Europas größter Automobilclub gibt sich eine neue Struktur – und einen alten Bekannten als Präsidenten

Hamburg. Der ADAC hat sich tief in die Sackgasse gefahren. Wie tief, wird deutlich, wenn August Markl, 66, sein großes Reformprojekt erläutert. „Die früheren Verhältnisse haben mich erschüttert und tief ins Herz getroffen“, sagte Markl, den die Delegierten der regionalen ADAC-Verbände am Wochenende im Rahmen einer außerordentlichen Hauptversammlung in München mit 180 von 218 Stimmen zum Präsidenten bis 2017 gewählt haben. „Wir müssen seit Monaten viel Kritik einstecken“, sagte Markl. „Manche ist berechtigt, manche nicht.“

Rund 19 Millionen Mitglieder hat der Allgemeine Deutsche Automobil-Club (ADAC). Er ist der größte Mobilitätsdienstleister in Europa. Diese Macht ist manchem zu Kopf gestiegen. Michael Ramstetter, der frühere Chefredakteur der „ADAC-Motorwelt“ und Kommunikationsdirektor des ADAC, hatte die Pannenstatistiken einzelner Automobilmarken frisiert, die Grundlage für die in der Branche hoch begehrten möglichst guten Einstufungen beim ADAC-Preis „Gelber Engel“.

Ramstetter räumte die Manipulationen im Januar ein, er wurde fristlos gefeuert. Der ADAC einigte sich mit ihm vor einigen Tagen außergerichtlich auf einen von Ramstetter zu zahlenden, nicht bezifferten Schadenersatz.

Die Affäre um das Automobil-Ranking war allerdings nur der Auslöser für die dann folgende größte Krise in der Geschichte des Verbands. Auch Dienstflüge von Mitgliedern des ADAC-Präsidiums mit den Rettungshubschraubern des Clubs rückten den ADAC ins Zwielicht, obendrein der Verdacht, dass Vertragskunden von Automobilherstellern bei der Pannenhilfe gegenüber ADAC-Mitgliedern bevorzugt würden.

Zu allem Überfluss kam auch noch der Verdacht der Steuerhinterziehung auf. Der langjährige ADAC-Präsident Peter Meyer trat im Februar zurück, ist aber weiterhin Vorsitzender des ADAC-Regionalverbandes Nordrhein.

Über all dem droht der ADAC seinen steuergünstigen Status als Verein zu verlieren. Das Amtsgericht München prüft den Fall seit Monaten. Ob der ADAC ein Verein bleiben darf, hängt auch von der Umsetzung der neuen Struktur ab. „Der ADAC bleibt ein Verein, weil er eine Solidargemeinschaft der Mitglieder ist, seit 111 Jahren“, sagte Markl im Vorfeld der Hauptversammlung bei einem Gespräch in Hamburg. Bisher agiert der weit verzweigte ADAC komplett unter dem Dach des Vereins. Der neue ADAC steht auf drei Säulen: Pannenhilfe, Motorsport und sämtliche Vereinsaktivitäten sollen künftig im Verein gebündelt werden. Alle Unternehmensbeteiligungen und kommerziellen Aktivitäten werden in der neuen Struktur von einer Aktiengesellschaft mit einem vom Verein unabhängigen Vorstand geführt. Eine neu zu gründende Stiftung schließlich hält an der AG eine Sperrminorität von 25,1 Prozent, 74,9 Prozent der Anteile liegen beim Verein. Nach diesem Schlüssel werden auch die Gewinne der AG aufgeteilt. Die Stiftung soll mit externen Experten arbeiten und auch für die Gemeinwohlaktivitäten des ADAC zuständig sein, vor allem für die Luftrettung. „Die geplante Einrichtung der Stiftung im Jahr 2015 ist anspruchsvoll“, sagte Markl. „Das Bayerische Stiftungsrecht ist das komplizierteste in Deutschland.“

Die kommerziellen Aktivitäten des ADAC werden reduziert. Batterieverkauf auf Provisionsbasis wird es künftig nicht mehr geben, auch keine aggressiven Werbemailings gemeinsam mit Readers Digest für Gewinnspiele oder Verlagsprodukte des Automobilclubs. Den gemeinsamen Betrieb von Fernbussen mit der Deutschen Post gibt der ADAC, wie bereits angekündigt, zum kommenden Frühjahr auf – er lohnt sich nicht: Neun bis zehn Cent Umsatz bräuchte der ADAC je Fahrgastkilometer, „um ein bisschen Geld zu verdienen“, wie Markl sagte. Derzeit seien es drei bis vier Cent. Weiterhin will der ADAC aber auch Reifen, Kindersitze und Werkstätten testen und Crashtests mit Automobilen veranstalten. „Wir wollen Verbraucherschützer bleiben“, sagte Markl, „aber Interessenkonflikte zwischen gemeinnützigen und kommerziellen Interessen künftig strikt vermeiden.“ Zwar würden dem ADAC durch die Verringerung der Wirtschaftsgeschäfte finanzielle Einbußen entstehen. Aber möglichst keiner der derzeit insgesamt 8800 Arbeitsplätze soll verloren gehen.

Rund 100 Menschen aus allen Bereichen des ADAC hätten sich in den vergangenen Monaten bei insgesamt mehr als 100 Sitzungen für die Reform des Automobilclubs eingesetzt, sagte Markl. Unterstützt wurden sie von einem prominent besetzten Beirat mit angesehenen Persönlichkeiten wie dem Unternehmer Jürgen Heraeus oder Hans-Jürgen Papier, dem früheren Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts. „Wir wollen uns für die kommenden ein bis zwei Jahrzehnte modern aufstellen“, sagte Markl. „Wir wollen eine klare Trennung von Haupt- und Ehrenamt im ADAC haben. Das Ehrenamt wird sich nicht in das operative Geschäft einmischen“, sagte Markl.

Dass ausgerechnet Markl den Club in eine neue Zeit führen würde, war zu Beginn der Krise nicht absehbar. Schließlich saß der promovierte Radiologe als Erster Vizepräsident schon zuvor im höchsten Gremium des ADAC. „Wir hatten im Präsidium Informationen nicht, die wir hätten haben müssen. Ich hätte stärker insistieren müssen“, sagte Markl zu den skandalträchtigen Vorgängen und Manipulationen. „Ich bin aber nicht sicher, ob ich dann mehr erfahren hätte.“ Mehr Mitgliederbindung, mehr Transparenz in der gesamten Organisation, eine neue Kultur der Kommunikation innerhalb des Hauses, das sind Markls zentrale Ziele für die Reform des ADAC. Zahlreiche Mitarbeiter, Mitglieder und letztlich der Beirat hätten ihn gebeten, für das Amt des Präsidenten zu kandidieren, was er nach eigenen Worten ursprünglich nicht vorhatte. Die Auswahl an Kandidaten allerdings war offenbar auch nicht allzu groß, wie Markl mit Blick auf die internen Bewerber selbst einräumt: „Die Liste blieb leer.“