Gewerkschaften und Betriebsräte starten Kampagne für dauerhafte Beschäftigung: Post-Mitarbeiter besonders betroffen. Allein beim Kita-Träger Elbkinder arbeiten 500 Mitarbeiter befristet.

Hamburg. Für Jochen Meyer ist das Jahr am 30. Oktober zu Ende. Dann läuft sein Arbeitsvertrag aus. Der 49-Jährige ist im Bereich Passagierabfertigung am Hamburger Flughafen tätig. Zweimal wurde sein Beschäftigungsverhältnis bei einem Dienstleistungsunternehmen inzwischen verlängert, einmal für ein halbes und vor einigen Wochen noch mal für ein Jahr. Ob er im nächsten Jahr noch einen Job hat, wird er erst kurz vor Vertragende erfahren. Mit erheblichen Auswirkungen auf sein Leben. Andere Wohnung, neue Bankverbindung, Autokauf – alles wird zum Problem ohne festen Arbeitsplatz. „Ich kann nichts planen. Die Unsicherheit ist belastend, der psychische Druck groß“, sagt Meyer. Das ist nicht sein richtiger Name. Den möchte er nicht preisgeben und auch nicht, wo und für wen er genau arbeitet – aus Angst. Denn er braucht den Job.

So wie ihm geht es immer mehr Hamburgern. Im vergangenen Jahr ist die Zahl befristeter Beschäftigungsverhältnisse in der Hansestadt nochmals gestiegen. Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di hat die neuesten Ergebnisse des Mikrozensus ausgewertet, der jährlich vom Statistikamt Nord erhoben wird. Danach arbeitete 2013 bereits jeder achte Hamburger in einem befristeten Vertrag, die Auszubildenden nicht eingeschlossen. 2012 war es noch jeder zehnte. Insgesamt waren 95.000 Hamburger betroffen, etwa 7000 mehr als im Jahr davor. Mit einer Quote von knapp 12,5 Prozent liegt die Hansestadt deutlich über dem Bundesschnitt von 7,5 Prozent. Nach Ver.di-Angaben ist fast die Hälfte der Befristungen ohne Grund zustande gekommen. Allein bei der Deutschen Post in Hamburg haben mittlerweile 582 der etwa 3900 Beschäftigten Zeitverträge. Betroffen sind private Unternehmen und ebenso die Stadt Hamburg als Arbeitgeber.

Auch Sabine Müller (Name geändert) hangelt sich seit zehn Jahren von Befristung zu Befristung. „Man ist Arbeitnehmer zweiter Klasse“, sagt die 62-Jährige, die bei einem Weiterbildungsträger beschäftigt ist und ebenfalls anonym bleiben möchte. In ihrem Vollzeitjob mit 40 Wochenstunden verdient sie etwa 1500 Euro netto. „Damit komme ich gerade so über die Runden“, sagt sie. Alle Bewerbungen waren erfolglos, unbefristete Arbeitsplätze im Weiterbildungsbereich sind Mangelware. Immer im September schrillten dann die Alarmglocken – dann steht die Vertragsverlängerung an. Krank gemeldet hat sie sich schon lange nicht mehr.

Inzwischen macht sie sich auch Sorgen um ihre Rente. „Mein Gehalt ist ja nie gestiegen, weil ich mich nicht hocharbeiten konnte.“ Jetzt lebt sie neben der Unsicherheit auch mit der Angst vor der Altersarmut.

In Deutschland ist inzwischen fast jedes zweite neue Arbeitsverhältnis befristet. Mit einem „Hamburger Appell gegen den Befristungswahn“ macht die Gewerkschaft jetzt im Rahmen der im Sommer gestarteten Aktion „Unbefristet“ gegen die steigende Zahl von Zeitverträgen mobil. 60 Betriebs- und Personalratsvorsitzende aus dem Dienstleistungssektor haben den Aufruf unterschrieben, darunter die Deutsche Post, Karstadt, Lufthansa Technik, die Asklepios Kliniken oder die Hamburg Port Authority. Nachdem der Versuch gescheitert sei, das 1995 in Kraft getretene Teilzeit- und Befristungsgesetz zu verändern, wollen die Arbeitnehmervertreter nun konkrete Schritte auf Landesebene erreichen.

„Solange der Gesetzgeber für keinen Rückgang bei Zeitverträgen sorgt, fordern wir von allen Arbeitgebern in Hamburg betriebliche und tarifliche Reglungen zum Rückgang dieser prekären Beschäftigungsform zuzustimmen“, sagt Ver.di-Chef Berthold Bose. Der Senat solle „den Befristungswahn in öffentlich finanzierten und kontrollierten Bereichen beenden“, heißt es in dem Papier. Handels- und Handwerkskammer werden aufgefordert, der zunehmenden Befristungspraxis in den Betrieben entgegenzuwirken.

Betroffen sind vor allem Frauen, Menschen mit geringer Qualifikation und Jüngere. Auch Katrin Richter (Name geändert) war bei der Einstellung bei einem großen Hamburger Verband gesagt worden, dass ihr Vertrag auf zwei Jahre begrenzt sei – ohne Chance auf Verlängerung. Die 32-Jährige unterschrieb trotzdem. „Die Aufgabe hat mich gereizt. Aber natürlich wirkt sich die zeitliche Begrenzung aus“, sagt die junge Frau, die zwei Uniabschlüsse hat. „Ich möchte gern langfristig etwas aufbauen.“ Auch an Familienplanung ist in der aktuellen Situation nicht zu denken. Deshalb guckt sie inzwischen verstärkt nach Stellenanzeigen.

„Ja, es stimmt, die Quote der Befristungen hat in Hamburg zugenommen. Aber wir sehen darin kein Warnsignal“, sagt Michael Thomas Fröhlich, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands UVNord. Vielmehr seien befristete Arbeitsverträge oft ein guter Einstieg, besonders für gering Qualifizierte und Gruppen, die bislang auf dem Arbeitsmarkt schlechte Chancen hatten. Nach seinen Angaben ist die Übernahmequote bei den Mitgliedsfirmen des UVNord auf 56 Prozent gestiegen. Ein Grund für die zunehmende Zahl der Fristverträge: Die Entscheidungen zu Mindestlohn, Mütterrente oder Rente mit 63. „Die Firmen sind verunsichert und werden in der Personalpolitik vorsichtiger“, so Fröhlich.

„Durch die Befristungen geht viel Know-how und Engagement verloren“, sagt Roland Schneider, Betriebsrat beim städtischen Kita-Träger Elbkinder, wo nach seinen Angaben etwa 500 der 5500 Mitarbeiter befristet beschäftigt sind. Es gehe nicht darum, alle befristeten Arbeitsverhältnisse zu verdammen, sagt Björn Krings, Projektleiter der Ver.di-Aktion „Unbefristet“, aber es bestehe die Tendenz, „dass Arbeitgeber das Kündigungsschutzgesetz mit Kettenbefristungen und sachgrundlosen Befristungen umgehen“. Mit dem DGB fordert Ver.di ein „Gesetz für gute Arbeit“ in Hamburg, das neben einer Erhöhung des Mindestlohns auf 9,28 Euro eine Selbstverpflichtung der Stadt gegen Befristungen vorsieht.