Edeka fordert Rewe heraus. Die Hamburger wollen 450 Kaiser’s-Tengelmann-Märkte kaufen. Die Kölner sind dagegen. Sogar die Politik mischt mit

Hamburg. Es ist ein ausgesprochen ungewöhnliches Schreiben, das diversen Abgeordneten des Bundestags Mitte Oktober auf den Tisch flatterte. Darin wirbt der Chef der Hamburger Edeka-Gruppe, Markus Mosa, für die geplante Übernahme von 450 Supermärkten des angeschlagenen Konkurrenten Kaiser’s Tengelmann. Insbesondere verweist der Vorstandsvorsitzende auf die etwa 16.000 Arbeitsplätze, die durch den Verkauf an die Hamburger gesichert werden könnten.

Zugleich teilt der Edeka-Chef aber auch kräftig gegen das Bundeskartellamt aus, das aufgrund einer gerade abgeschlossenen Sektoruntersuchung große Bedenken gegen die zunehmende Konzentration im deutschen Lebensmitteleinzelhandel hat. Seit Anfang November befassen sich die Wettbewerbshüter auch mit der für Mitte 2015 geplanten Kaiser’s-Übernahme.

Das Amt habe „mit gewaltigem Aufwand für alle Beteiligten“ die Lage in der deutschen Supermarktlandschaft unter die Lupe genommen, heißt es in dem Papier, das dem Abendblatt vorliegt. Dabei habe die Behörde aber „wenig herausgefunden“, „stark dramatisiert“ und rechtfertige damit eine Verschärfung der Kartellrechtsanwendung. Die Wirtschaftspolitik müsse sich deshalb mit „dieser Ausweitung der Einmischung des Bundeskartellamts in die Prozesse des Lebensmitteleinzelhandels befassen“. Das Amt werde den „Notwendigkeiten der Marktteilnehmer und der Verbraucher nicht gerecht“, schreibt Mosa weiter.

Dass der Edeka-Chef nach Schützenhilfe aus der Politik Ausschau hält, ist aus seiner Perspektive durchaus verständlich. Denn die kartellrechtliche Prüfung der Übernahmepläne für Tengelmann dürfte alles andere als ein Selbstgänger werden. Erst in diesem Jahr haben die Wettbewerbshüter die Hamburger wegen des Missbrauchs ihrer großen Marktmacht abgestraft. Aus Sicht der Behörde vereinigen schon heute die vier größten Ketten Edeka, Rewe, Aldi und die Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland) einen Marktanteil von 85 Prozent auf sich, was den freien Wettbewerb stark einschränkt.

Mosas Brief an die Bundespolitiker könnte nun darauf abzielen, den Boden für eine Sondererlaubnis aus dem SPD-geführten Bundeswirtschaftsministerium zu bereiten, sollte das Kartellamt seine Zustimmung zu dem Verkauf tatsächlich verweigern. Zumindest die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat sich von den Arbeitsplatzargumenten des Edeka-Chefs schon überzeugen lassen. Es gelte, einen „zweiten Fall Schlecker“ zu verhindern, erklärte der Sprecher der Arbeitsgruppe Wirtschaft und Energie, Wolfgang Tiefensee. „Das Bundeskartellamt sollte nicht nur die wettbewerblichen Wirkungen prüfen, sondern auch die gesellschaftlichen Folgen im Blick haben.“

Andere Bundestagsabgeordnete wie Bärbel Höhn von den Grünen schlagen sich hingegen auf die Seite der Wettbewerbshüter: „Die Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel ist einerseits für die Erzeuger und Verarbeiter ein Problem“, sagt Höhn. Nur eine kleine Minderheit der Hersteller könne auf Augenhöhe mit den Einkäufern der Handelsketten verhandeln. Aus Kundensicht sei die Marktmacht der großen vier schädlich, „weil sie über die Einkaufs- und Preispolitik die Art der Landwirtschaft fördert, die die meisten Verbraucherinnen ablehnen“.

Gar nicht gut kommen die Übernahmepläne von Edeka auch bei der zweitgrößten deutschen Supermarktkette Rewe an. „Wir werden alle juristischen Möglichkeiten nutzen, um unsere Interessen zu wahren“, kündigte der streitbare Chef Alain Caparros in der „FAZ“ für den Fall an, dass die Verbindung von Kaiser’s und Edeka tatsächlich zustande kommt. „Notfalls machen wir ein Sit-in vor dem Bundeswirtschaftsministerium.“ Der heute schon vorhandene Abstand zwischen den beiden genossenschaftlichen Rivalen – Edeka kommt auf einen Marktanteil von 25 Prozent, Rewe auf 16 Prozent – wäre laut Caparros nicht mehr aufzuholen. Dabei verweist der Franzose auch auf die drei Regionen, in denen Kaiser’s Tengelmann sein Filialnetz betreibt, nämlich im Raum Berlin, Bayern und Nordrhein-Westfalen. In Berlin etwa wüchse Edeka nach seinen Berechnungen auf einen Marktanteil von mehr als 30 Prozent.

Das Schreckensszenario, dass bei Nichtgenehmigung womöglich ein neuer Schlecker-Fall droht, hält Caparros gar für eine Frechheit. „Kaiser’s Tengelmann ist nicht Schlecker. Wer hier den Schlecker-Fall ins Spiel bringt, täuscht die Öffentlichkeit.“ Auch Rewe würde aus seiner Sicht die Übernahme jeder einzelnen Filiale prüfen und allen Beschäftigten gegebenenfalls eine Arbeitsplatzgarantie geben. Kartellamtspräsident Andreas Mundt müht sich unterdessen, in diesem Muskelspiel die Unabhängigkeit zu wahren. Am Mittwoch erläuterte der oberste Wettbewerbshüter vor dem zuständigen Bundestagsausschuss seine Erkenntnisse zum Lebensmittelhandel, ließ sich in Sachen Edeka aber nicht in die Karten schauen. „In God we trust, all others bring data“, zitierte er den Statistiker William Edwards Deming. Zu Deutsch: „Wir vertrauen auf Gott. Alle anderen müssen Daten liefern.“