Er gilt als einer der kreativsten Köpfe des Landes. Nun verursacht der 51-Jährige wieder Wirbel in der Branche. Jung von Matt nimmt er den wichtigen Mercedes-Etat weg – und sorgt damit auch für Erstaunen bei seinem Kunden Opel

Hamburg. „Paukenschlag“, „Die Welt bleibt stehen“, oder „Kemper kann halt nicht nur austeilen, sondern auch einstecken. Geile Etats zum Beispiel“, die Magazine der Werbewelt hypen den Etatgewinn des Jahres wie selten eine Nachricht zuvor. In den Internetforen kochen die Emotionen hoch. Die Beiträge der Blogger zeigen die Bewunderung für André Kemper, sparen aber auch nicht an Kritik und Kopfschütteln über den Coup. Dass der Hamburger künftig Werbung für Mercedes machen soll, und diesen umkämpften Kunden ausgerechnet der derzeit am häufigsten ausgezeichneten Agentur Jung von Matt abgeluchst hat, reicht schon für eine gute Schlagzeile. Dass Kemper gleichzeitig aber auch kurz davorstehen soll, eine Kampagne für Opel zu kreieren, macht die Sache noch spannender. Zumal der so reich mit Aufträgen bedachte Kreative in seiner neuen Agentur noch nicht einmal über eine Handvoll Mitarbeiter verfügt, nachdem er bei seinem letzten Arbeitgeber Thjnk (zuvor KemperTrautmann) das Handtuch geworfen hatte und am Ende fast nur noch über Anwälte mit den Partnern sprach.

Kemper, Mitglied der „Hall of Fame der deutschen Werbung“, zählt zu den kreativsten, eigensinnigsten und am stärksten polarisierenden Köpfen der Branche. Und er überrascht sie immer wieder. Er ist als Chef gefürchtet und als Choleriker bekannt – so versetzte er auf dem Wiener Opernball dem bayrischen Unternehmer Ulrich J. Pfaffelhuber einen Kinnhaken, als dieser Kempers Begleiter Johannes B. Kerner provoziert hatte. Zugleich spinnt er als kommunikativer Netzwerker seine Fäden zu den begehrtesten Kunden. Die Arbeit für Autobauer gilt unter Werbern als Königsdisziplin. Dass der 51-Jährige als One-Man-Show nun gleich zwei dieser dicken Fische an der Angel hat, ist in der Geschichte der Werbung wohl einzigartig.

Die Erfolgsmeldung ist die vorläufige Krönung eines rasanten Aufstiegs: Kemper wuchs in bescheidenen Verhältnissen in Bramfeld auf, begann seine Karriere als Werbetexter 1984 bei BBDO. 1985 wechselte er zur Düsseldorfer Agentur Imparc, später zu Ogilvy & Mather. Danach schaffte er es bei der Hamburger Werbeagentur Springer & Jacoby in nur sechs Jahren zum Geschäftsführenden Gesellschafter. Mit seiner eigenen Agentur Thjnk betreute der Familienvater schließlich renommierte Kunden wie Audi.

An den Kiosken liegen in diesen Tagen druckfrische Zeitschriften, in denen sich Kemper als künftiger Opel-Mann feiern lässt. Die „Gala Men“ spielt die Geschichte auf mehreren Hochglanzseiten, und auch die „Motor Revue“ (Ausgabe 1/2015) präsentiert dem Leser eine seitenlange Exklusivstory: „André Kemper:Der große Starwerber spricht im Interview über seinen neuen Job für Opel und über gute und nicht so gute Werbespots.“ Darin schwärmt er von dem Opel GT von 1970, der daheim in seiner Garage stehe. Er lobt, der Opel Ampera sei seiner Zeit voraus. Und er bescheinigt Jürgen Klopp hervorragende Glaubwürdigkeit als Botschafter der Marke mit dem Blitz. „Umparken im Kopf“, sagt Kemper mit Blick auf den aktuellen Opel-Claim, der noch von Scholz & Friends stammte, sei „mehr als ein kurzfristiger Impuls“.

In Sachen Glaubwürdigkeit steht Kemper als Vertragspartner derzeit allerdings nicht ganz so gut da. Nach allem, was die Branche an Spekulationen so hergibt, wird er selber bald umparken im Kopf. Kemper äußert sich gegenüber dem Abendblatt zum Etatgewinn von Mercedes gemeinsam mit seinem alten Springer-&-Jacoby-Kollegen Tonio Kröger, heute DDB-Chef, nur in dürren Worten: „Wir beide haben uns in keiner Publikation zu den Nachrichten rund um die Mercedes-Etatvergabe geäußert – da wir uns in laufenden Verträgen befinden.“ Andererseits hat Mercedes selber den Abschied von Jung von Matt bekannt gegeben, die fortan keine Print- oder TV-Kampagnen mehr für die Modelle machen werden. Für diese Arbeit sollen nun Kemper und Kröger verantwortlich sein, zwei alte Bekannte, die schon in den 1990er-Jahren bei Springer & Jacoby für Mercedes im Dienst standen, als die Elchtest-Kampagne für Furore in der Fachwelt sorgte.

