten Quellen eines regenerativen Energiesystems in Deutschland sind die Windkraft und die Fotovoltaik, die Umwandlung von Sonnenlicht in Strom. Doch der Wind weht nicht immer, und die Sonne scheint nur am Tag. Auf dieser Basis ist eine sichere Versorgung mit Strom und Wärme nicht zu gewährleisten. Zwar lässt sich Biomasse als eine Form der erneuerbaren Energien speichern. Doch auch deren Potenzial reicht nicht aus, um Kohle, Erdgas und Atomkraft in Ergänzung zu Windkraft und Sonnenlicht vollständig zu ersetzen. „Die Energiewende in Deutschland bedeutet, ein komplexes System von dezentralen Kraftwerken aufzubauen, vor allem Windturbinen und Fotovoltaikanlagen“, sagt Beba. „Zuverlässig funktionieren kann die Versorgung aber nur, wenn Erzeugung und Verbrauch über moderne, kommunikationsfähige Netze eng aufeinander abgestimmt werden. Und wenn Energie für die Zeiten gespeichert wird, in denen die Sonne nicht scheint und auch der Wind nicht weht.“

Im kleineren Maßstab funktionieren sogenannte Kombikraftwerke schon längst. Im Mittelpunkt steht dabei Strom als Energieform. Strom aus Wind- und Sonnenkraftwerken kann gespeichert werden: als Wasserstoff aus der Elektrolyse, in Wärmespeichern, in Batterien oder Druckluftspeichern. Erzeugung, Speicherung und die exakte Steuerung des Bedarfs, diese Elemente bilden die Grundlage für eine Versorgung, die in einigen Jahrzehnten allein auf erneuerbaren Energien basieren soll. „Der Energie-Campus Hamburg wird sich vor allem mit der Speicherung und Integration von Energie aus erneuerbaren Quellen beschäftigten“, sagt Beba. „Im Mittelpunkt steht dabei zunächst die Erforschung der Windkraft.“

In Sichtweite des Energie-Campus Hamburg, an der A 25 in Curslack, will die HAW bis 2016 einen Windpark mit fünf Windkraftwerken errichten. Sie sollen insgesamt Strom für 15.000 bis 18.000 Haushalte erzeugen, vor allem aber auch Energie, Messdaten und Erkenntnisse für das neue Forschungszentrum des CC4E liefern. Auch mit dem nahe gelegenen Pumpspeicherkraftwerk von Vattenfall in Geesthacht wird der Windpark verbunden sein. Der Energie-Campus selbst soll auch als Bürgerinformationszentrum für die Energiewende und für Technologien wie die Windkraft dienen.

Ein Kran in der Werkhalle des Gebäudes ist bereits installiert, er soll später einmal Bauteile von Windturbinen wie die tonnenschweren Wellen für Materialanalysen bewegen. In den Laboren des Zentrums wiederum wollen die Mitarbeiter alle Facetten der Windkraft untersuchen: Wie lässt sich die Lärmentwicklung von Rotorblättern verringern, wie die Zuverlässigkeit der Windturbinen erhöhen? Welche Techniken dienen zum besseren Schutz von Fledermäusen oder Vögeln an Windkraftwerken? „Mit der Ausstattung in dieser Form ist das Gebäude einzigartig in Deutschland“, sagt Janine Becker von der HAW, die den Bau des Forschungszentrums koordiniert und geleitet hat.

Zu Beginn werden 20 bis 25 Wissenschaftler und Studenten auf den beiden Etagen des Energie-Campus Hamburg arbeiten. Später könnten es bei Bedarf zeitgleich 60 bis 70 Mitarbeiter sein. Arbeitsräume und Computeranschlüsse sind für eine flexible Nutzung gestaltet. Ein erstes großes Projekt könnte das „Schaufenster erneuerbare Energie – Wind“ sein. In zwei großen Modellvorhaben für Windkraft und für Fotovoltaik will das Bundeswirtschaftsministerium erforschen und erproben lassen, wie ganze Regionen überwiegend mit erneuerbaren Energien und den dazugehörenden, modernen Strukturen zu versorgen wären. Hamburg und Schleswig-Holstein bewerben sich gemeinsam zum Ausschreibungsthema Wind. In diesem Jahr wird entschieden, welche Regionen dabei sind.

Das CC4E und der Energie-Campus Hamburg wären – sollten Hamburg und Schleswig-Holstein den Zuschlag erhalten – zentrale Teilnehmer des Großprojekts. Insgesamt verfolgen die Stadt und die HAW in Bergedorf ambitionierte Ziele. „Wir wollen mit dem Energie-Campus Hamburg den Nukleus für einen Technologiepark legen, der hier in den kommenden Jahren entstehen könnte“, sagt Beba mit Blick auf das Nachbargrundstück. Dort hat Siemens unter Planen eine bislang noch geheime Versuchsanordnung für ein Projekt zur Energiespeicherung errichtet. „Dieses Gewerbegebiet hier könnte so etwas werden wie unser norddeutsches Silicon Valley für erneuerbare Energien“, sagt Beba, der als früherer langjähriger Medienmanager weiß, wie man eingängige Botschaften vermittelt – und wie man Begeisterung weckt.

Am 3. Februar weihen Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) den Energie-Campus Hamburg mit vielen Gästen ein. Das neue Forschungszentrum fügt sich gut in die Strategie der Hansestadt. Hamburg will beim Auf- und Ausbau der erneuerbaren Energien eine Vorreiterrolle einnehmen, vor allem auch als Standort für Unternehmen und Forschungsinstitute aus der Branche. 7,5 Millionen Euro kostet der Neubau der HAW. 3,9 Millionen Euro hat die Stadt Hamburg finanziert, 3,6 Millionen Euro stammen vom Europäischen Fonds für regionale Entwicklung.

Nach dem Rundgang steigt Werner Beba auf dem Parkplatz in ein Elektromobil vom Typ BMW i3. Das Auto gehört zur Ausstattung der HAW. Am Energie-Campus wird es auch dazu dienen, die Integration der Elektromobilität in ein System erneuerbarer Energien und moderner Netze zu testen. Die Batterien Zehntausender Elektrofahrzeuge sollen künftig als Stromspeicher fungieren, wenn die Wagen nicht in Betrieb sind. Denn die Energiewende macht im Heizungskeller oder am Stromzähler längst nicht halt.