Die „Cap San Marco“ liegt drei Wochen in Hamburg – ohne Ladung. Ein Besuch an Bord des Containerfrachters

Hamburg. Alles leer, kein Container an Deck, wohin man auch schaut. Das sieht man auch als Kapitän nicht oft. Marek Stanczyk, 51, steht auf der Brücke der „Cap San Marco“ und blickt über sein Schiff hinweg auf den innersten Bereich des Hamburger Hafens. Der Frachter der Reederei Hamburg Süd liegt an einem Kai in Steinwerder. Gegenüber wird das dritte Hamburger Kreuzfahrtterminal für das Richtfest vorbereitet. Alles ist in Arbeit, Baumaschinen planieren Parkplatzflächen für künftige Kreuzfahrtpassagiere. Kein Liegeplatz für Containerschiffe. Obendrein steht keine Ladung auf der „Cap San Marco“. „Am Sonnabend verholen wir das Schiff zum Containerterminal Burchardkai und beginnen mit der Beladung, wenn das Wetter mitspielt. Am Sonntag gehen wir wieder auf die Reise, über Antwerpen und Le Havre an die Ostküste Südamerikas“, sagt Stanczyk.

Zu Jahresbeginn lässt das Ladungsaufkommen in den Fernverkehren traditionell nach. Mitunter nehmen die Reedereien dann selbst große Schiffe für kurze Zeit aus dem Liniendienst heraus und fädeln sie später wieder ein. Schiffe zeitweise aufzulegen, ist für die Container-Linienreedereien normaler Bestandteil des Geschäfts. Doch es gibt auch extreme Schwankungen. Mehr als 500 Frachter und Tanker lagen 2009, auf dem Höhepunkt der Schifffahrtskrise, ohne Ladung auf. Derzeit sind es weltweit rund 130 Containerfrachter, mit einer Ladekapazität von etwa 1,6 Prozent der gesamten Containerflotte – weit weniger als noch vor einem Jahr.

Rund drei Wochen lag die „Cap San Marco“ in Hamburg. Das ist eine kurze Aufliegezeit – und zugleich eine seltene Gelegenheit, ein Schiff von 333 Metern Länge und 48 Metern Breite unbeladen zu sehen, auch von innen. Der größte Teil der Ladung steht üblicherweise unter Deck. „Steinwerder ist für uns ein idealer Liegeplatz. Es gibt nicht viele Kais in Hamburg, an denen ein so großes Schiff in der Wartezeit festmachen kann“, sagt Kapitän Stanczyk, der aus Polen stammt und seit 1988 zur See fährt. „Wir könnten auch in der Deutschen Bucht auf Reede gehen. Doch das wäre bei diesem stürmischen Wetter ein unnötiges Risiko – zumal ohne Ladung. Und Geld würde, abgesehen davon, trotzdem kosten, etwa für die nötigen Lotsendienste.“ So ging die letzte Ladung vor dem Auflegen des Schiffes am Burchardkai der HHLA von Bord.

Die „Cap San Marco“ ist gewissermaßen eine sehr große und viel jüngere Schwester des Museumsschiffes „Cap San Diego“, einem der Wahrzeichen des Hamburger Hafens. Die sechs legendären Stückgutfrachter von Hamburg Süd wurden in den 1960er Jahren gebaut. In dieser Baureihe gab es auch damals eine „Cap San Marco“. Die heutige Version allerdings, abgeliefert 2013 von der Hyundai-Werft in Südkorea, kann elfmal so viel Ladung tragen. Insgesamt acht dieser heutzutage größten Hamburg-Süd-Schiffe fahren im Liniendienst zwischen Hamburg und der Ostküste Südamerikas. In den relativ kleinen Häfen Brasiliens, Argentiniens oder Uruguays stoßen solche Schiffe allmählich an logistische Grenzen. Doch gemessen an ihrer Ladekapazität von 9600 Containereinheiten (TEU) ist die „Cap San Marco“ gerade einmal halb so groß wie die „CSCL Globe“ von China Shipping, das weltgrößte Containerschiff mit 19.100 TEU Kapazität, das jüngst zum ersten Mal in Hamburg war.

