Die Hamburgerin Katja Elsässer bildet Vierbeiner für Werbespots aus und lebt mit ihnen auf einem Hof in der Nähe von Lüneburg

Lüneburg. Ein Ausflug zum Hof von Katja Elsässer erinnert an einen Besuch bei Pippi Langstrumpf. Ein Pferd klopft mit dem Huf an die Küchentür, der Rabe auf dem Tisch schnäbelt den Löffel aus der Kaffeetasse. Die Katze im Regal öffnet ein Auge und streckt herzhaft gähnend die Tatzen aus. Auf dem Landgut mit dem verwunschenen Obstbaumgarten wohnen alle möglichen Säuger, Vögel und Reptilien mit den Menschen zusammen, als sei es das Selbstverständlichste der Welt. „Die Tiere dürfen hier eigentlich alles“, sagt Katja Elsässer über das Zusammenleben mit den Vierbeinern auf ihrem Filmtierhof.

Auch Wilma weiß ihre Freiheit zu schätzen. Die französische Bulldogge nimmt während des Interviews auf dem Schoß des Abendblatt-Besuchs Platz und beobachtet fortan jede Bewegung des Kugelschreibers auf dem Notizblock. Das vermeintliche Paradies für die Tiere hat einen praktischen Hintergedanken. „Wenn ich der Katze verbiete, auf das Regal zu springen, kann ich das auch im Film nicht verlangen“, sagt Katja Elsässer. So idyllisch das Nebeneinander von Wilma, dem Raben Loki oder dem Pferd Amigo auch wirkt – alle Tiere hier sind Vollprofis, mit einem Leben, das sich oft weit entfernt von ihrem Zuhause auf dem Landgut abspielt: Sie sind Fernsehstars, die jeder Zuschauer aus der Werbung oder aus Filmen wie dem „Tatort“, „Bibi und Tina“ oder „Danni Lowinski“ kennt. Wenn es hart auf hart kommt, müssen sie neben menschlichen Models vor dem Fotografen posieren und dabei genau in die Kamera schauen oder im TV-Krimi Verbrecher verfolgen. Wilma hat mit ihrem knautschigen Gesicht schon die Kunden von Vodafone begeistert.

Katja Elsässer hat etwa 100 Tiere im Angebot und kann sich vor Anfragen von den Produktionsfirmen kaum retten. „Die Menschen verbringen immer mehr Zeit zu Hause. Tiere im Fernsehen bringen ihnen Leben ins Wohnzimmer“, begründet die 34-Jährige den Trend zum Tier im Film. Unter Werbern gibt es den Spruch: „Babys und Tiere gehen immer!“, ergänzt Stefan Kolle von der Hamburger Werbeagentur Kolle Rebbe. Gemeint sei damit, dass man mit süßen Kinder- oder Tierbildern sehr starke Reize setzen und damit Aufmerksamkeit generieren könne. Das funktioniere meistens sehr gut, weiß Kolle aus Erfahrungen mit seinen Kunden wie Lufthansa oder TUI. „Einziges Problem: Oft erinnern sich die Leute nur an die süßen Tiere, aber nicht an das beworbene Produkt.“ Die drei beliebtesten Vertreter in der Werbung sind Hunde, Katzen und Bären.

Seit 100 Jahren funktioniert die Psychologie wortwörtlich bei der Bärenmarke. Ein weiterer Klassiker ist der Esso-Tiger. Solche „Kunsttiere“ stehen für eine Marke, und sie altern in der Regel nicht. Als vor 20 Jahren die echte Milka-Kuh geschlachtet werden sollte, gingen die Kunden auf die Barrikaden. Der Hersteller musste versprechen, ihr einen angenehmen Lebensabend zu ermöglichen. Ähnlich besorgt waren Verbraucher über das Schicksal von Ferkel Ute aus der Media-Markt-Kampagne „saubillig“. Auch Ute wurde von Katja Elsässer ausgebildet.

Neben Lebensmittelherstellern oder Elektroanbietern werben auch Autokonzerne gerne mit Tieren und geben sich so einen Touch von Natur, fernab von kaltem Metall und anonymer Technik. Beispiel Mercedes. Da singen Wildtiere, sexy ihre Hinterteile schwingend, das Lied „Staying Alive“, als ein Autofahrer im Wald rechtzeitig vor ihnen abbremsen kann. Igel nehmen ihre Gasmasken ab und freuen sich über die gute Luft am Straßenrand, als ein „sauberer“ Mercedes-Motor vorbeirauscht. Die Werber von Jung von Matt sind für die Spots des Stuttgarter Autobauers verantwortlich. Philipp Barth, Creative Director bei der Hamburger Agentur: „In der Fernsehwerbung wird oft mit Tieren gearbeitet, weil sie Emotionen auslösen.“ Jung von Matt realisierte für die Marke mit dem Stern auch den Film für das Stabilitätsprogramm Magic Body Control. Es wurde mit tanzenden Hühnern veranschaulicht. „Die Körper der Hühner werden zur Musik von ,Upside Down‘ hin und her bewegt – aber ihre Köpfe bleiben dabei völlig ruhig. Das sieht skurril aus und wurde allein auf YouTube mehrere Millionen Mal angeschaut“, sagt Barth.

