Der größte Arbeitgeber der Stadt sorgte 2014 für viele Überraschungen. Der neue Deutschland-Chef war eine davon

Hamburg. Bis zum 10. Dezember hätte wohl kein Außenstehender bezweifeln können, dass 2014 ein sehr gutes Jahr für Hamburgs größten Arbeitgeber ist. Dafür sprach eine ganze Reihe von Faktoren: Im September hob der neue Hoffnungsträger im Kurz- und Mittelstreckensegment, der A320neo, termingerecht zum Erstflug ab, und die Erstauslieferung des innovativen Langstreckenjets A350 fand – wie seit Langem geplant – schließlich doch noch vor Jahresende statt. Zudem hat sich der Auftragsbestand bereits bis Ende November auf mehr als 6000 Maschinen weiter erhöht, was beim aktuellen Fertigungstempo mehr als neun Jahre Auslastung entspricht, der Gewinn ist in den ersten neun Monaten gestiegen.

Doch dann schreckte Airbus die Öffentlichkeit mit mehreren Nachrichten auf, die anzeigen, dass der Flugzeugbauer mittelfristig mehr Gegenwind zu erwarten hat: Auf einer Investorenkonferenz in London sagte Harald Wilhelm, Finanzchef bei Airbus und dem Mutterkonzern Airbus Group, im Zuge des Modellwechsels beim kleineren Langstreckenmodell A330 auf den modernisierten A330neo werde man die Produktionsrate dieser Typenreihe leicht herunterfahren; zusammen mit dem Preisdruck auf die auslaufende Variante führe dies zu einem nur stagnierenden Betriebsgewinn des Unternehmens im Jahr 2016.

Außerdem verlässt Günter Butschek, der als Airbus-Vizechef (Chief Operating Officer, COO) in Personalunion für die gesamte Produktion verantwortlich ist und daneben das Deutschland-Geschäft leitet, überraschend zum Jahreswechsel den Konzern – ausgerechnet in einer Phase, in der auch in der A320-Familie ein Modellwechsel ansteht und beim A350 die Fertigungsrate steil hochgezogen wird. Zwar hat der Aufsichtsrat umgehend den langjährigen Airbus-Topmanager Tom Williams als Butscheks Nachfolger im Amt des COO benannt. Der 62-jährige Brite gilt aber nur als Interimsbe- setzung. Neuer Deutschland-Chef wird Airbus-Einkaufsleiter Klaus Richter.

Das größte Aufsehen erregte in Hamburg jedoch eine andere Nachricht: Wie Finanzvorstand Wilhelm den Investoren in London sagte, wird geprüft, angesichts schleppender Nachfrage den Bau des Flaggschiffs A380 bereits in den Jahren nach 2018 auslaufen zu lassen. Diese Bemerkung verursachte offenbar auch im Kundenkreis so viel Unmut, dass Airbus-Chef Fabrice Brégier sie schon am nächsten Tag auf der gleichen Veranstaltung relativierte. Das Management sei „total überzeugt“ von dem doppelstöckigen Megajet, für den sich neue Kunden finden würden, beteuerte Brégier.

Am Rande der A350-Erstauslieferung wurde er noch deutlicher. Es wäre „einfach nur verrückt“ zu glauben, dass Airbus das A380-Programm aufgeben würde, sagte Brégier; schließlich stehe der Superjumbo kurz davor, die Gewinnschwelle zu erreichen. Dies bezieht sich allerdings nur auf die laufende Produktion. Erst wenn dort – wie vorgesehen – im Jahr 2015 schwarze Zahlen geschrieben werden, beginnt man damit, die Entwicklungskosten von rund zwölf Milliarden Euro wieder hereinzuholen.

Bis heute ist nicht klar, was Airbus mit dieser konfus erscheinenden Informationspolitik zum A380 bezweckte. Die Argumentation von Wilhelm zeigt aber einmal mehr, dass sich die Airbus Group künftig stärker als bisher an den Erwartungen der Aktionäre ausrichten will: Bei der Entscheidung darüber, wie man auf die zuletzt schwache Nachfrage reagieren werde, seien betriebswirtschaftliche Kriterien entscheidend. Wie es in einer Analyse des Hamburger Bankhauses Berenberg heißt, hat Airbus im Hinblick auf den A380 vier Möglichkeiten: Man kann entweder den Preis senken, die Produktionsrate zurückfahren, damit die Fertigungskapazität noch länger gut ausgelastet bleibt, man kann den Flieger durch Modernisierung wieder attraktiver machen – oder ihn einstellen.

