Lunch Beat, Poetry Slam oder doch lieber eine Fantasiereise? Otto und andere Hamburger Konzerne bieten ihren Mitarbeitern Alternativen zum Kantinenbesuch an.

Hamburg. Wenn Kathrin Fiesel von ihrer Mittagspause erzählt, dann bekommt die Otto-Mitarbeiterin schon mal die eine oder andere erstaunte Nachfrage zu hören. „Was macht ihr da? Tanzen?“ Tatsächlich erprobt die Hamburger Handelsgruppe auf dem Konzerngelände in Bramfeld seit einigen Monaten Alternativen zum klassischen Kantinenbesuch. Lunch Beat nennt sich das Angebot, zu dem nun in regelmäßigen Abständen rund 100 bis 200 Mitarbeiter zu Songs wie „Happy“ von Pharrell Williams oder „Monsta“ von Culcha Candela abtanzen.

„Wir haben uns in einer umgebauten, abgedunkelten Fabriketage getroffen. Es gab Häppchen zu essen, einen DJ und auch das passende Disco-Licht“, erzählt Fiesel von ihrem jüngsten Besuch in dem konzerneigenen Club. „Alle haben getanzt, das war toll, weil man die Kollegen mal von einer ganz anderen Seite kennenlernen konnte.“

Der Lunch Beat ist nur eine der Aktionen, die im sogenannten Loft 06 auf dem Otto-Gelände stattfinden. Mal philosophiert dort ein Redner der Modern Life School über die Kunst frei zu leben, mal tragen Poetry Slammer ihre aktuellen Werke vor. Auch technische Innovationen wie Datenbrillen, 3-D-Drucker oder Flugdrohnen konnten die Beschäftigten während der Mittagszeit schon ausprobieren. Als nächstes sind ein Pausenkino mit Kurzfilmen und eine Lesung mit Schauspielern aus dem Thalia Theater geplant.

„Es geht uns darum, die Mittagspause einmal anders zu gestalten und das Arbeitsklima dadurch positiv aufzuladen“, sagt die Personaldirektorin von Otto, Sabine Josch, die für etwa 5000 Beschäftigte in Hamburg zuständig ist. Die Mitarbeiter sollten durch die monatlichen Veranstaltungen neue Anregungen bekommen, die auch über den Konzern hinausgingen.

So wie Otto mühen sich mittlerweile auch viele andere Unternehmen, ihren Mitarbeitern Alternativen zum Kantinenbesuch zu bieten. So treffen sich die Beschäftigten bei Unilever mittags nicht nur zum Joggen von der HafenCity bis Planten un Blomen, es gibt auch ein komplettes Fitnesscenter, in dem jeden Tag verschiedene Kurse von Bauch, Beine Po über Qigong, Pilates bis hin zum Indoorcycling angeboten werden. Sehr beliebt sind auch Massagesessel, in denen die Beschäftigten Platz nehmen und je nach Wunsch eine sprachgeführte Tiefenentspannung oder eine Rückenmassage mit Musik genießen können.

Beim Hamburger Nivea-Hersteller Beiersdorf gibt es im Rahmen des „Good for me“ genannten Gesundheitsmanagements wöchentlich stattfindende Kurse in der Mittagszeit, die von der klassischen Rückenschule über Yoga und Autogenes Training bis hin zu Achtsamkeitsübungen, Igelballmassagen und sogenannten Traum- und Fantasiereisen reichen.

Junge Start-ups wie der Hamburger Softwareentwickler Jimdo leisten sich gar eine „Feelgoodmanagerin“, die sich unter anderem dafür einsetzte, dass sich die Mitarbeiter nach anstrengender Programmierarbeit kurz mal zum Powernapping in firmeneigene Schlafkojen zurückziehen können.

Diesen Aufwand betreiben die Unternehmen freilich nicht als Selbstzweck, sondern vor allem, um die Leitungsfähigkeit ihrer Beschäftigten zu steigern. Arbeitsmediziner wissen seit Langem, dass das Abschalten und die Beschäftigung mit anderen Dingen in der Mittagspause zur Regeneration führt – vorausgesetzt, die Angebote werden nicht als Zwang empfunden oder nehmen überhand.

Im Otto-Konzern funktioniert dieses Prinzip recht gut. Mitarbeiterin Kathrin Fiesel ist jedenfalls von den positiven Effekten des Lunch Beats überzeugt. „Für eine Stunde ist man in einer anderen Welt und bekommt mal den Kopf frei“, sagt sie. „Danach bin ich zusammen mit meinen Kollegen sehr beschwingt zurück an meinen Arbeitsplatz gegangen.“

Allerdings dürfte es bei dem Hamburger Handelskonzern nicht nur um reine Gesundheitsförderung und Steigerung der Mitarbeitermotivation gehen. Schon seit geraumer Zeit ist die Otto Group auch darum bemüht, ihr zwar soziales, aber auch etwas biederes Image aufzupolieren.

So wurde etwa der aktuelle Konzernlagebericht nicht mehr wie ein dröger Zahlenfriedhof, sondern wie eine Art Reisetagebuch mit handschriftlichen Notizen gestaltet. Bewerbungen sind mittlerweile nicht nur online, sondern sogar per Smartphone mit angehängtem Xing-Profil möglich. Und in einem öffentlichen Blog informiert die Gruppe seit einigen Monaten über interne Entwicklungen und Branchentrends. „Die alternative Gestaltung der Mittagspause ist auch Teil einer anderen, innovativen und lockereren Unternehmenskultur bei Otto“, sagt Personaldirektorin Sabine Josch.

Der Wandel zielt unter anderem darauf ab, sich für die viel umworbenen IT- und E-Commerce-Experten interessant zu machen, die der Konzern dringend benötigt, um seine Transformation vom klassischen Versand- zum Onlinehändler voranzutreiben. Dabei konkurrieren die Hamburger mit Internetkonzernen wie Google, die ihre Büros und Konferenzräume auch schon mal wie U-Bahn-Waggons oder Bäder mit Schaumstoffbällen gestalten.

Oder mit aufstrebenden Onlinespieleherstellern wie Goodgame Studios aus Bahrenfeld, die mal eben in einem Jahr mehrere Hundert neue Beschäftigte einstellen und dabei mit Freiluftpool und Feierabendbier locken.

„Im harten Wettbewerb um die besten Fachkräfte wollen wir uns nach außen natürlich als attraktiver Arbeitgeber präsentieren“, sagt Josch. „Das wichtigste dabei ist, dass wir spannende Projekte und Jobs anzubieten haben, in denen die Beschäftigten wirklich etwas bewegen können. Wenn dann noch zusätzliche Angebote wie Lunch Beats hinzukommen, hilft das möglicherweise bei der Rekrutierung neuer Mitarbeiter. Aber sicher wird niemand nur deshalb bei uns anfangen, weil er in der Mittagspause tanzen kann.“