Ex-Arcandor-Chef Thomas Middelhoff wird zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Ein Grund: Dienstlich abgerechnete Flüge zur Arbeit und zur Familie

Essen. Das übliche Lächeln ist weg. Aschfahl und mit versteinerter Miene folgt Thomas Middelhoff den Ausführungen von Richter Jörg Schmitt. Zwei Stunden lang begründet der Jurist in Saal 101 des Essener Landgerichts das Urteil im Prozess gegen den früheren Chef der mittlerweile insolventen Karstadt-Mutter Arcandor. Wegen Untreue in insgesamt 27 Fällen und Steuerhinterziehung in drei Fällen verhängt die Große Wirtschaftsstrafkammer eine Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von drei Jahren – und einen Haftbefehl. „Die Höhe der Strafe bietet einen Fluchtanreiz“, begründet der Richter gegenüber Middelhoff, der sichtlich geschockt wirkte. Ein Haftprüfungstermin kurz nach der Urteilsverkündung habe ergeben, dass der Haftbefehl nicht unter Auflagen außer Vollzug gesetzt werde, sagte ein Sprecher des Landgerichts. Middelhoff sollte deshalb noch im Laufe des Freitags in eine Justizvollzugsanstalt gebracht werden. Seine letzte Hoffnung: Gegen die Entscheidung können Middelhoffs Verteidiger nun noch Revision beim Bundesgerichtshof einlegen.

Im Publikum rief der Richterspruch ein Raunen hervor. „Gott sei Dank“, murmelte eine Besucherin. Middelhoffs Frau Cornelie brach nach dem Ende der Verhandlung in Tränen aus. Wohl niemand, nicht einmal die einschlägigen Rechtsexperten, hatte mit einer so harten Strafe gerechnet. Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass Middelhoff seine Treuepflichten als Vorstandsvorsitzender verletzt und der Arcandor AG einen Schaden in Höhe von rund 500.000 Euro zugefügt hat. „Sie haben dabei durch Ihren Prominentenstatus weder einen Bonus noch einen Malus“, versicherte Richter Schmitt. Die Strafe reihe sich daher in die sonstigen Strafen dieser Kammer ein. Negativ ausgelegt wurde Middelhoff aber offenbar sein Verhalten im Prozess: „Leider sind wir davon überzeugt, dass Sie an den entscheidenden Stellen dieses Prozesses nicht ehrlich mit uns gewesen sind – und vielleicht auch nicht ehrlich mit sich selbst.“

Er habe in seiner Karriere selten erlebt, dass es innerhalb eines Verfahrens zu derart vielen Widersprüchen und Einlassungsbrüchen gekommen sei, sagte Schmitt. „Nach zehn Jahren kann man Erinnerungslücken haben, wir haben hier aber hilflose und abenteuerliche Erklärungsversuche erlebt.“ Mit dem Urteil bleibt das Gericht nur knapp unter der Forderung der Staatsanwaltschaft, die eine Haftstrafe in Höhe von drei Jahren und drei Monaten gefordert hatte. Middelhoffs Verteidiger wiederum hatten auf Freispruch plädiert und unter anderem mit der sogenannten Business Judgement Rule argumentiert, die Managern einen gewissen Ermessensspielraum lässt.

In dem insgesamt sechs Monate andauernden Prozess ging es vorrangig um Flüge mit Chartermaschinen und Helikoptern, die von Arcandor bezahlt, nach Ansicht der Staatsanwaltschaft aber ganz oder zumindest teilweise privat veranlasst waren. Darunter sind zum Beispiel Reisen nach New York, London und Berlin sowie Flüge mit dem Helikopter von Middelhoffs damaligem Hauptwohnsitz in Bielefeld zur Konzernzentrale nach Essen, um auf dem Weg zur Arbeit den baustellenbedingten Stau am Kamener Kreuz zu umgehen. Vorgehalten wurde dem Manager zudem, dass Arcandor rund 180.000 Euro für ein Symposium samt Festschrift zum 70. Geburtstag von Ex-Bertelsmann-Chef und Middelhoff-Mentor Mark Wössner bezahlt hat. Wössner bezeichnete das Strafmaß für Middelhoff als „viel zu hoch“. „Mir tut das unendlich leid“, sagte er dem Westfalen-Blatt. Gemessen an anderen Wirtschaftsstrafverfahren seien die Richter über das Ziel hinausgeschossen.

