Hamburger Logistikkonzern muss beim Schienentransport Stellen streichen und steht vor milliardenschwerer Übernahme eines Konkurrenten

Hamburg. Europas größter privater Waggonvermieter, der Hamburger Logistikkonzern VTG, erwartet mittelfristig keine Verbesserung der Handelsbeziehungen zu Russland. Neue Aufträge aus der Region gebe es nicht mehr. Die Ost-West-Verkehre, etwa zur Belieferung großer Industrien, seien praktisch zum Erliegen gekommen, sagte der Vorstandsvorsitzende Heiko Fischer im Gespräch mit dem Abendblatt.

VTG hat erst vor zwei Jahren mit Kühne & Nagel ein gemeinsames Schienenlogistikunternehmen zur Versorgung Osteuropas mit Flüssiggütern gegründet. Von dem Zusammenschluss erhofften sich die Vorstände eine Belebung der Geschäfte vor allem in Russland und der Balkanregion. Doch nach den Spannungen ist der Umsatz in diesem Jahr eingebrochen. Zudem vermietet VTG in Russland etwa 1000 Kesselwagen, die derzeit auch kaum eingesetzt werden können.

Und VTG-Chef Fischer geht nicht davon aus, dass sich das schnell ändert. Er befürchtet, dass die anhaltenden Spannungen mit Russland den Lieferstrukturen zahlreicher westlicher Unternehmen schaden könnten: „Russland orientiert sich seit den Sanktionen nach Asien.“ Es gehe nicht mehr nur um den Konflikt mit der Ukraine. „Es geht um das gesamte europäische Wirtschaftsgefüge“, so Fischer. „Ich frage mich, ob hier nicht alte Handelsstrukturen für längere Zeit gekappt werden. Denn ich sehe nicht, dass sich die Lage im kommenden Jahr großartig ändert.“

Deshalb werde die VTG 2015 in diesem Segment auch Stellen streichen müssen. „Wir haben uns bisher so beholfen, und im kommenden Jahr erledigt sich auch einiges über Fluktuation“, sagte Fischer. Er betonte, dass der Umfang des Personalabbaus gering ausfalle: „In der Schienenlogistik sind 400 Mitarbeiter beschäftigt, und es geht um einige Handvoll Stellen.“ Die Schienenlogistiktochter VTG Rail habe zudem reagiert und suche neue Märkte in Zentraleuropa zur Kompensation der Ausfälle im Osten.

Diese seien für das Ergebnis der VTG von nur geringer Bedeutung, fügte der VTG-Chef an: „Das Russland-Geschäft macht einen einstelligen Prozentbetrag des gesamten VTG-Umsatzes aus. Es belastet die VTG insgesamt praktisch nicht.“ Fischer erwartet ein Jahresergebnis am unteren Ende der prognostizierten Spanne. „Wir werden einen Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen von mindestens 188 Millionen Euro machen, bei einem Umsatz von etwas über 800 Millionen Euro.“

Insgesamt sei das Jahr für die VTG, die außerhalb Europas auch in den USA und in China aktiv ist, turbulent, aber erfolgreich verlaufen, sagte Fischer. „Die Wirtschaft ist nach guten Prognosen haarscharf an der Rezession vorbeigeschrammt, was auch wir in der Zurückhaltung der Kunden gespürt haben. Und natürlich hat die Entwicklung in Osteuropa unser Geschäft in der Schienenlogistik erheblich beeinträchtigt.“ Es habe aber auch gute Entwicklungen gegeben: So habe die VTG bei der Waggonvermietung eine so hohe Auslastung wie zuletzt vor drei Jahren erreicht. Zudem habe das Unternehmen erfolgreich einen neuen Prototypen für den Transport von Flüssigerdgas in den Markt gebracht.

VTG schließt mit der Übernahme zur Deutschen Bahn auf

Größter Schritt der VTG ist allerdings die milliardenschwere Übernahme der Ahaus Alstätter Eisenbahn Holding (AAE) aus der Schweiz, welche die VTG Ende September angekündigt hatte. Die AAE mit Sitz in Baar verfügt über eine Flotte von 30.000 Wagen für den kombinierten Verkehr, also für Containertransporte per Zug. Das Unternehmen erzielte zuletzt mit 135 Mitarbeitern einen Umsatz von 200 Millionen Euro und einen Betriebsgewinn von 150 Millionen Euro. Durch den Zukauf werde sich die Bilanz der VTG knapp verdoppeln, sagte Fischer. „Wir werden künftig 80.000 Waggons auf der Schiene haben. Damit sind wir nicht nur Europas größter privater Waggonvermieter, sondern schließen zur Deutschen Bahn auf, deren Größe wir in diesem Segment erreichen.“ Das Geschäftsfeld der AAE ergänze das der VTG und schließe eine Lücke zwischen der Tankcontainerlogistik und der Waggonvermietung, weil sie die Wagen für die Tankcontainer der VTG bereitstelle.

Nach Fischers Worten bedeutet der Zukauf eine strategisch wichtige Weiterentwicklung der VTG, deren herkömmliche Geschäftsbereiche kaum mehr großes Wachstum zulassen. „Hohe Wachstumsraten gibt es derzeit und in Zukunft im Intermodalgeschäft, nicht im herkömmlichen Gütertransport. Gleiches gilt für die Tanklogistik“, sagte Fischer. Das Flüssigproduktgeschäft stagniere eher. „Es entstehen in Europa ja keine neuen Raffinerien oder Chemieindustrien. Und die bestehenden Unternehmen setzen auch immer mehr auf Intermodaltransporte. Deshalb betone ich immer wieder, dass die Übernahme der AAE für die Zukunftssicherung der VTG eine bedeutende Rolle spielt.“ Noch ist das Geschäft aber nicht in trockenen Tüchern. Mit Ausnahme Russlands haben inzwischen aber alle bedeutenden betroffenen Kartellbehörden der Übernahme zugestimmt. „Wir hoffen, dass Moskau noch in diesem Jahr grünes Licht gibt, dann könnten wir Anfang kommenden Jahres das Geschäft abschließen.“

Die AAE verfügt über rund 130 Mitarbeiter, die VTG über 1340. Einen großen Stellenabbau erwartet Fischer durch die Fusion nicht. „Es wird zu Arbeitsplatzverlagerungen kommen. Wir brauchen ja nicht zwei Verwaltungssitze. Große Synergien erwarten wir aber nicht durch Stellenstreichungen, sondern im Einkauf oder in der Bestellung von Wartungsleistungen.“ Die Transaktion stärke den Wirtschaftsstandort und sei die Grundlage für weiteres Wachstum der VTG in der Hansestadt.