Aus heutiger Sicht hat Airbus das Marktpotenzial des A380 stets überschätzt. Indirekt räumt das Unternehmen dies selbst ein. Denn zeitweise veranschlagten die Marketingmanager in ihren regelmäßig erscheinenden 20-Jahres-Marktprognosen den Bedarf an zusätzlichen Jets der Größenklasse des A380 und des Konkurrenzmodells Boeing 747 auf rund 1800 Maschinen. Im jüngsten Langzeitausblick rechnet man aber nur noch mit 1200 solcher Flieger für die nächsten 20 Jahre.

Die Schwierigkeiten, die Airbus bei seinem Topmodell hat, sind zum Teil hausgemacht – was ebenso für den US-Rivalen Boeing und dessen Jumbojet gilt. Denn beide Hersteller haben in den zurückliegenden Jahren immer größere zweistrahlige Langstreckenflieger mit modernster Technologie auf den Weg gebracht, die den bisherigen Betriebskostenvorteil der Topmodelle A380 und 747 zunichte machen.

Selbst aus Airbus-Unterlagen geht hervor, dass etwa der A350-1000, der 2017 auf den Markt kommen soll, bei den Kosten je Fluggast praktisch gleichauf mit dem A380 liegt. Der von Boeing für Anfang kommenden Jahrzehnts angekündigte Typ 777-X, der ebenfalls nur zwei Triebwerke hat, dürfte noch wirtschaftlicher sein.

Bedenkt man, dass auch unabhängige Experten für die nächsten Jahrzehnte eine stetige Zunahme des Luftverkehrs prognostizieren, klingt das ursprüngliche Verkaufsargument für den A380 aber noch immer plausibel: Weil immer mehr Flughäfen an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen, müsse ein Jet her, der mit einem Start so viele Passagiere befördern kann wie zwei Maschinen anderer Langstreckenmodelle.

Im Marktsegment der Kurz- und Mittelstreckenjets profitiert Airbus jedenfalls bereits von der Tendenz zu immer größeren – und damit teureren – Flugzeugen: Das Spitzenmodell A321 für bis zu 240 Passagiere, das nur in der Hansestadt gebaut wird, macht in diesem Jahr innerhalb der A320-Familie bereits mehr als 30 Prozent der Produktion aus. Ohnehin gilt diese Typenfamilie als hochprofitabel. Die Fertigungsrate wird derzeit von 42 auf 46 Maschinen pro Monat bis zum zweiten Quartal 2016 hochgefahren, und es gibt Überlegungen, sie später auf mindestens 50 Jets monatlich anzuheben. Dies passt zur Eröffnung einer neuen Endmontagelinie in Mobile/USA, die im kommenden Jahr den Betrieb aufnehmen soll.

Insgesamt hat Airbus im Jahr 2014 zweifellos bedeutende Fortschritte gemacht. So steht der A320neo, mit dem das Unternehmen die Erfolgsgeschichte im Segment der Kurz- und Mittelstreckenflugzeuge fortsetzen will, schon mitten in der Flugerprobung. Und im Langstreckenbereich, in dem Boeing gemessen an den Auftragsbeständen die Nase eindeutig vorn hat, kann sich der A350 nun im Linieneinsatz beweisen.

Doch die Marktsituation zwingt den europäischen Hersteller in den nächsten Jahren zu schweren Entscheidungen. Airbus muss abwägen, ob es notwendig wird, auf die Herausforderung des Boeing-Modells 777-X zu reagieren; dieses Flugzeug transportiert 400 Passagiere und damit 50 mehr als ein A350-1000 bei vergleichbarer Kabinenauslegung. Abwägen muss der Vorstand auch über einen A380neo mit sparsameren Triebwerken, die es dem Megajet ermöglichen würden, seinen Betriebskostenvorteil wiederzuerlangen – um den Preis zusätzlicher Entwicklungskosten von bis zu zwei Milliarden Euro.