Sönke Fock, Chef der Hamburger Arbeitsagentur, über die Jobaussichten für 2015, boomende Branchen und die Integration von Asylbewerbern in den Arbeitsmarkt

Hamburg. Zu Beginn des Jahres 2014 hatte der Chef der Arbeitsagentur Hamburg, Sönke Fock, noch mit weniger Arbeitslosen gerechnet. Doch eine schwache Konjunktur sorgte für einen Anstieg der Zahl von Jobsuchenden. Und 2015? Fock wagt erneut eine Prognose und spricht über den Ausbau der Arbeitsplätze in der Hansestadt, die schnellere Vermittlung von Asylbewerbern in Arbeit und dem vermeintlichen Ansturm der Bulgaren und Rumänen auf den Hamburger Arbeitsmarkt.

Hamburger Abendblatt:

Die Wachstumserwartungen der Wirtschaft haben sich in diesem Jahr nicht erfüllt. Wie hat sich das auf den Hamburger Arbeitsmarkt ausgewirkt?

Sönke Fock:

Die Erwartungen waren zu Beginn des Jahres 2014 von einem Wirtschaftswachstum von knapp zwei Prozent geprägt. Das wird sich nicht erfüllen, denn die Ökonomen rechnen jetzt nur noch mit einem schwächeren Wachstum von 1,2 bis 1,4 Prozent. Gemessen an dieser Entwicklung hat sich der Hamburger Arbeitsmarkt gut gehalten, wenn auch ein Anstieg der Arbeitslosigkeit um durchschnittlich rund 2400 Jobsuchende in den ersten acht Monaten des Jahres nicht verhindert werden konnte. Ende November waren 70.369 Hamburger arbeitslos, und diese Zahl wird auch im Dezember nicht mehr deutlich ansteigen. Im Durchschnitt hatten wir im Jahr 2014 rund 74.000 Arbeitslose. Es hätte schlimmer kommen können. Doch die gesunkenen Energiepreise und der private Konsum haben wie ein zusätzliches Konjunkturpaket gewirkt.

Wie wird sich der Arbeitsmarkt der Hansestadt 2015 entwickeln?

Fock:

Auf Basis der Herbstprognosen gehen wir von einem stabilen Arbeitsmarkt aus. So rechnet die Bundesregierung mit einem Wachstum von 1,3 Prozent im nächsten Jahr. Das reicht nicht für eine große Belebung am Arbeitsmarkt, aber wir werden auch keinen großen Anstieg erleben. Zwar gibt es mit den Krisen in Russland und der Ukraine weitere Risiken. Aber der Hamburger Arbeitsmarkt wird zu 70 Prozent durch Dienstleistungen geprägt und ist deshalb von Exportbeschränkungen weniger betroffen. Außerdem wirken sich auch weiterhin die um ein Drittel gesunkenen Energiepreise stimulierend aus. Sie erhöhen den Spielraum der Verbraucher für den privaten Konsum. Das alles stützt die Hamburger Wirtschaft, sodass ich sogar mit einer Zunahme der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Jahr 2015 rechne.

Wie viele zusätzliche Arbeitsplätze werden in Hamburg im nächsten Jahr entstehen?

Fock:

Wir haben mit 907.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten bereits einen Spitzenwert, und ich erwarte einen Zuwachs um weitere 25.000 Beschäftigte.

Warum werden die Arbeitslosen davon nicht stärker profitieren?

Fock:

Die neuen Stellen werden nicht nur mit Arbeitslosen aus Hamburg besetzt. Der Hamburger Arbeitsmarkt ist sehr attraktiv und zieht auch viele an, die nicht in Hamburg wohnen. Knapp jeder dritte Beschäftigte pendelt nach Hamburg. Außerdem treten verstärkt Menschen in den Arbeitsmarkt ein, die sich der Kindererziehung oder anderen Familienaufgaben gewidmet haben. Bis zu 45 Prozent der Arbeitslosen können nicht von neuen Stellen profitieren, weil sie nicht die Anforderungen erfüllen.

In welchen Branchen suchen die Firmen nach Personal?

Fock:

Es sind die Bereiche, die auch schon in der Vergangenheit neue Stellen geschaffen haben. Dazu zählen vor allem die unternehmensnahen Dienstleistungen sowie das Gesundheits- und Sozialwesen. Zusammen haben diese Branchen innerhalb von sechs Jahren knapp 36.000 neue Stellen geschaffen.

Wo wurden Stellen abgebaut?

Fock:

Das ist vor allem bei den Versicherungen der Fall. Seit 2008 wurden rund 5400 Stellen abgebaut und dieser Prozess ist auch noch nicht abgeschlossen, wie die Verlautbarungen der Unternehmen erwarten lassen.

Welche Gruppen unter den Arbeitslosen haben es besonders schwer, eine neue Stelle zu finden?

