Abendblatt-Umfrage: Experten sind zuversichtlich für den Aktienmarkt im Jahr 2015. Allerdings drohen zwischenzeitlich auch kräftige Rückschläge

Hamburg. Im Herbst hätte wohl kaum noch jemand damit gerechnet: Auch 2014 hat der Deutsche Aktienindex (DAX) zugelegt – es war das dritte Jahr in Folge mit Kursgewinnen. Das leichte Plus von knapp drei Prozent täuscht allerdings über die Dramatik des abgelaufenen Börsenjahres hinweg.

So überwand der Leitindex im Juni erstmals die Marke von 10.000 Punkten, rutschte aber dann im September und Oktober innerhalb von weniger als vier Wochen um mehr als 1200 Punkte ab. Anschließend kletterte er in gerade einmal acht Wochen wieder um mehr als 1500 Zähler – ein Plus von fast 18 Prozent. Es war nicht zuletzt Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), der dies möglich machte: Im Herbst hatte er den Ankauf von Staatsanleihen ins Gespräch gebracht. „Der alles überragende Einflussfaktor am Aktienmarkt war im Jahr 2014 die Geldpolitik“, sagt Carsten Mumm, der Leiter für Vermögensanlage beim Hamburger Bankhaus Donner & Reuschel. „Sie war die Triebfeder hinter Kurserholungen, wenn geopolitische Krisen oder Konjunktursorgen für Einbrüche gesorgt hatten.“

Die norddeutschen Aktienwerte verteuerten sich im Jahr 2014 um mehr als zehn Prozent und entwickelten sich damit deutlich besser als die Standardtitel. Doch wie der DAX unterlag auch der HASPAX in den zurückliegenden zwölf Monaten heftigen Schwankungen: Im Zeitraum von Juni bis zum Oktober rutschte er um etwa 15 Prozent bis auf ungefähr 2270 Punkte ab, um dann kurz vor Jahresende auf ein Allzeithoch von knapp 2740 Zählern zu klettern.

Wenn es nach den Einschätzungen der Analysten geht, wird auch 2015 ein gutes Aktienjahr – besser als 2014: Nach einer Umfrage der Zeitschrift „Euro am Sonntag“ unter 24 Banken liegt die Jahresendprognose für den DAX im Schnitt bei 10.647 Punkten. Besonders optimistisch zeigt sich die Deutsche Bank (11.500 Punkte), während am anderen Ende der Skala die DZ Bank sogar mit einem leichten Rückgang auf 9500 Zähler rechnet.

Gemessen daran sind Hamburger Börsenexperten vergleichsweise zuversichtlich. „Unser Ausblick für den Aktienmarkt ist von Optimismus geprägt“, sagt Jochen Intelmann, Chefvolkswirt der Haspa. „Die Unternehmensgewinne steigen weiter, und der sinkende Euro-Kurs hilft ungemein, ebenso wie der niedrige Ölpreis. Beides zusammen wirkt wie ein kleines Konjunkturprogramm.“ Zwar geht Intelmann davon aus, dass die US-Notenbank Fed im Juni oder Juli die Zinswende beschließt und den Leitzins erstmals seit dem Jahr 2006 wieder anhebt.

Dies müsse aber nicht unbedingt ein Problem für die Börse sein: „Die Jahre, in denen die Fed angefangen hat, die Zinsen wieder zu erhöhen, waren in der Regel gute Börsenjahre. Denn einen solchen Schritt tut man nur, wenn es konjunkturell sehr gut aussieht.“ Nach Auffassung der Haspa-Experten dürfte der DAX zum Jahresende im Bereich zwischen 10.500 und 11.000 Punkten notieren, die Punktprognose wird mit 10.700 Zählern angegeben. Carsten Klude, Chefvolkswirt des Hamburger Privatbankhauses M.M.Warburg & CO veranschlagt den Jahresendstand des Börsenbarometers auf 10.900 Punkte. „Der DAX ist vergleichsweise günstig bewertet“, sagt Klude.

Zwar habe die deutsche Wirtschaft im vergangenen Jahr unter der Ukraine-Krise besonders stark gelitten: „Viele Unternehmen haben nach einem guten Start ins Jahr aufgehört, zu investieren.“ Für 2015 seien die Perspektiven besser, zumal das niedrige Niveau des Euro-Kurses und der Energiepreise Rückenwind liefere: „Dies kann das Wirtschaftswachstum um bis zu 0,5 Prozentpunkte verstärken.“

Zudem halte die US-Notenbank womöglich eine positive Überraschung für die Märkte bereit, sagt Klude: „Ich bin mir gar nicht so sicher, dass die Zinswende dort schon im Sommer kommt. Es kann gut sein, dass sich die Fed damit angesichts der sinkenden Ölpreise noch etwas länger Zeit lässt.“

Auch Stefan Keitel, Chefanlagestratege des Bankhauses Berenberg, zählt in Hamburg zu den Optimisten: „Wir erwarten keinen Trendwechsel an den Aktienmärkten – und der deutsche wird einer der attraktivsten sein.“ Allerdings werde es in diesem Jahr nicht nur nach oben geht: „Wir rechnen damit, dass die Schwankungsbreite eher noch zunimmt und insbesondere im ersten Quartal eine nochmalige Korrekturwelle bevorsteht.“