Zur Festschrift sagte Wössner: „Das ist ein großartiges Buch, aber ich hatte damit nichts zu tun. Ich habe es geschenkt bekommen, das ist alles.“ Inzwischen stehe er mit Middelhoff nur noch in losem Kontakt, erklärte der ehemalige Bertelsmann-Chef. Laut Richter Schmitt war eine Geldstrafe grundsätzlich noch denkbar. „Wir haben aber strafverschärfende Umstände gesehen“, erklärte der Vorsitzende. Gemeint sind damit in erster Linie die Festschrift und ein gut 90.000 Euro teurer Flug nach New York im November 2008. Anlass für die Reise im Privatjet seien damals keine Arcandor-Termine gewesen, sondern allein Middelhoffs Nebentätigkeit als Aufsichtsrat der „New York Times“. Und das sei Privatsache, auch wenn der Arbeitgeber eine Genehmigung erteilt hat.

Vor dem Urteilsspruch trank Middelhoff noch nervös einen Espresso

Folglich müsse der Flug auch privat bezahlt werden. „Wie kann man annehmen, dass Arcandor Reisekosten bezahlt, nur weil es eine Genehmigung der Nebentätigkeit gibt?“, fragte Richter Schmitt. Für die Staatsanwaltschaft hat Middelhoff, der stets in dunklen Anzügen mit Krawatte und Lederaktentasche zu den insgesamt 35 Verhandlungsterminen erschienen ist, Arcandor nach Gutdünken mit Kosten belastet. Unter anderem durch seine Hubschrauberflüge vom Wohnort Bielefeld in die Konzernzentrale nach Essen.

Middelhoffs Verteidiger hatten die insgesamt 74.000 Euro teuren Flüge als Arbeitsplatzwechsel bezeichnet. Die Kammer allerdings sieht es anders. „Das war der nachvollziehbare Versuch, Ihre Familie zu sehen.“ Weil es aber sowohl einen Dienstwagen gab als auch eine monatlich 3500 Euro teure Dienstwohnung in Düsseldorf, seien die Hubschrauberflüge Middelhoffs Privatsache. „Ihre Termine begannen um neun Uhr morgens in der Arcandor-Zentrale. Dann müssen Sie früher aufstehen.“

Für Middelhoff, der noch wenige Minuten vor dem Urteilsspruch in der Kantine des Essener Landgerichts sichtlich nervös einen Espresso trank, dürfte mit dem Urteil eine Welt zusammenbrechen. Zumal der ehemalige Topmanager die gegen ihn erhobenen Vorwürfe nach eigener Aussage erst gar nicht verstehen konnte. „Was mir vorgeworfen wird, ist gelebte Praxis in Großkonzernen“, sagte der 61-Jährige in seinem Schlusswort in der letzten Verhandlung vor der Urteilsfindung. Er sei daher manches Mal verzweifelt, wenn seine Anwälte die Tatvorwürfe mit ihm durchgegangen seien.

„Ich habe mich an Recht, Gesetz und Satzung gehalten“, versicherte Middelhoff, dem das öffentlich entstandene Bild des raffgierigen Managers in den vergangenen Monaten sichtlich zu schaffen gemacht hat. Ein Fehlverhalten könne er sich – aus seiner zugegeben subjektiven Sicht – nicht vorwerfen. Er sei bei Arcandor angetreten, um Arbeitsplätze retten, nicht um Hubschrauber- und Charterflüge machen zu dürfen. Dafür habe er eigenes Geld gehabt. Wie viel Geld Middelhoff derzeit noch hat, ist unklar. Auch deshalb ordnete Richter Schmitt den sofortigen Haftbefehl an. „Ihre wohnliche und finanzielle Situation ist bis heute unklar.“