Hamburger Tauwerk Fabrik erzielt Millionenumsatz mit Aufträgen für Politik, Yachten, Industrie und Elbphilharmonie

Hamburg. Am auffallendsten ist der ungewöhnliche Geruch. Obgleich unweit des Hafens gelegen, weht durch die Ladenräume der Hamburger Tauwerk Fabrik am Rödingsmarkt Landluft. Es riecht nämlich ganz leicht nach Kuhstall. „Das kommt von den Tauen“, sagt Geschäftsführer und Inhaber Knut Kaeding. „Der Naturhanf verströmt diesen Duft.“ Eigentlich hat der Laden mit einem Kuhstall nichts gemeinsam, sondern eher mit der Takelage auf einem Segelschiff. Der Boden ist voll mit den verschiedensten zu Trossen aufgewickelten Tauen. In Regalen hängen Rollen mit Leinen, in jeder Größe, jeder Farbe und Stärke. Dazu Netze, Drahtseile, Metallketten und alle denkbaren Beschläge, mit denen man die Taue befestigen kann. Mittendrin steht Kaeding. Klein, drahtig, Ebbe im Haaransatz, aber Augen, aus denen der Schalk blitzt. Mit gerade einmal sechs Mitarbeitern hat er aus einem alten Geschäft für Yacht- und Schiffszubehör eine bundesweit angesagte Adresse für Seilarbeiten gemacht.

Segelschiffe gibt es kaum mehr. Und dennoch floriert der Betrieb. Taue werden nämlich überall gebraucht. So zählt das Bundeskanzleramt zu den Kunden der Tauwerk Fabrik ebenso wie die Elbphilharmonie und der Großteil der Hamburger Theater und Museen. Absperrkordeln, Handläufe, Drahtseilrelinge, wo immer Menschen geordnet in Schlange stehen und sich festhalten wollen, sind die Arbeiten der Hamburger Tauwerk Fabrik. Hinzu kommen der Yachtsport, Industriekunden und viele private Auftraggeber für Kletterseile, Schaukeln, Strickleitern oder einfach nur für Drahtbänder zur Begrenzung der Blumenrabatten. Ach ja, und wer auf der Reeperbahn die Straßenseite wechseln will, sollte vorsichtig sein. Der Drahtzaun in der Mitte des Grünstreifens stammt von Kaeding und seinen Mitarbeitern.

Insgesamt kommt das Unternehmen auf einen jährlichen Umsatz von 1,5 Millionen Euro. So ganz genau kann Kaeding das nicht sagen, weil das Geschäft jedes Jahr im zweistelligen Prozentbereich wächst. Dabei war es ein weiter Weg von der Tauwerk Fabrik von 1901 bis zum heutigen Unternehmen. Und die Geschichte beginnt auch nicht 1901, sondern vermutlich schon 1846 auf eben jener Reeperbahn oder drum herum in Altona. Dort flochten die Reepschläger an den langen Bahnen die Reepe zu dicken Seilen. So ganz hat Kaeding die historischen Wurzeln seines Unternehmens nicht durchdrungen, weil es über die Jahrzehnte unterschiedliche Inhaber hatte. „Seit 1901 ist der Name jedenfalls verbürgt und seit 1908 im Handelsregister vermerkt.“ Mehrfach ist das Unternehmen, das bis zum Ende der 60er-Jahre noch selbst Taue herstellte, in der Bedeutungslosigkeit versunken, es wurde aber nie aus dem Handelsregister gelöscht.

