Experten erwarten nur noch 0,8 Prozent Wachstum für die Euro-Zone. Deutschland hat als Lokomotive ausgedient

Brüssel. Die neue EU-Kommission beginnt ihre Amtszeit mit einer düsteren Prognose für Europas Wirtschaft. Vor allem in den Ländern der Euro-Zone wird das Wachstum in diesem Jahr teilweise deutlich schwächer ausfallen als bisher erwartet: Die Herbstkonjunkturprognose der Kommission erwartet nur noch 0,8 Prozent Wachstum für die Euro-Zone statt der im Frühjahr vorhergesagten 1,2 Prozent. Schlechter sind die Aussichten auch für die EU im Ganzen. Die Kommission revidierte die Wachstumsprognose für das laufende Jahr von 1,6 auf 1,3 Prozent nach unten.

Ein weiteres Mal beklagt die Kommission damit den „zerbrechlichen Aufschwung“ und seine lahmende Dynamik, ein Muster der Konjunkturprognosen seit den Krisenjahren. Irgendwo lahmt es immer. „Die Wirtschaftslage und die Lage am Arbeitsmarkt verbessern sich einfach nicht schnell genug“, sagte der zuständige Vizepräsident Jyrki Katainen. Risiken sieht er in den zahlreichen Krisen auf der Welt zwischen der Ukraine und Syrien, in möglichen neuen Spannungen an den Finanzmärkten – und in fehlenden Strukturreformen in den europäischen Ländern. Die Kommission warnt auch vor einer dauerhaft niedrigen Inflation.

Eines aber ist neu: Sorgen machen den Brüsseler Ökonomen bei diesem Mal weniger die Länder, die Hilfe aus europäischen Mitteln bekamen, sondern vor allem die großen Mitgliedstaaten, aus diversen Gründen: Frankreich zieht die EU-Wirtschaft tiefer in die Misere – und Deutschland dürfte nicht weiter in der Lage sein, das auszugleichen. Vor allem größere EU-Volkswirtschaften hätten sich 2014 schwächer als erwartet entwickelt, sagte Katainen. Zu den Ausnahmen gehören Spanien und Großbritannien – Deutschland aber nicht.

Ökonomen sehen die Bundesrepublik am Rande einer Rezession

Die Bundesrepublik verliert ihre bisherige Rolle als ein Anker des Wachstums in der EU. Laut EU-Kommission wird die deutsche Wirtschaftsleistung auch im dritten Quartal stagnieren, nachdem sie im zweiten Quartal um 0,2 Prozent gesunken ist – damit sehen die Ökonomen Europas größte Volkswirtschaft am Rande der Rezession. Nach einer gemeinhin und auch in der EU-Kommission geltenden Definition ist von Rezession bereits die Rede, wenn die Wirtschaftsleistung zwei Quartale in Folge schrumpft. Für das kommende Jahr sagt die Kommission Deutschland ein geringes Wachstum von 1,1 Prozent voraus, beruhend auf einem „robusten Arbeitsmarkt“ und einer Steigerung der Außennachfrage, wie Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici sagte.

Wo Moscovici und Katainen gemeinsam die Prognose präsentierten, da standen auf dem Brüsseler Podium Vertreter zweier Schulen, die sich trotz aller Bekenntnisse zu einer gemeinsamen europäischen Politik in Akzenten unterschieden. Beide bekannten sich zu den europäischen Stabilitätsregeln und beide zur Notwendigkeit größerer Investitionen in der EU. Die EU-Kommission will das Ihre dazu beitragen und noch vor Jahresende ein 300 Milliarden Euro schweres Investitionspaket vorstellen.

Der konservative Finne warb aber darüber hinaus vor allem für Reformen in den Ländern mit besonderen strukturellen Schwierigkeiten; Finanzstabilität ist ihm ein wichtiges Ziel, das Vertrauen von Investoren in die einzelnen Länder voraussetzt. Solidität in der Haushaltspolitik und Reformen etwa auf den Arbeitsmärkten sollen Vertrauen schaffen. Der Sozialist aus Frankreich hingegen legte seinen Schwerpunkt auf die Stärkung der Binnennachfrage als Weg aus der Krise. Sie sei „das wichtigste Mittel des Wachstums in den kommenden Jahren“, sagte er.

Das gilt in den Augen den Kommission besonders für Frankreich, das Sorgenkind der EU. 0,3 Prozent Wachstum in diesem Jahr, nur 0,7 Prozent im kommenden: Wegen schwacher Binnennachfrage auf der einen und geringer Exportleistung auf der anderen Seite seien die Aussichten so mau, wie sie sind. Erst 2016 könne sich das Wachstum auf 1,5 Prozent beschleunigen.