Fast zwei Drittel der Hamburger Unternehmen zahlen lieber eine Ausgleichsabgabe. Wie es auch anders geht, lebt das Privathotel Baseler Hof vor

Hamburg. Ceren Özcan ist eine fröhliche junge Frau, die gern lacht. Jeden morgen um sieben Uhr legt die 25-Jährige ihr Trachtenkleid an und nimmt ihre Arbeit im Frühstücksraum des Hotels Baseler Hof auf. Sie füllt das Büfett, schenkt den Gästen Kaffee nach und deckt neu ein. Verlangt aber ein Gast eine Rechnung mit ausgewiesener Mehrwertsteuer sowie Abzug der Tourismustaxe, versteht sie ihn nicht und muss einen Kollegen holen. Özcan lebt mit einer Behinderung.

Ein Schicksalsschlag in früher Kindheit hat ihr eine weitergehende berufliche Karriere zunichte gemacht. Als Zweijährige erlitt sie eine Hirnhautentzündung. Seitdem denkt und spricht sie langsamer als Menschen ohne Handicap. Und doch hat sie ihren Platz im Baseler Hof gefunden. Sie arbeite gern hier, erzählt Özcan bedächtig. „Die Kollegen sind auch alle nett und hilfsbereit“, sagt sie und nickt. Die junge Servicekraft ist eine von sechs Beschäftigten mit Behinderungen, die in dem Privathotel einen Job gefunden haben. Sie werden je nach ihren Fähigkeiten eingesetzt: als Näherin, Zimmermädchen, Servicekraft. Sogar der stellvertretende Bankettchef hat eine Behinderung. „Das hat sich im Betrieb so eingespielt, dass ich gar nicht mehr so genau weiß, um welche Mitarbeiter es sich handelt“, sagt Hoteldirektor Niklaus Kaiser von Rosenburg. Er wünscht sich, dass mehr Arbeitgeber seinem Beispiel folgen.

Die Mehrzahl der Hamburger Firmen entziehen sich nämlich dieser Verantwortung. Laut Bundesgesetz müssen alle Betriebe, die im Jahresdurchschnitt monatlich mindestens 20 Arbeitsplätze haben, mindestens fünf Prozent dieser Plätze mit schwerbehinderten Menschen besetzen. Ein Betrieb mit weniger als 40 Stellen muss also einen schwerbehinderten Menschen beschäftigen. In Hamburg trifft das auf 4124 Firmen zu. Knapp zwei Drittel kommen dieser Verpflichtung nicht nach. Sie zahlen lieber eine sogenannte Ausgleichsabgabe, eine Strafe, die je nach Beschäftigungsquote zwischen 115 und 290 Euro im Jahr pro unbesetztem Schwerbehindertenarbeitsplatz liegt.

3200 Schwerbehinderte in Hamburg sind aktuell arbeitslos gemeldet

So kommt es, dass derzeit 11.133 Pflichtarbeitsplätze für Menschen mit Behinderung in der Hansestadt erst gar nicht angeboten werden, sagt Michaela Bagger, operative Geschäftsführerin der Hamburger Arbeitsagentur. 3200 Schwerbehinderte hätten sich arbeitslos gemeldet, davon 1500 mit abgeschlossener Berufsausbildung oder Studium. Die Abgabe zwinge die Unternehmen offenbar nicht zum Umdenken. Also muss man sie überzeugen. „Behinderung bedeutet nicht immer, dass es zu Einschränkungen am Arbeitsplatz kommt. Dafür sind die Arten der Behinderung zu unterschiedlich“, sagt Bagger. Zudem gebe es Unterstützung. So kann bei schwerbehinderten Menschen für bis zu 24 Monate ein Eingliederungszuschuss gezahlt werden, der bis zu 70 Prozent des Lohns beträgt. Arbeitsassistenten können beantragt werden, die die betroffenen Mitarbeiter betreuen. Auch Kosten für den Umbau des Arbeitsplatzes oder Hilfsmittel werden gegebenenfalls übernommen. Laut Statistischem Bundesamt haben im vergangenen Jahr rund 834.000 Personen Eingliederungshilfe erhalten – und damit 1,7 Prozent mehr als im Vorjahr.

Andererseits wäre es aber auch falsch zu glauben, dass behinderte Arbeitnehmer genauso mühelos in den Betrieb integriert werden können wie Nichtbehinderte. Das verschweigt auch Kaiser von Rosenburg nicht. „Ein Unternehmenschef kann so etwas nicht allein entscheiden. Die Mitarbeiter müssen das mittragen. Sie sind diejenigen, die den behinderten Kollegen integrieren müssen.“ Zudem braucht man gute Berater und muss sehr genau schauen, dass Behinderung und Job miteinander vereinbar sind. „Man will ja den Betrieb nicht überfordern und den Mitarbeiter auch nicht“, sagt der Hoteldirektor. Außerdem müsse man sich darüber im Klaren sein, dass manche Mitarbeiter länger als ein Jahr einer begleitenden Betreuung bedürften.

Ceren Özcan hat jedenfalls über Umwege ihren Platz gefunden. Nach Praktika in einem Kindergarten und in der Küche eines Krankenhauses ist sie vor zwei Jahren von ihrem betreuenden Arbeitsassistenten an den Baseler Hof vermittelt worden. Dessen soziales Engagement, das in seiner Tradition als Christliches Kellnerheim wurzelt, wird allgemein anerkannt. Das Privathotel ist von der Arbeitsgemeinschaft der Schwerbehindertenvertretung in der Hamburger Wirtschaft und dem Senat jüngst mit dem Hamburger Inklusionspreis 2014 ausgezeichnet worden.