Kirche und Wirtschaft im Dialog für eine gute Zukunft in Hamburg – unter dieser Überschrift stand ein besonderer Abend in der Kantine des Hafenunternehmens HHLA. Bischöfin Fehrs begrüßte 120 Verantwortliche aus der Wirtschaft. Drei Hamburger Topmanager sprachen in Impulsreferaten über mögliche neue Leitmotive für die Arbeitswelt von morgen. Spannende Texte, die zum Nachdenken anregen. Das Abendblatt dokumentiert sie

Gerechtigkeit

Das Thema Gerechtigkeit wird weltweit als Maßstab für das menschliche Zusammenleben herangezogen. Aber was das konkret heißt, auf welcher Betrachtungsebene Gerechtigkeit diskutiert wird, zum Beispiel gerechte Staatssysteme, Einkommensverteilungen oder Berufschancen, und ob es sich, wie bereits Platon vertrat, um eine innere Einstellung, also eine herausragende Tugend handelt, oder ob, wie Aristoteles betonte, Gerechtigkeit stets in Bezug auf andere zu denken ist, könnte ohne Probleme mindestens abendfüllend diskutiert werden.

Auch Wikipedia hilft hier nicht wirklich weiter, wenn im Zusammenhang mit dem Begriff Gerechtigkeit von einem fairen Ausgleich berechtigter Interessen gesprochen wird. Auch beschränkt auf die Handlungsweise verantwortungsvoller Wirtschaftsvertreter stellt sich die Frage, was ist eigentlich gerecht, was ist ein idealer Zustand des sozialen Miteinanders mit angemessener Berücksichtigung der jeweiligen Interessen?

Ist es gerecht, wenn alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer fachlich und in Bezug auf die Aufgabe vergleichbaren Gruppe gleich bezahlt werden, oder ist es gerecht, wenn die Leistungsträger in der Gruppe höher bezahlt werden? Ist der Bezugspunkt also eher ein Team oder das einzelne Individuum?

Sicher fordert die Beantwortung der Frage im platonischen Sinne eine innere Einstellung auch und gerade von Unternehmensverantwortlichen, denn über die Ausrichtung von Unternehmensstrukturen und Einkommensverteilung werden viele Lebensinhalte konkret beeinflusst. Wenn die wirtschaftlichen Ergebnisse eines Teams für die Unternehmensentwicklung maßgeblich sind, dann sollte auch das Team an diesen Ergebnissen gemessen werden. Nur so ist meines Erachtens die Motivation und damit Leistungsbereitschaft der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und damit der Unternehmenserfolg abzusichern. Ein Konkurrenzprinzip, das den Einzelnen/die Einzelne aus dem Team heraushebt, wird nach meiner festen Überzeugung nicht den Gesamterfolg des Unternehmens verbessern.

Ich kann es auch ohne jeden Verdacht der Sozialromantik formulieren: Entweder jeder eingesetzte Mitarbeiter im Unternehmen ist wertvoll für die Entwicklung oder er/sie wird seinen Arbeitsplatz verlieren. Insofern ist die Diskussion zur Gerechtigkeit nicht lediglich eine soziale Frage, sondern wirkt sich konkret auf betriebswirtschaftliche Ergebnisse aus. Damit ist die Frage der Gerechtigkeit in den Firmen auch eine wesentliche Frage, mit der sich Unternehmensleitungen auseinandersetzen und auch persönlich identifizieren lassen müssen. Dabei kommt es nicht zuletzt wesentlich auf die persönliche Glaubwürdigkeit an, denn um es im Hafenjargon zu sagen: „Der Fisch stinkt zuerst am Kopf.“

Demut

Als wir uns im Kreis der Bischöfin vor einigen Wochen Gedanken darüber gemacht haben, wer konkret etwas zu den Begriffen „Gerechtigkeit“, „Demut“ und „Liebe“ sagen wolle, habe ich mich spontan für die „Demut“ entschieden. Auf einige von Ihnen mag es befremdlich, vielleicht deplatziert oder sogar anmaßend wirken, wenn ausgerechnet ein Bankier hierzu Wort ergreift, noch dazu ein Vorstand der HSH Nordbank. Gerade meine Branche, gerade diese Bank ist mit demütigem Handeln in den vergangenen Jahren nicht zuvorderst in Verbindung gebracht worden. Aber seien Sie gewiss, diese Konstellation lässt einen hierüber viel nachdenken.

Auch wenn der Begriff der Demut heute in vielfältiger Weise verstanden und genutzt wird, so fundiert er in seinem Kern auf frühen jüdischen und christlichen Prinzipien. Der Theologe Nicolai Hoffmann hat diesen philosophischen Nucleus einmal als „das Bewusstsein unendlichen Zurückbleibens, bei dem aller Vergleich versagt“. bezeichnet. Anders ausgedrückt, erkennt und akzeptiert der Demütige aus freien Stücken, dass es etwas für ihn Unerreichbares, Höheres gibt. Hieraus wiederum hat Luther – ganz im Geiste der „Freiheit eines Christenmenschen“ – gleichwohl die Würde des Einzelnen abgeleitet.

