Der vom Designbüro müller/romca mitentwickelte Premium-Economy-Sessel kostet so viel wie ein VW Golf und bietet Passagieren mehr Platz

Hamburg. Häufig sind es die kleinen Details, die besonders viel Arbeit machen. So wie die lederne Oberkante der Sitztasche in der neuen „Premium Economy“-Klasse der Lufthansa. „Der Lederstreifen muss glatt aussehen, die Enden der Kordeln des Zeitschriftennetzes dürfen sich nicht durch das Material abzeichnen“, sagt Jochen Müller, einer der beiden Inhaber des Designbüros müller/romca mit Sitz in Hamburg und Kiel. „Außerdem muss die Lederkante auch nach vielfacher Benutzung straff bleiben, dafür sind ein elastisches Band und ein federnder Metallstreifen eingearbeitet.“

Es sei für alle Beteiligten ein „fordernder Prozess“ gewesen, mit immer neuen Gestaltungsvarianten und Tests dafür zu sorgen, dass die Anforderungen erfüllt werden. Zweieinhalb Jahre hat das norddeutsche Designerteam am Entwurf des Premium-Economy-Sitzes für die Lufthansa gearbeitet, Anfang Dezember gehen die ersten Jets mit der neuen Buchungsklasse in den Liniendienst. Zwar haben Müller und Mitinhaber Jens Romca schon etliche Projekte für die Lufthansa bearbeitet und zum Beispiel die First-Class-Badezimmer für die A380-Flotte gestaltet.

Doch für den Premium-Economy-Auftrag mussten sie sich zunächst in einem Wettbewerb gegen andere Designbüros durchsetzen – wobei die Konkurrenz überschaubar ist: Es gibt in Europa nur „eine gute Handvoll“ Agenturen, die dieses Geschäft beherrschen, wie Müller sagt.

In einer frühen Phase des Projekts orderte die Lufthansa Musterpolster von drei verschiedenen Herstellerfirmen, um unterschiedliche Konzepte damit testen zu können. „Es geht hier um ein Produkt, das weltweit fliegt“, sagt Romca, „und das bedeutet, dass der Sitz für einen schweren Nordamerikaner genau so bequem sein muss wie für eine kleine Asiatin.“

Fast alle Wettbewerber der Lufthansa haben schon in den vergangenen Jahren eine Buchungsklasse zwischen Economy und Business eingeführt. Sie sahen sich dazu gezwungen, weil aufgrund von Sparzwängen seit der Finanzkrise viele Unternehmen ihren Mitarbeitern auch auf Langstrecken nicht mehr gestatten, in der teureren der beiden Klassen zu fliegen.

Diese Einbußen wollen die Airlines mit der neuen Zwischenkategorie wenigstens zum Teil wettmachen. Bis Mitte nächsten Jahres sollen mehr als 100 Lufthansa-Flugzeuge mit insgesamt 3600 Premium-Economy-Sitzen ausgestattet werden. Der Investitionsbetrag wird mit 170 Millionen Euro angegeben. „Ein einzelner Sitz kostet ungefähr so viel wie ein VW Golf“, sagt Firmensprecher Klaus Gorny.

Den Passagieren biete das neue Produkt ungefähr 50 Prozent mehr Platz – bis zu 17 Zentimeter mehr Fußraum und eine um drei Zentimeter breitere Sitzfläche sowie breite Armlehnen. Dafür steigt der Ticketpreis um bis zu 600 Euro, was auf einem kürzeren Flug, etwa nach New York, einer Verdoppelung des Preises entspricht. In der Business-Klasse würde man allerdings deutlich mehr als 2000 Euro für den Trip zahlen.

„Für die Lufthansa ist es wichtig, möglichst keine Passagiere aus der teureren Klasse in die Premium Economy abzuziehen“, sagt Romca. So gibt es nicht die Möglichkeit, den Sitz zum Schlafen in die Horizontale zu klappen. Dennoch hat er Komfortmerkmale, die in der Economy-Klasse nicht zu finden sind: „Wenn man die Rückenlehne nach hinten neigt, schiebt sich die Sitzfläche etwas nach vorn.“

Kompromisse bei der Qualität des Sitzes kamen nicht in Frage. „Man hat ihn nicht nur zehn Stunden lang vor Augen, man hat auch ebenso lange Kontakt mit dem Sitz“, so Romca. „Da würden jede scharfe Kante und jede unsaubere Verarbeitung auffallen.“ Das Design überzeugte offensichtlich auch unabhängige Experten: Im Juli erhielt der Flugzeugsitz einen der renommierten „Red Dot“-Preise von einer internationalen Jury verliehen.

„Nach Luftfahrtmaßstäben ist der inländische Fertigungsanteil ungewöhnlich hoch“, sagt Müller: Der Sitz wird von der Firma ZIM aus der Nähe von Friedrichshafen gefertigt, die Stoffe kommen von Rohi aus dem bayerischen Geretsried, die Bezüge werden bei Paustian Airtex in Sörup (Schleswig-Holstein) genäht, und die Lederelemente liefert der Taschenhersteller Traveller aus Mühlheim am Main. Die räumliche Nähe mache die Entwicklungsarbeit einfacher, erklärt Müller – vor allem dann, wenn es schnell gehen müsse.

Das kam auch in diesem Projekt vor: Kurz vor dem Abschluss ergab der behördlich vorgeschriebene Crash-Test, dass ein Staufach noch einmal umkonstruiert werden muss. „Weil zu dieser Zeit aber schon erste Bilder herausgegeben worden waren, durften die Änderungen praktisch nicht sichtbar sein“, erklärt Romca. Das im Jahr 1993 gegründete Designbüro hat – abgesehen von den beiden Inhabern – drei fest angestellte Beschäftigte.

Hinzu kommen freie Mitarbeiter, darunter ein Modellbauer. „In unserer Werkstatt sind sieben Modelle im Maßstab 1:5 mit jeweils zwei Sitzreihen entstanden“, sagt Müller. „Diese Modelle sind extrem detailgetreu. Auch bei ihnen lassen sich die Rückenlehnen verstellen, sie bestehen zusammen aus weit über tausend Teilen.“

Die Miniatursitze wurden angefertigt, um den Mitarbeitern von Buchungszentren die Eigenschaften der neuen Premium-Economy-Klasse demonstrieren zu können. Zwar arbeite man seit Jahren selbstverständlich auch mit sehr realistischen Computersimulationen, sagt Romca mit Blick auf die Modelle, „aber nur das Echte ist wirklich echt.“

Aufträge aus der Luftfahrt wie der Entwurf einer Rettungshubschrauber-Kabine machen zwei Drittel des Geschäfts von müller/romca aus. Daneben befassen sich die Designer mit Zügen und gelegentlich mit der äußeren Form anderer Investitionsgüter wie zum Beispiel einem Laserscanner. Doch auch das Premium-Economy-Projekt der Lufthansa wird das Büro weiter beschäftigen. Denn der Entwurf muss noch für den Airbus A350, der erst im Jahr 2016 für die Kranich-Linie abheben wird, angepasst werden. Das sei keineswegs trivial, sagt Romca: „Die einzelnen Flugzeugtypen unterscheiden sich durch die Rumpfbreite und die Neigung der Wandverkleidungen, da möchte man jeden Freiraum für die Passagiere nutzbar machen – aber das Erscheinungsbild der Kabinenausstattung soll möglichst einheitlich sein.“