Abendblatt-Gespräch mit Meinhard Geiken, dem Chef der IG Metall Küste, über die anstehenden Tarifverhandlungen der Branche und den Streik der Lokführer.

Hamburg. Die Bezirke der mächtigen IG Metall haben dem Gewerkschaftsvorstand ihre Forderungsempfehlungen für die nächste Tarifrunde vorgelegt. Auch die IG Metall Küste mit ihrem Bezirksleiter Meinhard Geiken hat sich am Freitag entschieden: Zwischen fünf und sechs Prozent mehr Lohn und neue Regelungen für die Altersteilzeit sowie die Weiterbildung soll es geben. Der Vorstand wird am kommenden Dienstag die bundesweite Forderung bekannt geben, die sich aber kaum von den Empfehlungen unterscheiden wird. Das Abendblatt sprach am Freitagnachmittag mit IG-Metall-Küste-Chef Geiken über die Forderung und den Lokführerstreik.

Hamburger Abendblatt: Die IG Metall Küste fordert zwischen fünf und sechs Prozent mehr Lohn für die Branche im Norden. Ist dies nicht überzogen mit Blick auf die sich eintrübende Konjunktur?
Meinhard Geiken: Für uns ist die ökonomische Entwicklung der Metall- und Elektroindustrie im Norden entscheidend – und die sieht insgesamt gut aus. Die Arbeitgeber im Norden erwarten für 2014 ein starkes Jahr und gehen für 2015 von einem stabilen Geschäftsverlauf aus. Fünf bis sechs Prozent mehr Lohn sind deshalb fair.

Angesichts einer Inflationsrate, die nur knapp über null Prozent liegt, bliebe real aber überdurchschnittlich viel in der Tasche der Arbeitnehmer übrig ...
Geiken: Wir orientieren uns bei unserer Forderung an der Inflationszielmarke der Europäischen Zentralbank von zwei Prozent und der Produktivitätssteigerung der Betriebe. Fünf bis sechs Prozent mehr Lohn sind zudem vernünftig, um die Binnenkonjunktur zu stärken. Die Wirtschaft wird nicht zuletzt vom Inlandskonsum getragen – oder anders gesagt: von dem, was die Menschen im Portemonnaie haben. Die Forderung passt absolut in die Landschaft.

Gilt das auch für die Schiffbaubetriebe, die seit Jahren in der Krise sind?
Geiken: Gerade von den Betriebsräten auf den Werften hören wir, dass die wirtschaftliche Lage dort nicht schlecht ist. Zudem gibt es für einzelne Unternehmen, die sich höhere Löhne wirtschaftlich nicht leisten können, die Möglichkeit für Ausnahmen. Die Betriebe in den großen Bereichen Luftfahrt, Automobilbau und Maschinenbau stehen insgesamt glänzend da.

Zudem möchte die IG Metall Küste eine bessere Regelung zur Altersteilzeit sowie mehr Zeit und Geld für Weiterbildung durchsetzen. Was heißt das konkret?
Geiken: Bei unserer aktuellen Altersteilzeitregelung müssen wir Veränderungen vornehmen, weil sich durch die Rente mit 63 die allgemeine Gesetzeslage geändert hat. Derzeit haben wir in der Metallindustrie eine Quotenregelung festgeschrieben. Das heißt: Maximal vier Prozent der Beschäftigten in einem Betrieb können in Altersteilzeit gehen. Diese Quote wollen wir ausweiten. Zudem fordern wir einen individuellen Anspruch jedes Beschäftigten auf Altersteilzeit. Die Arbeitgeber wollen künftig allein entscheiden, wer in Altersteilzeit gehen darf. Das lehnen wir ab. Der Betriebsrat soll nach unserer Meinung in Streitfällen weiterhin mitentscheiden dürfen.

Sie fordern großzügige Vorruhestandsregelungen, zugleich klagen die Betriebe über Nachwuchsmangel. Wie passt das?
Geiken: Laut einer Umfrage in unseren Betrieben wünscht sich die eindeutige Mehrheit flexiblere Rentenregelungen. Darauf gehen wir als Gewerkschaft mit unseren Vorschlägen ein. Zudem haben die Betriebe bei Altersteilzeitmodellen ausreichend Zeit, sich um Ersatz für den ausscheidenden Beschäftigten zu kümmern. Schließlich gibt es eine aktive Altersteilzeitphase, in welcher die Beschäftigten noch im Betrieb sind.

Findet man denn tatsächlich einen Nachwuchsmangel in der norddeutschen Metall- und Elektroindustrie?
Geiken: Es gibt Probleme in einzelnen Bereichen – vor allem in solchen, die mit körperlicher Arbeit verbunden sind. Aber ich würde nicht von einem generellen Fachkräftemangel sprechen.

Was genau wollen Sie bei der Weiterbildung reformieren?
Geiken: Unser aktueller Qualifizierungstarifvertrag wird in den Betrieben nicht gelebt. Wir wollen, dass die Unternehmen Weiterbildungsmaßnahmen mitfinanzieren. Und wir fordern auch hier einen individuellen Anspruch jedes einzelnen Beschäftigten.

Eine Frage darf in diesen Tagen nicht fehlen: Haben Sie als Gewerkschaftsfunktionär Verständnis für den Streik der Lokführergewerkschaft?
Geiken: Ich habe dafür durchaus Verständnis. Allerdings gibt es einen gravierenden Unterschied zwischen uns und der Lokführergewerkschaft GDL. Wir als IG Metall treten für eine solidarische Tarifpolitik ein. Das heißt: Eine Gewerkschaft hat den Vertretungsanspruch in einem Betrieb. Aus meiner Sicht sollte die GDL eine Tarifgemeinschaft mit der Eisenbahnergewerkschaft EVG bilden. Dieses Modell praktizieren wir auch in Unternehmen – zum Beispiel mit der Chemiegewerkschaft IG BCE bei Vattenfall. Aber abschließend noch eine Anmerkung zu der Diskussion über den Lokführerstreik: Viele Medien überziehen maßlos mit ihren Berichten. Ich finde es unanständig, wenn die Telefonnummer von GDL-Chef Claus Weselsky groß abgedruckt wird. Hier werden Grenzen überschritten. Die Republik ist schließlich nicht kurz vor dem Untergang, wie uns manche Medien suggerieren.