Aber auch jenseits der Theologie wird der Demut schon lange große Bedeutung beigemessen, und so verwundert es hier in Hamburg auch niemanden, dass sie zu den Tugenden eines ehrbaren Kaufmanns gezählt wird. So viel zur ganz kurzen Einordnung.

Viele von uns werden in ganz unterschiedlichen Momenten Demut empfinden, ja, ich möchte sogar behaupten, dass sie eine zutiefst persönliche Sache ist. Wir empfinden Demut vor den Wundern der Natur, insbesondere der Geburt neuen Lebens. Dann hat sie wohl etwas mit Ehrfurcht zu tun. Wir werden demütig, wenn uns große Gnade zuteil wird, etwa wenn wir oder ein geliebter Mensch von einer schweren Erkrankung genesen. Dann hat sie etwas mit Dankbarkeit zu tun.

Wenn ich hier heute kurz über diese Tugend sprechen möchte, dann aus dem Grund, weil wir auch in der Wahrnehmung unserer beruflichen Aufgaben Demut empfinden werden und sollten. Dabei wünsche ich Ihnen von Herzen, dass Sie sich nicht jeden Tag fragen müssen, ob eine Schieflage ihres Unternehmens womöglich den Staatshaushalt der Freien und Hansestadt Hamburg ruinieren könnte. Gott sei es gedankt, dass wir hiervon nicht ausgehen müssen! Aber die Verantwortung, die jede und jeder von uns wahrzunehmen hat, für unsere Mitarbeiter und ihre Familien, für die Qualität und Zuverlässigkeit der von uns angebotenen Produkte und Dienstleistungen, für das Wohlergehen unserer Stadt und unseres Landes, diese Verantwortung sollten wir mit einer ganz gehörigen Portion Demut angehen. Dann wissen wir auch, wo wir im beruflichen Leben stehen: niemals auf der Ebene unseres einen, wahren Aufsichtsratsvorsitzenden (unseres Herrn), aber mit beiden Beinen fest auf dem Boden.

Liebe

Mit „Liebe“ verbindet jeder von uns eigene, sehr persönliche Erlebnisse, Erfahrungen und Vorstellungen. Aber Liebe in der Wirtschaft? Liebe im Berufsleben? (...)

Wertschätzung ist eine Seelennahrung. Jeder braucht Bestätigung, Feedback und Integration, um motiviert, erfolgreich und gut zu sein. Wertschätzung im Arbeitsleben wird erst dort wirksam (aber auch wirklich schwierig), wo es eben nicht um die Anerkennung allgemein gültiger Normen eines Unternehmens geht, sondern um die Akzeptanz des Andersartigenoder um das neidfreie Anerkennenvon etwas, das man selbst nicht leisten kann. Ein schöner Satz, den ich gefunden habe, stammt von Friedrich Nietzsche: „Toleranz ist ein Beweis des Misstrauens gegen ein eigenes Ideal.“ Wir müssen uns immer wieder ermahnen, die Herangehensweisen, die Talente und die Eigenschaften anderer zu tolerieren, auch wenn sie unseren eigenen Denkmustern widersprechen. Nur so können Kreativität und Erfolg entstehen. Ein Triumph der Vielfalt. Wenn Liebe, wenn Nächstenliebe in der Berufswelt für Wertschätzung und Toleranz steht – welche konkrete Forderungen ergeben sich daraus für die Unternehmen?

Die erste Forderung lautet, Sinn zu stiften: Die größte Wertschätzung für jeden Mitarbeiter ist, ihm ein Ziel zu geben, für das er gerne arbeitet und das dem eigenen Potenzial entspricht. Für mittlerweile fast jede zweite Fach- und Führungskraft über 50 ist eine sinnvolle Arbeit wichtiger als Geld und Karriere – in der Generation Y ist es längst ein Kennzeichen ihrer Arbeitskultur. (...) Sinn ist also viel essenzieller für ein erfolgreiches Miteinander in einem Unternehmen als Titel und Boni. (...)

Die zweite Forderung lautet, Diversity sicherzustellen: Gutes Diversity Management erkennt dabei nicht nur die individuelle Unterschiedlichkeit der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen an, sondern nutzt sie für den Unternehmenserfolg. Sie denkt auch jenseits der klassischen Kategorien von Geschlecht, Ethnie, Religion, Alter, Behinderung oder sexueller Orientierung. Diversity bedeutet mehr als die Diskussion um eine Frauenquote.Es geht um die Frage, wie Unternehmen Vielfalt unterstützen können. (...) Alte Seilschaften müssen gekappt werden, Macht muss neu verteilt werden, Rekrutierungswege und Karrieremodelle müssen überdacht und neu justiert werden. (...)

In Hamburg zieht man gerne die Parallele zum ehrbaren Kaufmann. Die Werte eines ehrbaren Kaufmanns sind Verantwortungsbewusstsein, Mitgefühl, Gerechtigkeit, Selbstlosigkeit – und eben auch Nächstenliebe. (...) Der ehrbare Kaufmann ist in vielerlei Hinsicht Vorbild für unsere heutige Arbeitswelt. Und der beste Beweis, dass Liebe und Berufsleben sich nicht nur gegenseitig bedingen und ergänzen, sondern sich guttun. Ganz im Sinne der Überschrift dieser Veranstaltung.