Kaeding kam erst 1996 an Bord. Es geschah eher zufällig, da ihm die Firma angeboten wurde. Immerhin hatte er ein artverwandtes maritimes Handwerk gelernt: Er ist Segelmacher. Eher zufällig sei er an das Unternehmen geraten, dass damals ein klassischer Yachtausstatter war, sagt der 48-Jährige heute. Sukzessive hat er dann den Betrieb umgeformt: die Produktpalette wurde verringert, aber das Angebot im Hauptprodukt Seile ausgeweitet – vor allem auch für die industrielle Nutzung. „Mir ging es darum, den Umsatz über das gesamte Jahr zu sichern“, sagt Kaeding über seine damalige Absicht. Das Yachtgeschäft läuft nämlich nur während der vier bis fünf warmen Monate im Jahr. Heute hat er 70 Prozent gewerbliche Kunden, 30 Prozent private.

Bundesweit bekannt wurde die Hamburger Tauwerk Fabrik allerdings erst mit dem Internet. „Wir waren die Ersten der Branche, die eine eigene Webseite hatten und einen Onlineverkauf anboten“, sagt Kaeding. Harte Jahre seien das anfangs gewesen. Nächtelang hätten sie Warenaufträge zusammengestellt und für den Versand verpackt. „Wir waren nur zu dritt.“ Vor eineinhalb Jahren hatte Kaeding genug: Er stellte vier weitere Mitarbeiter ein und verlagerte das Geschäft von der Ost-West-Straße an den Rödingsmarkt. Neben den Ladenräumen hat er hier ein Büro, eine Werkstatt und ein großes Lager, das auch mit Transportfahrzeugen erreichbar ist.

Das ist durchaus notwendig, weil manche Warensendungen ein stattliches Gewicht haben. Zum Beispiel wiegen die riesigen, Trossen genannten, Taugebinde, die frisch verpackt für ein Barkassenunternehmen mitten im Laden bereitstehen, gut 90 Kilogramm. 220 Meter Tau sind darin aufgewickelt. Sogar im Hafen gewinnt das alte Unternehmen noch immer neue Kunden: „Wir beliefern seit Kurzem auch die Festmacher“, sagt Kaeding. Er sitzt gerade auf einem Ballen und spleißt für einen Kunden ein Auge in ein Tauende, sodass dort eine Schlinge entsteht. Ein anderer Mitarbeiter bindet Seilenden für eine Strickleiter. „Wir stellen zwar die Taue nicht mehr her, sind aber nicht nur Händler, sondern machen viele Arbeiten selbst“, sagt Kaeding.

Wenn auch die Seilmacher auf der Reeperbahn längst dem Amüsement gewichen sind, wird ein Großteil der Seile und Taue dennoch in Deutschland hergestellt. Etwa bei der Familie Lippmann in Hausbruch, hauptsächlich aber im Süden Deutschlands. Edelstahlbeschläge, wie Schäkel, Karabiner, Wantenspanner oder Wirbel, kommen zumeist aus Asien. Ein gutes Dutzend Lieferanten hat die Hamburger Tauwerk Fabrik. Das ist vor allem eine Frage des Preises: Deutsche Metallbeschläge sind im Preis drei- oder vierfach höher als gleichwertige asiatische Produkte. Bei hochwertigen Aufträgen, wie etwa die Absperrseile und Pfosten, die der Betrieb an das Bundeskanzleramt nach Berlin lieferte, wird allerdings noch auf deutsche Produkte zurückgegriffen.

Sogar eine Bergsteigerseilschaft hat die Hamburger Tauwerk Fabrik schon einmal ausgestattet. „Das ist aber nicht unser Fach, dafür gibt es andere Spezialisten“, sagt Kaeding. Stattdessen meldet sich die Bauwirtschaft immer häufiger. Für den Bau der Elbphilharmonie entwickelte die Hamburger Tauwerk Fabrik Drahtseile für die Fensteröffnungen an der Außenfassade, damit Besucher bei offenem Fenster nicht hinausfallen können. Eher verschämt kämen manchmal Kunden, die Seile zum Aufpeppen ihrer Beziehung brauchen. Die werden in der Tauwerk Fabrik aber auch gern bedient: „Baumwollseile für Fesselspiele haben wir hier“, sagt Kaeding und zeigt auf eine Rolle an der Wand.