Dabei könne der DAX durchaus bis auf 8800 oder 8500 abrutschen. „Solche Korrekturphasen sollte man zu Käufen nutzen“, rät Keitel, „denn wir gehen davon aus, dass der DAX neue Allzeithöchststände in Angriff nimmt.“ Nach Einschätzung des Berenberg-Analystenteams dürfte der DAX zum Jahresultimo bei etwa 10.900 Punkten notieren – darin ist man sich mit den Konkurrenten von M.M.Warburg einig. Etwas verhaltener ist die Zuversicht bei Carsten Mumm von Donner & Reuschel. Zwar beurteilt auch er die Rahmenbedingungen grundsätzlich als günstig: „Konjunkturell sind wir in einer recht robusten Situation.“ Und festverzinsliche Papiere stellten voraussichtlich keine ernsthafte Anlagealternative dar: „Für den Anleihemarkt sehen wir deutlich mehr Risiken als Chancen.“ Mumms Zwölfmonatsziel für den DAX liegt bei 10.500 Punkten.

Allerdings gebe es „auch in diesem Jahr einige nicht unerhebliche politische Risiken“, gibt der Kapitalmarktexperte zu bedenken. „Außer dem Ukraine-Konflikt ist das die noch immer schwelende Staatsschuldenkrise in Europa, außerdem könnte sich das Szenario eines Ausstiegs Großbritanniens aus der EU konkretisieren.“ Sollte es zu einem Austritt Griechenlands aus der europäischen Währungsunion kommen, rechnet Mumm jedoch „nur mit temporär negativen Auswirkungen auf die Märkte“.

Haspa-Chefvolkswirt Intelmann zweifelt daran, dass dieser Fall überhaupt eintritt: „Ich bin nicht davon überzeugt, dass der sogenannte Grexit kommt. Griechenland hat viel mehr zu verlieren als der Rest der Euro-Zone.“

Carsten Klude von M.M.Warburg glaubt daran, dass Europa und die Finanzmärkte einen Abschied Griechenlands von der Währungsunion heute viel besser verkraften könnten als vor zwei oder drei Jahren: „Die griechischen Staatsanleihen liegen kaum noch bei privaten Investoren. Außerdem gibt es inzwischen den europäischen Rettungsfonds ESM.“ Darüber hinaus habe die EZB ohnehin ein Ankaufprogramm für Staatsanleihen in Aussicht gestellt. Dennoch lasse sich nicht sicher abschätzen, welche Folgen ein Grexit tatsächlich hätte, warnt Klude: „Es gibt kein Beispiel für so einen Austritt.“

Griechenland sei aber keineswegs das einzige Problem der Währungsunion, merkt Keitel an. Die Europäische Zentralbank habe zwar „einen guten Job gemacht“ und mit ihrer Geldpolitik Zeit gekauft. „Um die Schuldenkrise in Europa aber nachhaltig in den Griff zu bekommen, sind weitere Strukturreformen erforderlich – da sind die Politiker in der Verantwortung“, sagt der Berenberg-Anlagestratege. Gerade Frankreich und Italien hätten hier Nachholbedarf. Doch das größte Gefahrenpotenzial liege nicht in der Euro-Zone: „Wir halten die Ukraine-Krise für das größte Risiko in diesem Jahr.“

Anders als seine Kollegen erwartet Torsten Johannsen, Direktor bei der Otto M. Schröder Bank, keinen so deutlichen DAX-Anstieg – er sieht den Leitindex zum Jahresende bei 9900 Punkten. Zwar wirkten die niedrigen Zinsen und Ölpreise zweifellos positiv. „Für höhere Börsenkurse wird dies jedoch dauerhaft nicht reichen“, sagt Johannsen. „Die Lage in Russland muss sich entspannen, und das Wachstum in Europa muss anspringen, damit die Unternehmensgewinne weiter steigen.“ Wie auch Keitel rechnet Johannsen mit nochmals stärkeren Schwankungen am Markt. Für Aktienkäufe sollten daher Korrekturphasen abgewartet werden. „Bei Einzeltiteln setzen wir auf Adidas, BASF, Lufthansa und Thyssen sowie aus dem MDAX Bilfinger und Metro.“

Haspa-Chefanalyst Intelmann empfiehlt die Papiere von Telekommunikationsunternehmen und ausländischen Versorgern sowie Öltiteln wegen ihrer Dividendenstärke. Eher meiden solle man hingegen Bankenwerte und die Aktien der deutschen Versorger – Letztere wegen der energiepolitischen Unwägbarkeiten. Zu den Favoriten von Carsten Klude gehören die Automobiltitel aus dem DAX, die nach seiner Einschätzung recht günstig bewertet sind. „Pharmawerte sind zwar schon gut gelaufen und eher teuer, aber sie bieten einen guten Ausgleich zu den konjunkturabhängigen Aktien“, so Klude. Die Papiere von Banken beurteilt er anders als Intelmann: „Die Banken sind ein spannender Sektor, der von Anlegern nicht geliebt wird. Aus unserer Sicht bietet er aber gute Chancen, schon weil er von der Geldpolitik der EZB profitiert.“

Carsten Mumm von Donner & Reuschel rät zu einem Blick über den Atlantik: „US-Aktien halten wir wegen der konjunkturellen Dynamik in Amerika für interessant, zumal der Dollar eher noch an Stärke gewinnen dürfte.“