„Uns ist es gelungen, zwei der kreativsten Köpfe in der internationalen Werbeszene für uns zu gewinnen, um eine effizient auf Mercedes-Benz zugeschnittene Agenturlösung zu gestalten“, sagt Jens Thiemer, Leiter Marketing Kommunikation Mercedes-Benz Pkw. „Die beiden Werber Kemper und Kröger werden in enger Zusammenarbeit mit Mercedes-Benz in den nächsten Monaten einen Kreativpool in Berlin aufbauen.“ Die Rede ist von etwa 100 Mitarbeitern für die Denkschmiede, die exklusiv für Daimler arbeiten soll.

Genau diesen Anspruch, ausschließlich für Mercedes arbeiten zu sollen, hatte Jung von Matt nicht erfüllen können. Das ist wenig überraschend bei einer Agentur, die eine große Mannschaft unterhält und über renommierte Referenzen wie Edeka oder Vodafone verfügt. Für Jung von Matt stellt die Absage der Stuttgarter dennoch einen herben Schlag dar. Die Firma verliert nicht nur die Verantwortung als international führende Agentur für die laut Interbrand wertvollste Marke Deutschlands. Sondern auch für einen Kunden, der in den nächsten Jahren einigen Kommunikationsbedarf haben wird: Immerhin bringt der Autobauer bis 2020 elf neue Modelle auf den Markt.

Von den gut 500 Mitarbeitern bei Jung von Matt in der Hansestadt hat knapp jeder fünfte Beschäftigte regelmäßig oder ausschließlich für die Schwaben gearbeitet. Die Hamburger etablierten auch den Claim „Das Beste oder nichts“ für die Premiummarke. Peter Figge versucht eine Erklärung: „Mercedes-Benz hatte wohl einfach einen anderen Plan im Kopf, ein Beuteschema, dem wir nicht entsprachen, auch wenn wir alle aktuellen Kreativ-Rankings anführen“, sagt der Vorstandschef von Jung von Matt dem Abendblatt. „Besonders an der Entscheidung von Mercedes-Benz ist, dass sich keine Agentur aus dem offiziellen Auswahlverfahren durchsetzen konnte. Der Kunde hat eine sehr mutige Entscheidung getroffen, indem er den Etat außerhalb der Ausschreibung an zwei Personen vergeben hat, die nun eine Agentur aufbauen müssen“, sagt der Kreative mit Blick auf das Duo Kemper/Kröger. Neben dem Autobauer hatte Jung von Matt zuletzt auch noch weitere Etatverluste beklagen müssen: Um langjährige Kunden wie „Bild“ oder „Spiegel“ kümmern sich nun Wettbewerber wie Thjnk.

Jung von Matt hatte in den vergangenen Jahren ein deutliches Wachstum erreicht und gut 100 Mitarbeiter allein am Agentursitz in der Hansestadt neu eingestellt. In naher Zukunft wird sich die Gruppe auf nur noch dünne Zuwächse einstellen müssen. Zwar erledigt sie für Mercedes 2015 noch Arbeiten an Prospekten und Webseiten. Auch deutet Jung von Matt Etatgewinne für das erste Quartal aus den Bereichen Versicherungen, Sport und der Verlagsbranche an. Die Nettoumsätze von knapp 80 Millionen Euro 2013 in Deutschland sollen sich im laufenden und kommenden Jahr aber nur noch moderat erhöhen, sagt Figge. Der Blick in die nächsten Monate mit gemischten Gefühlen betrifft allerdings nicht nur Jung von Matt. Für das Jahr 2014 geht der Branchenverband der Werber, ZAW, lediglich von einem marginalen Plus des Geschäfts aus. Dieser schwache Trend soll sich auch im kommenden Jahr fortsetzen (siehe Infokasten).

Der Kemper-Coup trifft Jung von Matt, das ist der Lauf der Dinge in der Branche und Alltag in den Agenturen, die sich immer wieder bei Wettbewerben die Gunst der Auftraggeber aus der Industrie sichern müssen. Aber er hinterlässt auch lange Gesichter bei Opel. Kempers langjährige Vertraute, Tina Müller, die früher gemeinsam mit dem Hamburger für Henkel gearbeitet hat und heute das Marketing bei Opel leitet, steht hier an erster Stelle. Die Managerin hatte Kemper die Arbeit für die Marke mit dem Blitz anvertraut, ihm damit in einer Zeit, als er nach dem Aus bei Thjnk ohne Aufgabe dastand, eine Perspektive gegeben. In den nächsten Wochen sollte Kemper mit einer eigenen Agentur unter dem Dach der Commarco-Holding, zu der auch Scholz & Friends (S&F) gehört, das Image der angeschlagenen Marke weiter polieren, nachdem S&F mit der Kampagne „Umparken im Kopf“ dafür den Grundstein gelegt hat. Das war der Plan. Tina Müller soll von dem Mercedes-Deal nun ebenfalls überrascht worden sein. In der Fachzeitschrift „Horizont“ pocht sie auf Vertragstreue Kempers. Er müsse den Vertrag, der bis April 2016 läuft, in „vollem Umfang erfüllen“, fordert Müller. Kemper, der seine Freizeit am liebsten in seinem Haus auf Sylt verbringt, wird die Insel in nächster Zeit wohl seltener sehen.