Auf den Nord-Süd-Routen sind die Schiffe aufgrund von Hafenrestriktionen generell kleiner als in den Verkehren zwischen Europa und Asien. Aber in allen Fahrtgebieten sind die Schiffsgrößen in den vergangenen Jahren für ihre jeweiligen Verhältnisse rapide gestiegen. In Richtung Südamerika transportieren die „Cap San Marco“ und ihre Schwesterschiffe Industriegüter oder Chemikalien, auf der Reise nach Europa vor allem Lebensmittel und besonders Kühlladung, etwa Rindfleisch aus Argentinien. Die Schiffe verfügen über jeweils 2100 Anschlüsse für Kühlcontainer, mehr als jeder andere Schiffstyp weltweit. Anke Wiedau geht in eine der riesigen Ladebuchten unter Deck hinein. Im leeren Zustand wirkt der Raum mit seinen Stahlwänden groß wie ein Mehrfamilienhaus. „An den Plätzen mit den Steckdosen werden die Kühlcontainer angeschlossen. Die Besatzung überprüft die Temperatur in diesen Containern während des Liniendienstes mehrmals am Tag“, sagt Wiedau. „Wenn der Container einen automatischen Temperaturmelder hat, wird er einmal am Tag überprüft, immer morgens.“ Die kostbare Kühlladung darf auf keinen Fall die vorgeschriebene Temperatur verlieren – Lebensmittel und erst recht auch Zutaten für Medikamente würden dann unbrauchbar.

Wiedau, 38, ist als Erste Offizierin auf der „Cap San Marco“ verantwortlich für die Überwachung der Ladung und für die Stabilität des Schiffes. Vor dem Ablegen muss sie das nötige Gewicht an Ballastwasser berechnen, das abhängig ist vom Ladezustand und der Menge Brennstoff an Bord. Ihre seemännische Ausbildung absolvierte sie Ende der 1990er Jahre bei Hamburg Süd, danach studierte sie Nautik in Bremen. Für ihre Reederei fährt sie meist zwischen Europa und Südamerika, mitunter auch von Südamerika nach Asien. Die Liegezeit in Hamburg könnte Wiedau eigentlich nutzen, um in der freien Zeit nach Hause zu fahren, denn sie wohnt in der Stadt. Doch ihre aktuelle Dienstzeit an Bord – in diesem Fall zwölf Wochen am Stück – hat gerade erst begonnen. So bleibt sie nach alter Gewohnheit nach Feierabend auf dem Schiff. „Meine Wohnung ist kalt, der Kühlschrank ist leer“, sagt die Schiffsoffizierin.

Während der Liegezeit betreuen 20 Besatzungsmitglieder das Schiff

Die Liegezeit der „Cap San Marco“ in Hamburg unterscheidet sich nicht allzu sehr von den üblichen, kürzeren, Aufenthalten in den Häfen. Genug zu tun gibt es immer. „Es sind viele Formalitäten zu erledigen und vorzubereiten, Zollpapiere oder wirtschaftliche Abläufe für das Schiff selbst“, sagt Kapitän Stanczyk. „Für einen Kapitän ist der Anteil der bürokratischen Arbeit an Bord heutzutage generell höher als früher.“ Um den logistischen, nautischen und technischen Betrieb des Schiffes kümmern sich vor allem die drei nautischen Offiziere, der Chefingenieur und zwei technische Offiziere.

Am Kai in Steinwerder zählt die Besatzung der „Cap San Marco“ 20 Mitglieder, vier bis fünf weniger als üblicherweise im Linienbetrieb. Alle sind während der Liegezeit in Hamburg gut beschäftigt. Im Maschinenraum wummern die Generatoren, die eine Kleinstadt mit Strom und Wärme versorgen könnten. Wegen seiner hohen Kühlkapazität hat das Schiff eine besonders große Kraftwerksleistung an Bord. Im entladenen Zustand am Kai von Steinwerder wiederum braucht nicht nur die Besatzung Strom und Raumwärme, auch die Aggregate und der Brennstoff Schweröl müssen für den nächsten Einsatz warm gehalten werden. Ausgedehnte Landgänge unternehmen die Seeleute nicht, meint Wiedau. An Bord gibt es Internet auch für die private Kommunikation, und zum Stadtbummel lädt das Winterwetter die Besatzungsmitglieder – viele stammen von den Philippinen – nicht gerade ein.

So wartet die „Cap San Marco“ auf ihre nächste Reise. Zwar ist Hamburg nicht ihr Heimathafen, das Schiff fährt unter der Flagge von Luxemburg. Ein Heimspiel aber ist ein Aufenthalt mitten im Hamburger Hafen für ein Schiff von Hamburg Süd allemal.