Werft in Neuenfelde überholt das Schiff, das die Zuschauer zum „Wunder von Bern“ bringt. 270 neue Jobs geplant.

Hamburg. Die Schäkel werden an den dicken Trageseilen des Krans befestigt. Dann greift Kranführer Michael Bemmé zum Knauf, zieht ihn zurück und damit ein breites Stahlgerüst in die Höhe, auf dem ein ganzes Schiff steht. Langsam hebt Bemmé seine 205 Tonnen schwere Last über die Kaikante und versenkt das Gestell langsam in den Fluten des Hafenbeckens. Dieses gräbt sich in den Schlick ein, bis das Schiff aufschwimmt. Es handelt sich um eine Hadag-Fähre, 30 Meter lang und acht Meter breit, die zur Überholung mit dem Spezialgestell Anfang November aus dem Wasser geholt worden war. Nun ist sie fertig. Rot und blau glänzt der Außenanstrich. An der Seite prangt eine Szene aus dem neuen Hamburger Musical „Das Wunder von Bern“, zu dem die Fähre künftig die Besucher über die Elbe bringt.

Ein Wunder ist das nicht, was hier geschieht. Aber es ist außergewöhnlich. Denn bei der Werft, die an diesem Tag die generalüberholte Fähre der Hadag übergibt, handelt es sich um die Sietas-Werft in Neuenfelde, und die ist 2012 in die Insolvenz gerutscht. Annähernd 700 Mitarbeiter verloren damals ihren Job. Nach der Abspaltung einiger Teilbereiche und einer umfassenden Restrukturierung gehört die Werft inzwischen zur in St. Petersburg ansässigen Pella Shipyard. Und nun wird auch wieder gearbeitet. Im Sommer will der russische Eigner, Garegin Tsaturov, mit dem Bau zweier eisgängiger Schiffe zur Verkehrssicherung im Nordmeer beginnen. Derzeit arbeiten die Konstrukteure der Pella Sietas, wie die Werft jetzt heißt, an den Zeichnungen. Bis sie fertig sind, halten sich die Schiffbauer mit kleineren Aufträgen wie der Überholung der Fähre über Wasser. Neben dem neuen Außenanstrich wurden Deckausrüstung und Motoren gewartet, Schrauben und Wellen überprüft.

„Der Auftrag umfasst nur einen kleinen sechsstelligen Betrag. Aber wir machen ja auch noch andere Sachen hier“, sagt Projektmanager Martin Stolzenberger. Neben diversen Schiffsreparaturen werden gerade mehrere Dalben für den Tiefwasserhafen in Wilhelmshaven zusammengeschweißt. Anfang des Jahres übernehmen die Hamburger für eine andere europäische Werft den Bau mehrerer Sektionen eines neuen Kreuzfahrtschiffs.

„Bei uns geht es wieder kräftig bergauf“, sagt Björn Pape, Technischer Direktor der Pella Sietas. Das schlägt sich auch in den Beschäftigtenzahlen nieder, die nach der Insolvenz bis auf 45 Mann geschrumpft waren. „Derzeit sind hier 130 Mitarbeiter beschäftigt, und wir suchen weiter Leute“, so Pape. Die vorgesehene Stärke haben wir noch nicht erreicht.“ Bis Ende 2016 sollen 400 Mitarbeiter bei Pella Sietas wieder einen Job finden.

Noch kann die Fähre das Gestell nicht verlassen. Die Schrauben liegen zum Teil noch über der Wasserkante. „Wir haben um diese Uhrzeit weniger Wasser unter dem Rumpf als gedacht“, sagt Stolzenberger und schaut auf seine Uhr. Den Zeitpunkt für das Umsetzen der Hadag-Fähre hatte er mit Bedacht gewählt. Es ist Springtide, das Wasser läuft etwas stärker auf als beim normalen Hochwasser. „Aber die Motoren müssen sowieso erst einmal erwärmt werden, bis dahin dürfte die Wasserhöhe reichen“, sagt Stolzenberger.

Seine eigene Vita ist mit dem zwischenzeitlichen Niedergang und der neuerlichen Auferstehung der Werft eng verbunden: 2010 ist Stolzenberger vom damaligen Leiter der Werft, Rüdiger Fuchs, geholt worden, um den Spezialschiffbau für die Offshore-Windindustrie voranzutreiben. „Wie wir wissen, kam alles anders“, sagt er.

Zu diesem Zeitpunkt war die Werft, die unter ihrem früheren Eigner Hinrich Sietas zu lange auf den Bau kleinerer Containerschiffe und überholte Produktionsmethoden gesetzt hat, finanziell schon ausgehöhlt. Zudem wurden aufgrund unklarer politischer Vorgaben zahlreiche Aufträge der Offshore-Windindustrie zurückgezogen. Im Februar 2014 wurde das Windparkerrichterschiff „Aeolus“ als letzter Neubau abgeliefert.

„Dabei muss es aber nicht bleiben“, sagt Werftmanager Pape. Seitdem endlich rechtliche und finanzielle Sicherheit bestehe, habe der Aufbau der Offshore-Windparks eine neue Dynamik bekommen. „Die Industrie brummt wieder“, so Pape.

Ähnlich hatte sich zuletzt Werfteigner Tsaturov geäußert: Sein strategisches Ziel sei es, vor allem eisgängige Spezialschiffe für die Erschließung von Ressourcen in den arktischen Gewässern zu bauen: Eisbrecher, Versorgungsschiffe, Tanker für verflüssigtes Erdgas und andere Typen. Russland werde durch seine lange Küste am Nordmeer erheblichen Anteil an diesem Geschäft haben. Zwar liege das Gros des internationalen Schiffbaus längst in Asien. Aber bei eisgängigen Schiffen hätten die europäischen Werften nach wie vor einen technologischen Vorsprung, sagte er dem Abendblatt.