Zeit läuft davon: Das Verfahren gegen den einstigen Hamburger Börsenstar Thielert wegen Betrugs droht zu platzen - und müsste dann von vorn beginnen. Der Richter geht schon mal in Pension.

Hamburg. Einst war er der Überflieger, der Börsenstar, der ein Leben auf der Überholspur führte. Dann kam der wirtschaftliche Absturz für den Hamburger Unternehmer, ein Gerichtsverfahren und sogar einige Zeit im Untersuchungsgefängnis. Seit rund 20 Monaten wird gegen Firmengründer Frank Thielert vor dem Hamburger Landgericht wegen Betrugs verhandelt, nun bleiben nach bereits 90 Verhandlungstagen nur noch fünf weitere bis Weihnachten, um den Prozess gegen den 49-Jährigen zu Ende zu bringen. Doch es gilt als wenig wahrscheinlich, dass das noch gelingen könnte; das Verfahren droht zu platzen und müsste dann im kommenden Jahr vollständig neu aufgerollt werden.

Der Grund: Nachdem wegen einer Erkrankung Thielerts jetzt das Verfahren gegen den Angeklagten für zwei Wochen ausgesetzt werden musste und gegen ihn an mehreren Prozesstagen nicht weiterverhandelt werden konnte, steht nun zum Jahresende die Pensionierung des Kammervorsitzenden an. In diesem Fall wäre die Kammer nicht mehr ordnungsgemäß mit drei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzt.

Das Gesetz sieht in so einem Fall vor, dass noch einmal vollständig von vorne verhandelt werden muss, mit kompletter Beweisaufnahme. Alle notwendigen Zeugen müssten erneut gehört werden, alle Urkunden neu eingeführt – ein riesiger zeitlicher und auch kostenintensiver Aufwand. Denn jeder Zeuge hat ein Anrecht auf Entschädigung der Kosten für seine Anreise und für den Verdienstausfall. Das Gleiche gilt für Gutachter.

Die Anklage gegen Unternehmer Thielert, der es einst mit seiner Firma mit der Entwicklung von Flugzeugmotoren bis an die Börse geschafft hatte, wird formal bestehen bleiben. Im Einzelnen wirft die Staatsanwaltschaft Frank Thielert Kapitalanlage- und Kreditbetrug sowie Urkundenfälschung vor. Es geht um mehrere Millionen Euro. Laut Anklage soll Thielert, der zusammen mit zwei Mitangeklagten vor Gericht steht, im Jahr 2004 die Buchung von Scheinumsätzen im Umfang von insgesamt 6,5 Millionen Euro veranlasst haben, um seiner Firma einen Bankkredit zu sichern und einen Gewinn im Jahresabschluss 2004 ausweisen zu können – dieser war auch Grundlage für einen damaligen geplanten Börsengang. Thielert hatte die Vorwürfe bei Bekanntwerden als „plump und falsch“ bezeichnet.

Die Anklage war ein vorläufiger Tiefpunkt im Leben eines Geschäftsmannes, der rund 15 Jahre zuvor seinen Erfolgskurs begonnen hatte. Damals hatte der ehrgeizige Gründer die Idee, Sportflugzeuge rund um die Welt mit Dieselmotoren auszurüsten. Mit dieser Neuerung revolutionierte er den Flugzeugbau. Im Jahr 2005 steuerte er sein Unternehmen sogar an die Börse, der Kurs der Aktien lag in Bestzeiten zwei Jahre später bei 33,80 Euro. Doch der Höhenflug wurde durch Probleme bei der geplanten Serienproduktion gestoppt. Es kam zu erheblichen Liquiditätsengpässen. Darüber hinaus gab es einen Streit mit einem Ex-Geldgeber, die Abschlüsse der Jahre 2003 bis 2005 wurden für nichtig erklärt, hinzu kam eine Anzeige wegen Bilanzfälschung. Im Jahr 2008 meldete die Thielert AG Insolvenz an. Parallel dazu stürzte der Börsenkurs ab. Der Handel wurde im August 2012 eingestellt – bei einem Kurs von 0,21 Euro pro Aktie.

Nach dem wirtschaftlichen Tiefpunkt kam für Thielert der persönliche Super-GAU im Prozess vor dem Landgericht. Am 9. Verhandlungstag, im Juni vergangenen Jahres, war der 49-Jährige überraschend aus dem Saal heraus verhaftet worden. Begründung der Kammer: Fluchtgefahr, weil Thielert eine mehrjährige Freiheitsstrafe drohe. Darüber hinaus könne er größere Mengen Geld ins Ausland schaffen. Erst nach drei Monaten kam der frühere Börsenstar wieder auf freien Fuß, nachdem er eine Kaution zahlte, die angeblich eine Million Euro betrug. Ihr Mandant kämpfe um einen Freispruch, hatten Thielerts damalige Verteidiger erklärt.

Welche Kammer welches Verfahren zu verhandeln hat, liegt nicht etwa im Ermessen des Gerichts, sondern wird in bestimmten festgelegten Vorschriften geregelt. Und dass sich der Prozess mit nunmehr 20 Monaten Dauer derartig in die Länge ziehen würde, damit hatte wohl zu Beginn des Verfahrens niemand gerechnet. Ursprünglich war die Verhandlung, die im April vergangenen Jahres begann, auf zwölf Prozesstage terminiert. Doch weil der damalige Vorsitzende Richter der Wirtschaftsstrafkammer im November vergangenen Jahres in Pension gehen sollte, wurde bereits mit einer Ergänzungsrichterin verhandelt, um das Verfahren zu sichern. Ab Herbst 2013 deutete die Kammer mehrfach an, aus ihrer Sicht könne die Beweisaufnahme geschlossen und plädiert werden. Doch die Verteidigung stellte immer weitere Anträge, etwa auf Vernehmung weiterer Zeugen, es gingen Beschwerden der Anwälte ein, zudem nahmen allein die Einlassungen der Angeklagten mehrere Verhandlungstage in Anspruch.

Der neue Kammervorsitzende wird zum Ende des Jahres pensioniert

Mit dem Ausscheiden des Kammervorsitzenden nach sieben Monaten Verhandlungsdauer rückte die Ergänzungsrichterin in das Verfahren, ein ehemals Beisitzender Richter führt nunmehr seit November vergangenen Jahres den Vorsitz. Auch danach dauerte die Beweisaufnahme noch etliche Prozesstage, unter anderem, weil erst spät ein Sachverständigengutachten eingeholt wurde, dessen Ausarbeitung weitere Monate in Anspruch nahm.

Und jetzt, mehr als ein Jahr nach dem Wechsel in der Gerichtsbesetzung, wird nun also auch der neue Kammervorsitzende zum Ende des Jahres pensioniert. In den letzten Monaten hatte das Gericht meist dreimal wöchentlich und oft von 9.00 bis 17.00 Uhr verhandelt, um das Verfahren mit einem Urteil zu Ende zu bringen. Mit der Erkrankung Thielerts wurde zwar gegen die beiden Mitangeklagten weiterverhandelt, jedoch fielen in Bezug auf den Unternehmer mehrere Tage aus, um mit der Beweisaufnahme voranzukommen. Am 23. Dezember ist nun Schluss, so oder so: entweder doch noch mit einem Urteil – oder, sehr wahrscheinlich, mit einer Neuauflage.