Sopranistin Amarilis Bilbeny produziert Saft und Essig aus der Knollenwurzel. Die Nachfrage nach Ingwer wächst rasant. Was man aus der Knolle alles machen kann und wo man die Produkte in Hamburg findet.

Hamburg. Amarilis Bilbeny legt den Ingwer aufs Schneidbrett, teilt ihn in mehrere kleine Stücke und wirft diese in einen Eimer. Dann macht sie die Maschine an und legt die Stückchen hinein. Aus der Ingwerpresse fällt an der Stirnseite wie Holzspäne die Schale der Wurzel heraus, 90 Grad versetzt fließt der Saft aus einem Rohr durch ein Sieb in einen anderen Eimer. „Pur ist der Saft viel zu scharf, zu bitter und schmeckt nicht“, sagt die 39-Jährige. Doch vor ein paar Jahren entwickelte sie ein Rezept, das in ihrem Bekanntenkreis sehr gut angekommen sei. „Freunde sagten dann: ,Das ist so lecker. Willst du das nicht verkaufen?‘“ Bilbeny wollte, gründete vor eineinhalb Jahren ihre Firma Frau Ingwer und steht nun in ihrer Harburger Manufaktur – einer ehemaligen, von ihr und ihren Brüdern selbst gefliesten früheren Garage. „Eigentlich wollte ich das nebenbei machen, ich wollte nie meinen Beruf wechseln.“ Immerhin war sie statt eines stillen Kämmerleins das Rampenlicht auf der großen Bühne gewohnt.

Die gebürtige Schweizerin hat am Konservatorium in Fribourg klassischen Gesang studiert, tourte als Chor- und Ensemblemitglied durch die USA, Japan, Italien und Spanien, sang solo in Luzern und Bern. Für die meisten Sänger sei es schwer, Engagements zu bekommen. „Man singt da, wo man kann“, sagt sie. Vor zwei Jahren spielte sie die Hauptrolle an der Hamburger Kammeroper. Sechs Monate lang war sie an drei bis vier Abenden in der Woche als Braut in „Der Vampir“ zu sehen und hören. Seit 20 Jahren tritt sie auf, auf den Ingwer brachte sie ihre Gesangslehrerin vor 15 Jahren. „Ingwer hat mich immer gerettet, wenn ich krank war“, sagt sie. Früher trank sie ihn sehr heiß als Tee, im Flugzeug lutschte sie immer ein kleines Stück – bis sie ihren eigenen Mix kreierte.

Viel Vanille, Zitronensaft und etwas Rohrzucker sind die Zutaten für ihr kalt gepresstes Ingwersaftkonzentrat in der Variante Original. In der Variante Natur werden nur Wasser und Zitrone zugefügt. Der Ingwer aus Peru steht in 13,5 Kilogramm fassenden Kartons in ihrer Manufaktur, denn aus der Knolle kommt nicht besonders viel Saft heraus. Wenn sie 40 Liter Saft produzieren wolle, brauche sie 80 Kilogramm der Pflanze. Die Bourbonvanilleschoten aus Madagaskar verströmen einen weihnachtlichen Geruch. „Im Kühlschrank ist der Saft drei bis vier Wochen haltbar“, sagt Frau Ingwer. Im Sommer sei er mit frischer Minze, Zitrone und Eiswürfeln ein leckerer Erfrischungsdrink, im Winter verschaffe er als Heißgetränk ein wohlig-warmes Gefühl im Körper. Auch Essig bietet sie an, der rund drei Monate zum Verzehr geeignet sei.

Bilbeny geht zur Ingwerpresse und nimmt das Fruchtfleisch heraus, dass im Sieb hängen geblieben ist. „Daraus werde ich Bonbons herstellen“, sagt sie. Im März möchte sie ihr neues Produkt auf den Markt bringen. Auch einen Frühlingssaft plant sie. Alleine schafft sie das allerdings nicht. Die Firma steht in den nächsten Wochen vor einschneidenden Veränderungen. Bisher arbeiten zwei Freundinnen unentgeltlich als Bürokraft und als Verkäuferin auf Wochenmärkten. In den nächsten Wochen will sie die beiden als Teilzeitkräfte fest anstellen, zudem soll sie eine weitere Mitarbeiterin bei der Produktion unterstützen. Schließlich seien die Aufträge immer mehr geworden. „Angefangen habe ich mit 20 Flaschen pro Woche, heute verkaufe ich 80 bis 150 Stück.“ Die Halbliterflasche mit Bügelverschluss der Saftvariante Original kostet 14 Euro, für 0,1 Liter Ingweressig ruft sie acht Euro auf.

Seit einem knappen halben Jahr habe der Umsatz konstant bei mehr als 3000 Euro pro Monat gelegen. „Das ist eine tolle Entwicklung, ich bin sehr zufrieden“, sagt Bilbeny. Bisher vertreibt sie ihre Waren sonnabends in Ottensen auf dem Ökowochenmarkt am Spritzenplatz und auf der Marktzeit in der Fabrik, in den Geschäften Elbsterne (Blankenese) und Esszimmer (Eimsbüttel) sowie über ihre eigene Internetseite. Jede Woche schickt sie 15 bis 30 Pakete quer durch Deutschland. „Es gibt Kunden, die sind richtig süchtig danach.“ Im März soll ihr Onlineshop starten, um den Kunden die Bestellung zu erleichtern. Die Garage ist zu klein geworden, sie sucht gleich zwei neue Räumlichkeiten. Einmal für Büro, Lager und Verpackung, einmal für die Produktion. Sie strebt die Biozertifizierung an, um mittelfristig ihre Produkte bei einer großen Kette verkaufen zu können. „In zwei Jahren möchte ich bei Alnatura gelistet sein.“

Für ihr weiteres Wachstum investiert sie bisher fast ihre gesamten Einnahmen in die Firma. Lediglich ihren Startkredit über 20.000 Euro, den sie zum Beispiel für die Finanzierung ihrer Maschinen brauchte, zahle sie regelmäßig zurück. Wie es bei vielen Start-ups in den ersten zwei, drei Jahren üblich ist, bleibt für sie unterm Strich noch nichts übrig. Momentan lebe sie von dem Geld, dass ihr Mann Marc Aisenbrey als Professor für Schauspiel an der Hochschule für Musik und Theater verdient. „Ohne meinen Mann hätte ich die Firma nicht aufbauen können. In einem Jahr will ich von Frau Ingwer aber leben können“, sagt Bilbeny. Und dann möchte sie auch nicht mehr nur in der Manufaktur stehen. „Ich will wieder auf die Bühne treten, mein Ensemble gründen und meine Geschichten erzählen.“ Frau Ingwer will wieder singen.