Das rotbraune Federvieh aus der Werbung pickt auf dem Filmtierhof derweil seelenruhig ein paar Körner auf und lässt sich nur ablenken, als Rabe Loki im Sinkflug auf die Futterschale zusteuert. „Das sind die Hühner aus der Mercedes-Werbung“, zeigt Katja Elsässer auf drei besonders stattliche Exemplare und verrät gleich auch den Trick im Spot: „Wenn Hühner tiefenentspannt sind, bleibt der Kopf immer ruhig über dem Körper.“

Die blonde, sportliche Frau hatte schon als Kind ein Faible für Vierbeiner. Um den Tieren auch im Beruf nah zu sein, hat sie im Futterhandel gearbeitet, im Reitstall geholfen und bei dem Hamburger Tiertrainer Gerd Kunstmann gelernt, wie sie Hasen oder Eseln das Schauspielern beibringen kann. Als Kunstmann 2008 verstarb, keimte in Katja Elsässer der Wunsch, sich irgendwann auf einem eigenen Hof selbstständig zu machen. Vor vier Jahren erfüllte sich der Traum, und seitdem gehören die Tiere zum Alltag der gebürtigen Hamburgerin. Für ihre zwei Kinder, sagt Elsässer, sei das Leben mit Hund und Pferden mittlerweile ganz normal, eine besondere Beziehung zu den Tieren hätten sie aber nicht. Vielleicht ist es auch nicht immer ganz einfach, den Kakao wegzuräumen, bevor die Katze ihn ausschleckt. Oder die Grippetabletten wegzuschließen, weil Rabe Loki die Blisterpackung blitzschnell aufpickt, wie er das gerade während des Gesprächs mit dieser Zeitung tut. Urlaub ist natürlich auch nicht drin, denn die Mitbewohner auf vier Pfoten wollen 365 Tage im Jahr versorgt sein.

Für das Einüben der Tricks verwendet Elsässer Futter oder Clickertraining, bei dem das richtige Verhalten mit einer Art Knackfrosch belohnt wird: Das Klicken sagt dem Hund, dass er seine Sache gut gemacht hat. Je nach Tierart ist das Trainieren mehr oder weniger kompliziert. Rabe Loki ist so intelligent, dass er sich selber lieber lustigere Sachen ausdenkt, als auf Befehl von A nach B zu fliegen. Dann kurvt er über Bleckede und ärgert die Dorfbewohner. Bei Hunden und Pferden sei das Training einfacher. Außerdem zieht Katja Elsässer die meisten Tiere mit der Hand auf, dann baut sich ein Vertrauensverhältnis auf, das sie für die Auftritte vor der Kamera nutzen kann.

Tiertrainer ist kein geschützter Beruf. Auch eine spezielle Ausbildung gibt es nicht. „Es ist in jedem Fall eine Menge Arbeit“, nimmt Elsässer vielen Mädchen die Hoffnung auf einen leichten Traumberuf. Auch reich werde man als Tieragentur nicht. Denn allein schon die Versicherung für die Arbeit und den Transport der pelzigen Filmstars und die Rechnungen für den Arzt gingen ordentlich ins Geld.

Die Gagen sind moderat: Für den Auftritt eines ausgebildeten Hundes bekommt die Tiertrainerin rund 150 bis 1500 Euro. Die Vermittlung eines Elefanten, denn auch als Agentur für alle möglichen exotischen Geschöpfe vom Affen bis zum Zebra arbeitet der Filmtierhof, gibt es gut 10.000 Euro. „Das ist meist immer noch günstiger als für einen menschlichen Schauspieler“, sagt die Unternehmerin lachend.

Den Wunsch vieler Frauchen und Herrchen, ihren Liebling zum nächsten Fernsehstar zu machen, kann Elsässer zwar verstehen, aber nicht oft erfüllen. „Häufig kann der Hund tatsächlich auf Befehl bellen oder hat andere Kunststücke gelernt, aber er wird am Set nervös und lässt sich ablenken“, weiß die Vermittlerin. Außerdem komme es auf das Team an, auf Mensch und Tier. Hin und wieder bestellen die Produktionsfirmen dann auch mal eine Katze alleine an den Drehort, ohne den allzu hektischen Halter.

In den nächsten Monaten werden die Fernsehzuschauer wieder besonders häufig niedliche Hamster oder putzige Kuscheltiger zu sehen bekommen. Es ist Tiersaison im TV, wenn die dunkle Jahreszeit vor der Tür steht. „Wir beobachten einen Anstieg von Werbung mit Tieren, wenn das jährliche Weihnachtsgeschäft ansteht und die Chance groß ist, potenzielle Kunden zum Kauf zu verleiten“, sagt Florian Weber, Kreativchef von der Agentur Thjnk. Auch bei Katja Elsässer haben etliche Mitbewohner schon Erfahrungen mit Weihnachtsspots gemacht. Neben dem Gatter, wo Sir Henry, das Fohlen Socke aus „Bibi und Tina“ auf einem Grasbüschel herumkaut, läuft eine weiße Gans über den Hof. Sie hat sich kürzlich im Werbespot einen Autoschlüssel geschnappt und ist schnell aus der Küche gerannt: Der Ofen war schon vorgeheizt. Heute hat sie frei und darf herumlaufen, wo sie will. Bis zum nächsten Dreh.