Neue Chancen für den Hafen Brunsbüttel: Hamburger Tankwaggonspezialist VTG und Brunsbüttel Ports machen sich für Importterminal an der Elbe stark.

Hamburg. Jahrelang wirkte es wie in Stein gemeißelt: Deutschland bezieht seinen Bedarf an Erdgas direkt durch Pipelines, vor allem aus Russland und Norwegen, auch aus Dänemark, den Niederlanden und aus Niedersachsen. Tiefgekühltes, verflüssigtes Erdgas (LNG) aus anderen Exportländern wurde hierzulande nie als ernsthafte Alternative gesehen. Doch die Energiewelt hat sich verändert: Der Import von LNG ist heute weit günstiger als früher – und zwischen Europa und dessen wichtigstem Gaslieferanten Russland herrscht politisch eine neue Eiszeit.

Vor diesem Hintergrund wollen die Unternehmen VTG in Hamburg und Brunsbüttel Ports dem LNG in Deutschland zum kommerziellen Durchbruch verhelfen. „Wir treiben seit einiger Zeit die Planungen für ein LNG-Importterminal am Hafen von Brunsbüttel voran“, sagte Frank Schnabel, Geschäftsführer von Brunsbüttel Ports und deren Muttergesellschaft Schramm Group, am Montag in Hamburg. „Für eine kommerzielle Tragfähigkeit des Projekts streben wir drei Standbeine an: die Versorgung der Schifffahrt mit LNG, den Einsatz in unserer regionalen Industrie nahe an den Häfen von Brunsbüttel und den Weitervertrieb nach Deutschland und ins Ausland.“

An diesem Punkt kommt VTG ins Spiel: Der Hamburger Spezialist für Schienenlogistik, einer der führenden Vermieter und Betreiber von Güter- und Tankwaggons in Europa, hat den LNG-Markt schon seit langer Zeit im Blick. „Wir testen derzeit zwei Tankwagen als Prototypen für den Transport von LNG. Die fahren zwar noch unbeladen ohne verflüssigtes Erdgas, liefern uns aber jetzt schon wertvolle Erkenntnisse“, sagte VTG-Chef Heiko Fischer. „Mithilfe solcher Waggons können wir Märkte für LNG weit über Norddeutschland hinaus erschließen.“

Gas muss auf minus 162 Grad gekühlt werden

Erdgas muss zur Verflüssigung auf minus 162 Grad gekühlt werden. Wird es wieder wärmer, verdampft es. Üblicherweise wird LNG in Importterminals wieder in eine Gasform zurückgeführt und in regionale Pipelinenetze eingespeist. Wenn es gelingt, LNG in großen Mengen in Kesselwagen zu transportieren, entsteht ein völlig neuer Versorgungsweg. Dieser Energiefluss würde Deutschland einerseits unabhängiger von importiertem Pipelinegas machen – vor allem aber die Anwendungsmöglichkeiten für LNG deutlich erweitern. „Wir gehen davon aus, dass die von uns und unserem Partner Chart Ferox konstruierten Waggons in der Lage sind, das tief gekühlte Flüssigerdgas bis zu sechs Wochen lang im Kesselwagen zu lagern“, sagte Fischer. „Wir können damit als rollende Zapfsäule LNG zu einer Vielzahl von Abnehmern bringen, in der Schifffahrt ebenso wie in der Industrie oder in der kommunalen Wärme- und Stromerzeugung.“

Brunsbüttels Hafenchef Schnabel wies darauf hin, dass es auch dort zu Versorgungsengpässen kommen kann, wo Unternehmen, Kommunen oder Privathaushalte Zugang zu Pipelinegas haben. „Wir erleben es auch in Brunsbüttel immer wieder, dass in harten Winterzeiten zu wenig Erdgas durch die Pipelines kommt“, sagte er. „Die Industrieunternehmen bauen sich für solche Fälle eine Sicherheitsreserve mit Heizöl auf. Wenn Erdgas knapp wird, hat die Versorgung von Privathaushalten Vorrang.“ Konzerne wie die Chemieunternehmen Bayer und Sasol oder der Düngemittelhersteller Yara in Brunsbüttel hätten hohes Interesse am Aufbau eines Importterminals, sagte Schnabel. Es gebe Gespräche darüber mit einem möglichen Investor, aber noch keine spruchreifen Entscheidungen.

In Konkurrenz zu Russland

Um dieses Projekt voranzutreiben, bräuchte es vermutlich stärkere politische Unterstützung. Schnabel hat darüber nach eigenen Angaben mehrfach mit Uwe Beckmeyer gesprochen, dem Parlamentarischen Staatssekretär bei Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (beide SPD). Die Bundesregierung hält sich bei dem Thema bislang allerdings zurück – wohl auch, um die Spannungen mit Russland nicht zu verstärken. Das Land mit den weltweit größten Erdgasreserven hat zwar auch zur Zeit der europäischen Teilung vor 1989 das vertraglich vereinbarte Erdgas immer pünktlich nach Westeuropa geliefert.

Der Krieg in der Ostukraine allerdings und die wiederholten Unterbrechungen des Erdgastransfers aus Russland durch die Ukraine schüren in Europa die Sorge vor Lieferausfällen. „LNG-Importe nach Deutschland wären eine zusätzliche Energiequelle, nicht nur für Norddeutschland, sondern grenzüberschreitend für etliche mögliche Abnehmer in Europa“, sagte Schnabel.

Ein Importterminal in Brunsbüttel könnte ein Volumen von bis zu 500.000 Kubikmetern umfassen – das entspräche der Größe, die das Importterminal im Hafen von Rotterdam besitzt: „Die skandinavischen Länder, aber auch Polen oder Spanien sind an Erdgaspipelines deutlich schlechter angebunden als Deutschland“, sagte Fischer. „Auch das wären potenzielle Märkte für eine Versorgung per LNG-Tankwaggon.“