Fock:

Unser größtes Problem sind fast 37.000 Arbeitslose, also über die Hälfte, die keine abgeschlossene Berufsausbildung haben. Die Vermittlung ist dann sehr schwierig, wenn zur fehlenden Qualifizierung noch weitere Hemmnisse wie hohes Alter, gesundheitliche Probleme oder mangelnde Deutschkenntnisse hinzukommen. Das erschwert auch die berufliche Weiterbildung. Mittelfristig wird sich der Anteil ungelernter Arbeitnehmer verringern, weil die Jugendberufsagenturen in enger Zusammenarbeit mit den Schulen darauf drängen, dass kein Schulabgänger ohne Abschluss bleibt. Aber das ist ein langwieriger Prozess.

Wie wird sich die Lage auf dem Ausbildungsmarkt entwickeln?

Fock:

Ich sehe die Gefahr, dass manche Firmen ihre Ausbildungsplätze gar nicht mehr ausschreiben, weil sie nicht die Bewerber bekommen, die sie sich vorstellen. Außerdem leiden die Ausbildungsbetriebe darunter, dass immer mehr Schulabgänger ein Studium aufnehmen. Die Schere zwischen verfügbaren Lehrstellen und Bewerbern schließt sich allmählich, aber noch immer kommen 1,05 Lehrstellen auf einen Bewerber. Vor einigen Jahren waren es noch 1,3 Ausbildungsplätze pro Bewerber. Auch bei den Ausbildungsplätzen müssen nicht nur die Schulabgänger der Stadt versorgt werden. Fast 10.000 Azubis kommen aus anderen Bundesländern.

Am 1. Januar 2015 wird der Mindestlohn eingeführt. Werden die Stellenangebote für Geringqualifizierte zurückgehen?

Fock:

Das erwarte ich nicht, zumindest nicht im großen Stil. Die Firmen haben sich langfristig auf diese Entwicklung eingestellt und bereits begonnen, ihre Preise anzuheben, um so auch die Akzeptanz bei den Verbrauchern zu testen. Das betrifft vor allem das Dienstleistungsgewerbe. Dort, wo die höheren Kosten weitergegeben werden können, wird es keine Einbrüche geben, und das erwarte ich für viele Branchen. Auch die Erfahrungen aus der Zeitarbeit sprechen dafür, dass es nicht zu einem dauerhaften Einbruch kommt. Durch neue Tarifverträge haben sich dort die Kosten des Verleihgeschäfts erhöht. Der Einbruch, den es kurzzeitig gegeben hat, ist ausgeglichen worden. Inzwischen haben wir keine Beschäftigungsrückgänge mehr bei der Zeitarbeit.

Wie können Asylbewerber schneller in den Arbeitsmarkt integriert werden?

Fock:

Wenn Flüchtlinge nach Deutschland kommen, sind sie zunächst einmal neun Monate zum Nichtstun verdammt. In dieser Zeit sollen Aufenthaltsberechtigung und Arbeitsmarktzugang geklärt werden. Integration geht am besten über Arbeit und Ausbildung. Deshalb haben wir die Initiative Xenos gestartet, die neben Hamburg auch in fünf anderen Städten seit Februar 2014 praktiziert wird. Ziel ist, die Wartezeit zur Vorbereitung auf die Integration in den Arbeitsmarkt zu nutzen, damit bereits nach neun Monaten mit dem Erhalt des Aufenthaltsstatus eine neue Stelle angetreten werden kann. Der Hamburger Wirtschaft fehlen nach eigener Aussage 37.000 Fachkräfte. Erstmals werden die steigenden Flüchtlingszahlen auch als Chance für den Arbeitsmarkt gesehen.

Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Projekt gemacht?

Fock:

Die Flüchtlinge müssen aus einem Land kommen, bei dem die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, dass ein Bleiberecht gewährt wird. Also eher aus Syrien oder Afghanistan als aus Ghana oder Senegal. Die Wartezeit wird genutzt, um die Schul- und Berufsabschlüsse auf eine mögliche Anerkennung zu prüfen. Parallel kann mit der Stellensuche begonnen werden. Wir haben aber die Erfahrung gemacht, dass die deutschen Sprachkenntnisse trotz Sprachkursen innerhalb der neun Monate nicht auf das Niveau gebracht werden können, die für eine Anstellung in der Regel notwendig sind. Es gibt gute Sprachkenntnisse in Englisch und Französisch, aber eben kaum in Deutsch. Wir konnten also nicht so viele Fachkräfte für den Arbeitsmarkt erschließen, wie wir uns das vorgestellt hatten.

Wie stark haben Bulgaren und Rumänen von der Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt Gebrauch gemacht?

Fock:

Die Befürchtung von Anfang des Jahres, es käme aus sozialen Gründen zu einer massenhaften Zuwanderung von Bulgaren und Rumänen, hat sich für Hamburg nicht bestätigt. 0,2 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sind Rumänen und Bulgaren. Die hier sind, müssen zum Teil unter sehr menschenunwürdigen Bedingungen leben und arbeiten. Zusammen mit dem Verband Arbeit und Leben haben wir versucht, die ausländischen Arbeitnehmer über ihre Rechte aufzuklären. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat zudem entschieden, dass Deutschland Zuwanderern aus der EU Hartz-IV-Leistungen verweigern darf, wenn diese ausschließlich nach Deutschland kommen, um Sozialhilfe zu beziehen oder einen Job zu suchen. Damit wurde das geltende nationale Recht bestätigt.